Hannover. Kriminelle Clans sind laut Pistorius eine Bedrohung für eine freie Gesellschaft. Zum ersten Mal liegen jetzt Zahlen vor.

Kriminelle Clans sind nach Worten von Innenminister Boris Pistorius auch in Niedersachsen ein ernstes Problem. Zwar liege der Anteil der Straftaten im Verhältnis zur gesamten Kriminalität im Promillebereich. Allerdings gebe es gewalttätige Clanmitglieder, die nicht nur ihre Konkurrenz, sondern insbesondere auch die Polizei bedrohten.

„Sie bedrohen damit unseren Rechtsstaat und unsere freiheitliche und demokratische Gesellschaft“, sagte der SPD-Politiker am Freitag in Hannover bei der Vorstellung des ersten öffentlichen Lagebilds zum Thema.

Clankriminalität im Jahr 2019: 1585 Straftaten

Im Jahr 2019 registrierte die Polizei demnach 1585 Straftaten im Zusammenhang mit Clankriminalität. Häufig ging es um Körperverletzung, Bedrohung und Beleidigung. Die Tatorte verteilten sich nahezu über das ganze Land, städtische Hotspots gebe es kaum.

Hinzu kämen regelmäßig auch Ordnungswidrigkeiten, mit denen kriminelle Clanmitglieder ihre Ablehnung des Rechtsstaats zeigten, sagte Pistorius. Das werde die Polizei nicht hinnehmen.

Mehr als die Hälfte der Verdächtigen war jünger als 30 Jahre. Etwa jeder Fünfte trat den Angaben zufolge mehrfach als Täter in Erscheinung. Mit Abstand häufigstes Herkunftsland war Deutschland (890 Verdächtige), gefolgt vom Libanon (167) und der Türkei (162).

Methodik der Polizei ändert sich

Clankriminalität sei also kein Markenzeichen bestimmter ethnischer Gruppierungen, betonte Pistorius - und nicht jede Großfamilie sei kriminell. Daher ändere sich auch die Methodik der Polizei. Bisher seien „eindeutige“ Nachnamen von Verdächtigen nachträglich der Clankriminalität zugeordnet worden.

Jetzt soll „typisch clankriminelles Verhalten“ schon bei der Erfassung entsprechend gekennzeichnet werden. „Namen, Herkunftsländer und Nationalitäten sind keine allein bestimmenden Kriterien mehr“, sagte Pistorius. Das soll auch die Zuordnung beschleunigen.

"Kriminelle Sümpfe trocken legen"

Interne Lagebilder zur Clankriminalität erstellt Niedersachsens Polizei bereits seit 2013. Geprägt sei diese Form der Kriminalität von Abschottung, Einbeziehung der Familie und Ablehnung von Gesetzen, sagte Landespolizeipräsident Axel Brockmann. Er kündigte an: „Überall da, wo Kriminelle meinen, die Straße gehöre ihnen, sie stünden über dem Recht, werden wir ihnen erforderlichenfalls noch intensiver mit Präsenzkräften auf den Füßen stehen.“

Dabei gehe es auch darum, illegal erlangte Vermögen sicherzustellen. „Ziel muss es sein, die kriminellen Sümpfe trockenzulegen“, sagte Brockmann. Im Jahr 2019 wurden bereits knapp 5,7 Millionen Euro sichergestellt, davon etwa 3,8 Millionen Euro in Form von Bargeld.

Clankriminalität: Zunahme der Fälle wahrscheinlich

Einige Clanmitglieder suchen Pistorius zufolge offene Konfrontation mit dem Rechtsstaat. Er verwies auf einen Fall aus Peine: Dort hätten mutmaßliche Clanmitglieder eine Polizistin in den vergangenen Wochen bedroht und ihr Auto beschädigt. Ein Kollege, der in dem Fall ermittelt, sei bis zu seinem Wohnsitz verfolgt worden. „Wir werden nicht zulassen, dass diejenigen Frauen und Männer, die jeden Tag unseren Rechtsstaat verteidigen, von Straftätern drangsaliert oder bedroht werden – noch dazu in ihrem Privatleben“, sagte der Minister.

Die weitere Entwicklung lässt sich Brockmann zufolge noch nicht genau prognostizieren, da die neue Methodik der Auswertung erst seit 2019 angewendet wird. Man müsse aber mit einer Zunahme der Fälle rechnen. Der Präsident des Landeskriminalamts, Friedo de Vries, sagte, er hoffe auf eine Aufhellung des Dunkelfeldes. Schon heute müsse man von „etwas mehr Straftaten“ ausgehen, die der Clankriminalität zuzurechnen sind, der Polizei aber gar nicht erst bekannt werden.