Hannover. Die Kirchen und die Ärztekammer sorgen sich um seit Wochen isolierte alte Menschen in Heimen. Auf lange Sicht dürfe so etwas nicht sein. Und sie sind nicht die einzigen, die sich für Lösungen aussprechen.
Die beiden großen Kirchen und die Ärztekammer in Niedersachsen haben vor einer Stigmatisierung alter und kranker Menschen in der Corona-Krise gewarnt. Es dürfe nicht zu einer "sozialen Ghettoisierung" alter Menschen kommen aus der Abwägung heraus, einer Mehrheit der Bevölkerung und der Wirtschaft schneller wieder Freiräume zu gewähren, sagte der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche, Ralf Meister, am Mittwoch in Hannover. "Wir sehen eine grundlegende Gefahr der Verschiebung von Werten." Zur Bewältigung der sozialethischen Folgen der Epidemie regen Kirchen und Ärztekammer die Einrichtung eines Ethikrats an, der die Landesregierung berät und in dem andere Organisationen wie etwa die Pflegekammer mitwirken können.
Insbesondere halten die Kirchen und die Ärztekammer die andauernde Isolierung alter Menschen in Heimen und Krankenhäusern ohne eine Besuchsmöglichkeit für nicht länger hinnehmbar. Das pauschale Einteilen von Menschen in Kategorien sei nicht hinnehmbar, sagte Ärztekammerpräsidentin Martina Wenker.
Um Altenheimbewohnern wieder Ausflüge sowie den Empfang von Besuch zu ermöglichen, müssten Bewohner und Personal intensiv auf eine Infektion getestet werden. Man könne die alten Menschen nicht einfach zugunsten der Freiheit der übrigen Bevölkerung einsperren und Menschenleben gegen Menschenleben aufwiegen.
Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode sagte, dass es darum gehe, die Würde des Lebens zu schützen und einen sozialen Tod von Heimbewohnern zu verhindern. "Man spürt, die Menschen brauchen nicht nur eine medizinische, sondern auch eine andere Begleitung, dafür müssen wir auch den Schutz sicherstellen." Bischof Meister ergänzte, dass mehr Mut, Ideen und Schutzmaterial nötig seien, um einen Ausschluss alter Menschen aus der Gesellschaft zu verhindern.
Auch die Pflegeverbände wollen Heimbewohner nicht langfristig von der Außenwelt abschotten und arbeiten an Konzepten, wie Besuche wieder möglich werden können. Dies hätten Beratungen mit Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) gezeigt, teilten die Unternehmerverbände Niedersachsen (UVN) am Mittwoch mit. Übereilte Entscheidungen über Besuchsmöglichkeiten seien zu vermeiden, es müssten zunächst einheitliche Kriterien für sichere Kontakte erarbeitet und erprobt werden, sagte die Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Birgit Eckhardt.
"Zusätzlich zu den notwendigen Schutzmaßnahmen muss es für eine bessere Lebensqualität möglich werden, dass Bewohnerinnen und Bewohner auch Angehörigen und Seelsorgerinnen und Seelsorgern unter Abstandswahrung und in Schutzkleidung begegnen können", forderte Diakoniechef Hans-Joachim Lenke. "Hierzu haben wir kreative Lösungen entwickelt und digitale Konzepte ausgebaut, die in ein neues Sicherheitskonzept fließen."
Auch die Caritas machte sich für Besuchsmöglichkeiten stark. "Um dem Bedürfnis nach Kontakt und Nähe Rechnung zu tragen, müssen wir sichere Hygienekonzepte und ein akzeptiertes Besuchermanagement etablieren", sagte Caritas-Sprecher Franz Loth.
AWO-Vorsitzender Rifat Fersahoglu-Weber sprach sich für eine Lockerung in Schritten aus. "Es müssen kurzfristig innovative Ideen entwickelt werden, um über die schon praktizierten Videotelefonate, Fenster- und Gartenzaungespräche hinaus Kontakte zu ermöglichen."