Hannover. Man müsse belohnen statt bestrafen, fordert Professor Gerhard Wegner. Er will die Sanktionen durch positive Anreize ersetzen.
Der Sozialwissenschafter und Theologe Professor Gerhard Wegner hat sich für eine Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen ausgesprochen. Stattdessen sollten die Jobcenter mit positiven Anreizen für Langzeitarbeitslose arbeiten, sagte der Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover dem Radiosender HR-Info.
Denkbar seien mehr Möglichkeiten für Hartz-IV-Bezieher zum Hinzuverdienst sowie finanzielle Anreize etwa für erfolgreiche Bewerbungen. "Man muss die Logik umkehren: Du wirst belohnt, wenn Du es schaffst, und nicht: Du wirst bestraft, wenn Du es nicht schaffst", erklärte Wegner vor Beginn der Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über eine mögliche Abschaffung der Leistungskürzungen.
Bis zu 900.000 Hartz-IV-Bezieher pro Jahr mit Sanktionen belegt
"Das Misstrauen muss raus aus dem System." Jeder Hartz-IV-Bezieher habe ein Interesse daran zu arbeiten, betonte der Experte: "Aber das System macht ihn klein und demütigt ihn, und deswegen funktioniert das Ganze nicht." Hauptziel müsse es sein, die Betroffenen wieder in das Berufsleben zu integrieren. "Man kann nicht einfach sagen, die kriegen Geld und dafür müssen sie Leistung bringen", sagte Wegner. "Sondern es geht darum, ihnen zu helfen, wieder in Lohn und Brot zu kommen."
Dass jährlich bis zu 900.000 Hartz-IV-Bezieher mit Sanktionen belegt würden, zeige, dass es in dem System an Vertrauen mangele. Durch die Sanktionen werde nicht wie eigentlich notwendig das Selbstbewusstsein der Betroffenen aufgebaut, sondern "eher heruntergedrückt", erklärte der Sozialwissenschaftler. "Und das kann nicht Sinn einer sozialstaatlichen pädagogischen Maßnahme sein." Das Existenzminimum dürfe nicht für Bestrafungen instrumentalisiert werden
Bundesverfassungsgericht prüft Leistungskürzungen
Das Bundesverfassungsgericht überprüft ab Dienstag die Leistungskürzungen für Hartz-IV-Bezieher. Dabei geht es um die Frage, ob diese Sanktionen mit dem vom Staat zu gewährenden menschenwürdigen Existenzminimum vereinbar sind. Ein Urteil wird in einigen Wochen erwartet (AZ: 1 BvL 7/16).
Nach den rechtlichen Bestimmungen im Zweiten Band des Sozialgesetzbuchs (SGB II) müssen die rund vier Millionen erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher jede zumutbare Arbeit annehmen oder andere Eingliederungsmaßnahmen in den Arbeitsmarkt nutzen, sonst drohen ihnen Kürzungen der Regelleistung. Bei wiederholten Pflichtverstößen darf das Jobcenter das Arbeitslosengeld sogar komplett streichen.