Für 36 Stunden raus aus der Großstadt und die Region entdecken. Teil 7: Auf dem Heidschnuckenweg zu Fuß durch die Lüneburger Heide.
Zwei Tage im Juli, zwei Tage Wandern in der Lüneburger Heide, qualmende Füße, den Kopf voller Impressionen, und am Ende ein Gedanke: kaum zu glauben, dass das Beste noch kommt – wenn in wenigen Wochen die Heide in voller Blüte steht und diese einzigartige Kulturlandschaft als Zugabe noch ein berauschendes Farbschauspiel aufführt.
Dann werden sie in Massen kommen, die Wanderer, Mountainbiker, Heidschnucken-Filmer, Buchweizen-Torten-Bezwinger und sonstige Bewunderer von Calluna vulgaris, der gemeinen Besenheide. Für gut einen Monat – eine Heidjer-Faustregel sagt: vom 8. August bis 9. September – legt die Gegend rund um den Wilseder Berg ihr lila Kleid an und bittet zum Heideball.
Engtanz ist zwar auch dann nicht angesagt in dieser weiten Landschaft. Aber wer außer dem Blütenteppich auch die Ruhe und Abgeschiedenheit der Heide schätzt, sollte lieber außerhalb dieser Zeit anreisen – oder sich besinnen, dass der Heidschnuckenweg, 2014 vom „Wander-Magazin“ zu Deutschlands schönstem Wanderweg gekürt, direkt vor unserer Haustür in der Fischbeker Heide beginnt und erst nach 223 Kilometern in Celle endet. Ausweichmöglichkeiten gibt es also genug. Diese Tour hingegen führt mitten ins Herz der Heide.
9.30 Uhr: Start in Undeloh
Der Einstieg in den Heidschnuckenweg in Undeloh, 40 Kilometer südlich von Hamburg, ist offiziell bei St. Magdalenen. Die fast 800 Jahre alte Feldsteinkirche ist allein schon eine Sehenswürdigkeit. Das Auto wird man aber besser auf dem großen Waldparkplatz am Ende der Wilseder Straße los. Gegenüber liegt das Heide-ErlebnisZentrum des Vereins Naturschutzpark (VNP). Hier kann man schon vor dem Start alles über die Heide erfahren. Vieles wird allerdings auch unterwegs auf Dutzenden Schautafeln vorbildlich erklärt – also erst einmal Abmarsch.
Ein weißes „H“ auf schwarzem Grund markiert den Heidschnuckenweg, der als Pfad direkt neben dem Erlebniszentrum beginnt. Er quert die Quelle des Radenbachs und verläuft dann oberhalb des Bachbetts. Schon nach wenigen Metern öffnet sich die Landschaft und gibt den Blick über die Heide frei. Der Radenbach zeichnet sich jetzt deutlich als grünes Band in der ansonsten kargen Landschaft ab.
Wir folgen dem Weg geradeaus, immer an dem groben Holzzaun entlang: Dahinter leben Dülmener Pferde und „Wilseder Rote“, eine robuste Rindersorte. Beide Herden fressen seit 2004 gegen die drohende Verbuschung des Bachtales an und gehören neben den acht Heidschnuckenherden zu den tierischen Attraktionen der Region. Dabei gilt der Grundsatz: Ohne diese Tiere und ohne die Eingriffe des Menschen würde die Natur aus der Kulturlandschaft Lüneburger Heide in wenigen Jahren den Lüneburger Wald machen.
10.45 Uhr: Wie im Wilden Westen
Nachdem wir den plätschernden Radenbach an einer lauschigen Stelle überquert haben, biegen wir einige Hundert Meter weiter rechts in den Pastor-Bode-Weg Richtung Wilsede ein. Nach kurzer Zeit taucht ein riesiger Schafstall mit eingestürztem Reetdach auf, eine Holztür wiegt sich quietschend im Wind, ein Greifvogel zieht am blauen Himmel seine Bahnen – Westernatmosphäre mitten in der Heide. Es geht nun leicht, aber stetig bergauf, und der Blick über das Radenbachtal wird immer grandioser. Ein kleines Wäldchen spendet Schatten, ein Kuckuck ruft, und in den Blaubeersträuchern raschelt ein aufgeregter Specht. Am Waldausgang: erneut ein imposanter Schafstall, erneut beeindruckende Ausblicke, aber jetzt geht es bergab – ins Herz der Heide.
12 Uhr: Wilsede – das Heidedorf
Entlang der Kopfsteinpflasterstraße, die nur Einheimische und Pferdekutschen befahren dürfen, führt der Weg ins ansonsten autofreie Wilsede. Mit seinen rund 25 mehr oder weniger historischen Gebäuden, fast alle mit Fachwerk und Reetdach und weit verstreut unter hohen Bäumen gelegen, ist es das schönste Dorf der Heide – Kleinod und Touristenmagnet in einem. Im Museum Dat ole Huus des VNP wird das Leben der Heidebauern dargestellt, und in den vielen idyllischen Gasthöfen kann man sich gut und günstig stärken.
13.45 Uhr: Der Höhepunkt
Von Wilsede sind es nur 1,3 Kilometer, aber 40 Höhenmeter bis auf den Wilseder Berg – im wahrsten Wortsinn der Höhepunkt des Heidschnuckenwegs. Die mit 169 Metern größte Erhebung in der norddeutschen Tiefebene bietet einen atemberaubenden Rundblick. In dem kleinen Buch, das unter der Gipfelbuche in einer Holzkassette ruht, spotten Auswärtige zwar über das Wort „Berg“, andere scherzen über die „Dampfer“, die sie auf der Elbe ausgemacht haben wollen – aber für Flachlandtiroler ist dieser Ort ein Erlebnis.
15 Uhr: Im Tal der Haverbeeke
Vom Wilseder Berg fällt der Weg steil ab und führt dann in südlicher Richtung ins vier Kilometer entfernte Niederhaverbeck – erst durch eine Bilderbuch-Heidelandschaft, dann vorbei an einem beeindruckenden Schafstall und durchs waldige Tal der Haverbeeke. Der kleine Ort ist wie Undeloh und Wilsede ein guter Ausgangspunkt für Heidetouren und verfügt sogar über barrierefreie Wanderwege.
Wir folgen einige Meter nach links der Straße (welch ungewohnter Anblick ...), überqueren sie und biegen beim Gasthof Menke nach rechts auf den Weg N1 in Richtung Tütsberg – unser Tagesziel. Der Weg ist anfangs identisch mit dem Heidschnuckenweg und verläuft westwärts durch das idyllische Tal der Haverbeeke – rechts plätschert der kleine Bach, linker Hand steigen Heideflächen an. Über Holzbohlen geht es zur unscheinbaren Mündung der Haverbeeke in die Wümme. Wir folgen N1 Richtung Wümmeberg. Obacht: An der nächsten Abzweigung nach links fehlt ein Schild, der Anstieg auf den bewaldeten Wümmeberg ist aber gut zu erkennen.
16.15 Uhr: Von Berg zu Berg
Auf dem „Gipfel“ in rund 100 Metern Höhe lockt ein Aussichtspunkt mit Bänken zum Verweilen und wunderschönem Blick über das Quellgebiet der Wümme. Bis zum Tütsberg sind es jetzt noch fünf Kilometer, der Weg ist gut ausgeschildert und führt bergab und bergauf zum nächsten Aussichtspunkt über das Wümmemoor. 3,5 Kilometer vor dem Ziel biegen wir nach links in eine weite Ebene ein, hier übte einst das britische Militär. Über schnurgerade Wege erreichen wir nach insgesamt gut 20 Kilometern den Tütsberg, der trotz seiner 106 Meter als solcher kaum wahrzunehmen ist.
17.45 Uhr: Ausruhen am Tütsberg
Der gleichnamige Hof liegt fernab der Zivilisation und besteht schon seit dem 16. Jahrhundert. 1928 übernahm ihn der VNP und verpachtete ihn – zeitweise auch an den Hamburger Getreidegroßhändler und damaligen Vereinsvorsitzenden Alfred C. Toepfer. Erst in den 80er- und 90er-Jahren entwickelte ihn der VNP in eigener Regie zum heutigen Landschaftspflegehof. Auch ein Hotel, Ferienwohnungen und ein Restaurant werden in den historischen Gebäuden betrieben. Mit seiner Heidschnuckenherde und der Ökolandwirtschaft spielt der Hof eine zentrale Rolle für den Erhalt der Heide. Lecker essen und stilvoll übernachten kann man hier obendrein.
Tag zwei, 10 Uhr: Tierisches Glück
Ein Gewitter verzögert den geplanten frühen Aufbruch, aber danach geht es gestärkt Richtung Wulfsberg. Kurz vor der kleinen Anhöhe vollzieht sich dann das Schauspiel, auf das jeder Heidewanderer hofft: Tütsberg-Schäfer Uwe Storm quert mit Hunderten Heidschnucken und einigen Ziegen den Weg. Geblöke, Getrappel und lautstarke Anweisungen an die Hunde erfüllen minutenlang die Ebene – bevor die Herde westwärts zieht, die Geräuschkulisse langsam verstummt und wieder dem Vogelgezwitscher weicht. Was für ein Erlebnis! Hinter dem Wulfsberg stoßen wir wieder auf den Heidschnuckenweg und folgen ihm durch eine Postkarten-Heidelandschaft nach Niederhaverbeck. Etwa 500 Meter vor dem Ort kann man auf einer Anhöhe einen Abstecher zum „Alfred-Toepfer-Blick“ machen – lohnenswert!
12.15 Uhr: Was für eine „Plaggerei“!
Von Niederhaverbeck geht es ein kurzes Stück auf dem vom Hinweg bekannten Kopfsteinpflasterweg Richtung Wilsede. An der ersten Gabelung geht es nun aber geradeaus auf dem Hans-Domizlaff-Wanderweg, also links statt rechts der Haverbeeke. Die Route führt durch ein ehemals beforstetes Gebiet, das erst seit einigen Jahren in Heide umgewandelt wird – Berge an Totholz zeugen davon. Nachdem wir einen weiteren imposanten Schafstall passiert haben, kommt der Wilseder Berg ins Blickfeld. An dieser Stelle wird anschaulich erklärt, wie früher die Heide von Hand abgeplaggt wurde, um die Schafställe mit den Plaggen auszulegen und die Äcker zu düngen.
14 Uhr: Kutschen und Kopfsteinpflaster
Nach dem steilen Anstieg genießen wir ein letztes Mal den Rundumblick vom Wilseder Berg. Weil man sich daran aber auch am zweiten Tag nicht sattsehen kann, geht es runter nach Wilsede, wo eine Portion Heidekartoffeln mit Quark den Hunger stillt. Ein Rundgang durch das Dorf oder ein Museumsbesuch – danach geht es auf direktem Weg zurück nach Undeloh, das am späten Nachmittag erreicht wird. Wer mag, kehrt noch ein, geht ins Erlebniszentrum oder besichtigt die Kirche und ist dann am Abend zurück in Hamburg. Doch der Weg von Wilsede nach Undeloh, eine urige Kopfsteinpflaster-Allee, Pferdekutschen, weite Heideflächen – das ist auch ein passender Abschluss.