Scheeßel. Kritik am Musik-Programm, erstmals nicht ausverkauft und mieses Wetter – egal, in der Nordheide herrscht Party-Stimmung.
Viel wurde diskutiert und auch gelästert über das Line-up des diesjährigen Hurricane Festivals. Die wirklich großen Bands, die Headliner würden fehlen. Seit Jahren ist die große Rocksause im niedersächsischen Scheeßel nun auch erstmals nicht ausverkauft. Die Veranstalter rechnen mit 65.000 anstatt sonst gut 75.000 Besuchern, die bis in die Sonntagnacht 100 Bands zujubeln wollen.
Doch all diese Zahlenspielereien sind schnell vergessen, wenn eine Band wie John Coffey die rote Bühne – eine von vier Spielstätten am Eichenring – eröffnet. Beim Auftritt der Hardrocker aus dem niederländischen Utrecht zeigt sich, was ein Festival ist: verdichtete Energie, ein Kraftzentrum. Die Fünf entfesseln einen Sound von Motörhead-Qualität. Sänger David Archter di Molen erlangte dieser Tage Internet-Berühmtheit, weil er bei einem Konzert auf den Schultern seiner Fans gewandelt war, lässig einen Bierbecher fing, der ihm über die Köpfe hinweg zugeworfen wurde, und diesen austrank.
Beim Hurricane Festival ist Crowdsurfing zwar verboten, aber die Menge lässt sich nicht abhalten, ausgelassen Pogo zu tanzen. Ob nun mit einer Hühnerhaube oder im weißen Anzug. Das Hurricane ist alle Jahr wieder eben auch ein Ort der Maskerade, des Karnevals, des Andersseins auf Zeit. Eine Atmosphäre, die die Veranstalter noch unterstützen, indem sie Fantasietiere über die Wiese schicken. Etwa ein großes Wildschwein, das von zwei Neandertalern geritten wird. Eine gute Einstimmung für den Auftritt von Mantar, weckt das Bremer Duos doch mit seinem dröhnenden Metal auf grandiose Weise das Instinkthafte. Als käme das Schönste und Schlechteste der Welt in einem großen Störgewitter zum Ausbruch.
An den Getränkeständen testen die Gäste unterdessen die bargeldlose Zahlung, die beim Hurricane 2015 Premiere feiert, indem Geld auf einen Chip am Eintrittsband geladen wird. Bei den ersten Angereisten sorgte das System Donnerstagabend für Unmut, da sich vorab online aufgeladenes Geld zunächst nicht übertragen ließ. Am Freitag funktionierte diese schöne neue Festival-Welt aber an vielen Stellen bereits reibungslos.
Und so können die Musik-Enthusiasten zum Beispiel ungestört nostalgisch werden zum Country-Rock der Counting Crows. Oder sie können sich über die erdbeben-artigen Ansagen von Punkrock-Sänger Danko Jones amüsieren. Der freut sich, später noch mit Bands wie Lagwagon und Suicidal Tendencies abzuhängen, schreit er über den Platz. Ob auf dem Campingplatz oder Backstage gilt also: Feiern und den Moment leben! (bir)