Auf der Nordseeinsel Juist nimmt erstmals ein Gästeparlament die Arbeit auf. Damit können sich Urlauber jetzt in die Inselpolitik einmischen. Aber es gibt Kritiker: Echte Mitbestimmung sei dies nicht.

Juist/Oldenburg. Mit heißen Themen aus der Kommunalpolitik hat Karin Wesselmann-van Heeck zuhause im nordrhein-westfälischen Bottrop wenig am Hut. Die 67-Jährige mag es gern ruhig und verbringt den Urlaub meist auf der beschaulichen ostfriesischen Insel Juist. Genau dort steigt sie aber nun doch noch in die Politik ein – beim ersten Gästeparlament Niedersachsens.

Urlauber können sich dort in die Belange der Insel einmischen, über Themen diskutieren oder sogar selbst Vorschläge machen. „Das wird richtig spannend“, sagt Wesselmann-van Heeck vor dem ersten Sitzungswochenende des Gästeparlaments (24. bis 26. Oktober).

Zehn Abgeordnete hat das Parlament, das erstmals für drei Jahre eingesetzt wurde. Die Mitglieder treffen sich einmal im Jahr mit Vertretern der Insel, schmieden Pläne oder bringen Ideen für das Leben auf „Töwerland“ ein, wie Juist mit seinen 1500 Einwohnern auch genannt wird. Die Kosten für Fähre und Übernachtung an den Parlamentstagen zahlt die Kurverwaltung. „Wegen der Kostenübernahme komme ich aber nicht, mir liegt schon etwas an der inhaltlichen Arbeit“, sagt die 67-Jährige.

„Diese Art der Bürgerbeteiligung hat es so in Deutschland noch nicht gegeben“, urteilt Marketingchef Thomas Vodde. Bei der Auswahl der zehn Abgeordneten aus 364 Bewerbungen sei es um einen repräsentativen Querschnitt der Insel-Urlauber gegangen. Es sollten Stamm- und Neugäste, Frauen und Männer, Junge und Ältere, Gäste mit und ohne Kinder vertreten sein.

„Das spiegelt eine falsche Form der Mitbestimmung vor“


Vodde und Bürgermeister Dietmar Patron wollen mit diesem Modell aber nicht den kommunalen Gemeinderat ausbooten. Dessen Mitglieder sind schließlich aus politischen Wahlen hervorgegangen. Daher kann das Gästeparlament auch keine Entscheidungen treffen und die Insulaner übergehen.

Ähnliche Modelle von Bürgerbeteiligung hätten deutlich zugenommen, sagt der Oldenburger Politikwissenschaftler Andreas Eis. „Bürger werden zunehmend bei Themen und Projekten mit einbezogen, etwa als Kundenbeiräte oder bei Bürgerhaushalten.“

Doch mit dem Wort Gästeparlament hat Eis seine Probleme: „Das spiegelt eine falsche Form der Mitbestimmung vor: Die gibt es tatsächlich nur im Gemeinderat.“ Ähnlich wie viele Kinder- und Jugendparlamente habe das neue Gremium auf Juist nur eine beratende Funktion. „Dann sollte man es auch fairerweise nur Beirat nennen“, regt Eis an.

Karin Wesselmann-van Heeck ist jedenfalls zufrieden, wenn sie gute Anregungen für das Leben auf der Insel geben kann: „Entscheiden müssen die selbst. Das will ich auch gar nicht, denn meistens ist es verkehrt!“ Das Gästeparlament könne dennoch Folgen für sie persönlich haben, überlegt die Juist-Urlauberin: „Vielleicht ist es ja ein Anreiz zum Einstieg in die Bottroper Kommunalpolitik.“