Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) verrät im Interview, warum er Niedersachsen für das kleine Texas Deutschlands hält, was Fußball und Politik gemeinsam haben und wer Kanzler kann.
In seinem Büro steht der WM-Pokal in der Vitrine, das schönste Souvenir einer Brasilien-Reise, die Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) jüngst mit einer Wirtschaftsdelegation unternahm.
Überhaupt Fußball: Der ehemalige Oberbürgermeister von Hannover zittert derzeit ganz schön mit dem Team aus seiner Stadt um den Verbleib in der Bundesliga. In der Interview-Reihe mit den Regierungschefs des Nordens geht es aber auch um handfestere Themen: Energie, Bildung, Hafenpolitik.
Hamburger Abendblatt: Über welches dieser Themen haben Sie sich in den vergangenen Wochen am meisten geärgert? Edathy oder Hannover 96.
Stephan Weil: In den letzten Wochen? Hannover 96, leider.
Mit ein bisschen Pech steigen in dieser Saison sogar gleich zwei HSVs ab. Der kleine aus Hannover und der große aus Hamburg.
Weil: Beschreien Sie es nicht!
Was haben die Vereine falsch gemacht?
Weil: Vermutlich liegt es mindestens zum Teil an der Einkaufspolitik. Am Ende ist es ja auch bei den hoch dotierten Fußballprofis so, dass die Zusammensetzung und das Miteinander der Mannschaft entscheiden. Um Berti Vogts zu zitieren: Die Mannschaft ist der Star. Das gilt im Fußball wie in der Politik.
Dann zu Edathy. Haben Sie mittlerweile eine Erklärung für diesen Fall gefunden?
Weil: Nein. Nicht wirklich. Es verbietet sich für mich ganz generell, dass Erwachsene Fotos von zur Schau gestellten nackten Kinder betrachten – das gilt erst recht für Menschen, die öffentliche Verantwortung tragen.
Es ist mir unbegreiflich, dass sich Sebastian Edathy in seiner exponierten politischen Position so verhalten hat. Als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses hätte er zudem wissen müssen, dass er eine besondere Verantwortung hat.
Edathy begründet das selbst mit der künstlerischen Tradition, in der solche Bilder stehen. Was haben Sie gedacht, als Sie das gelesen haben?
Weil: Das möchte ich Ihnen hier lieber gar nicht sagen. Das Ganze ist nicht zu billigen, und ich hätte mir wenigstens im Nachhinein ein Wort des Bedauerns und der kritischen Selbstreflexion gewünscht.
Sollte Edathy aus der Partei ausgeschlossen werden?
Weil: Das wird die Schiedskommission der SPD entscheiden.
Die niedersächsische Opposition unterstellt immer wieder, dass Edathy über die Ermittlungen des BKA vorab informiert war. Aus Ihrer Sicht: Ist da etwas durchgestochen worden? Und wenn ja, von wem?
Weil: Ich habe davon keine Kenntnis. Man muss sich aber vor Augen führen, dass spätestens seitdem das Ermittlungsverfahren gegen die kanadischen Kinderpornohändler publik war, alle Kunden dieses Unternehmens Veranlassung hatten, über ihre Lage nachzudenken. Insofern glaube ich, dass die Suche nach einem Tippgeber aus den Behörden nicht unbedingt von Erfolg gekrönt sein wird. Es hat ihn vielleicht niemals gegeben.
Die Landtagsopposition nimmt Ihre Koalition dennoch gerade im Fall Edathy schwer unter Beschuss. Sind die Sitten auf Landesebene eigentlicher rauer als im Rathaus von Hannover?
Weil: Definitiv. Die Luft ist bleihaltiger. Daran musste ich mich auch erst einmal gewöhnen. Aber mittlerweile weiß ich, wie es läuft.
In der Hamburgischen Bürgerschaft geht es auch deutlich zurückhaltender zu. Beneiden Sie die Hamburger manchmal?
Weil: Nein. Warum sollte ich als stolzer Niedersachse Hamburg beneiden?
Anlass zur Kritik an der Hansestadt?
Weil: Wie käme ich dazu?
An der Politik hier oben vielleicht?
Weil: Das schon mal gar nicht (schmunzelt).
Ihr Lieblingsplatz in Hamburg?
Weil: Ich sitze gerne unter den Alsterarkaden. Und ich bin gern am Hafen.
Gutes Stichwort. Eurogate hat gerade die Zahlen für den neuen Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven veröffentlicht. 76.000 Standardcontainer – in einem Jahr. Was meinen Sie, was den Hamburgern bei diesen Summen einfällt?
Weil: Vermutlich ein Fachbegriff aus dem Finanz- beziehungsweise Lebensmittelbereich: Peanuts. Der Jade-Weser-Port ist bedauerlicherweise genau in dem Moment an den Start gegangen, als die Containerschifffahrt weltweit auf dem Tiefpunkt gewesen ist.
Seitdem ist es nicht besser geworden, jedenfalls nicht in Wilhelmshaven.
Weil: Der Jade-Weser-Port ist eine langfristige Infrastrukturinvestition. Die Containerschiffe werden immer größer, und die Elbe wird an ihre natürlichen Grenzen stoßen. Wilhelmshaven wird über kurz oder lang große strategische Bedeutung bekommen – nicht nur für Niedersachsen.
Eigentlich müssten Sie doch gegen die Elbvertiefung sein, damit endlich Schwung in Ihren Hafen kommt.
Weil: Das muss man differenziert sehen. Mir ist die Bedeutung des Hamburger Hafens für die dort arbeitenden Menschen aus Niedersachsen bewusst. Aber wir sehen schon bei der jetzt anvisierten neunten Elbvertiefung, dass die Realisierung immer schwieriger wird. Schon deshalb wird die Bedeutung des Jade-Weser-Ports immer größer werden.
Ein anderes Infrastrukturprojekt, das seit Langem vor sich hindümpelt, ist die Autobahn 20 einschließlich der neuen Elbquerung. Warum geht es da nicht voran?
Weil: Die entscheidenden Würfel fallen im nächsten Jahr, wenn der Verkehrsminister den neuen Bundesverkehrswegeplan vorstellt. Dann wird man auch sehen, ob er für die neue Elbquerung einen vernünftigen Finanzierungsvorschlag hinbekommt. Da geht es immerhin um eine oder eineinhalb Milliarden Euro. Ich unterstütze jedenfalls dieses Vorhaben.
Wie sähe ein vernünftiges Finanzierungskonzept für Sie aus?
Weil: Ich würde eine staatliche Finanzierung bevorzugen.
Kann Olaf Scholz Kanzler?
Weil: Sicher!
Torsten Albig auch?
Weil: Klar, wie alle anderen Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten auch.
Und wie klappt bei so vielen Alphamännchen die Zusammenarbeit im Norden?
Weil: Wir haben gerade in den vergangenen Monaten gezeigt, dass wir gemeinsam eine große Wirkung entfalten können. Das Ergebnis in den Verhandlungen mit der Bundesregierung zur Energiepolitik wäre ein anderes gewesen, wenn die Nordländer nicht so gut kooperiert hätten. Diese Zusammenarbeit tut uns allen ganz gut.
Gockelt wirklich gar keiner?
Weil: Ich wüsste keinen (lacht).
Wer könnte es besser als Angela Merkel?
Weil: Zum Beispiel Sigmar Gabriel.
Niedersächsische Ministerpräsidenten sind ja ohnehin immer potenzielle Kanzler, oder?
Weil: Ich habe in Berlin politische Ambitionen, aber keine persönlichen.
Wenn man Ihre Äußerungen der vergangenen Wochen verfolgt, sind Sie nicht gerade ein Fan der Kanzlerin.
Weil: Finden Sie? Ich habe schon großen Respekt vor der Gesamtleistung der Kanzlerin, auch vor ihrer Persönlichkeit. Im europäischen Umfeld hat sie die Interessen Deutschlands gut vertreten, aber soziale Aspekte zu sehr außer Acht gelassen. Ich wünschte mir vor allem, dass ihre Politik insgesamt weitsichtiger angelegt wäre, auch was die Bewältigung des demografischen Wandels angeht.
Die Ukraine-Russland-Politik der Bundesregierung und der europäischen Partner hat Ihnen auch nicht richtig gefallen.
Weil: Eines vorweg: Das russische Vorgehen auf der Krim ist ganz eindeutig ein Bruch des Völkerrechts und nicht zu akzeptieren. Wir haben diese Eskalation vielleicht auch deswegen erlebt, weil die Ukraine vor die Wahl gestellt worden war, sich für Russland oder für die EU entscheiden zu müssen. Die Ukraine ist aber leider – wie wir fast täglich sehen – ein innerlich gespaltenes Land. Daraus sollte die europäische Außenpolitik Lehren ziehen.
Ihre Schulnote für die Große Koalition bisher?
Weil: Eine 2 bis 3. Glatte 2 für die Energiepolitik, ich finde, das ist wirklich gut gelungen, ebenso die Einführung des Mindestlohns. Bei anderen Themen hat man sich zu sehr gegenseitig die Stöckchen hingehalten, etwa bei der Vorratsdatenspeicherung. Und es gibt Bereiche, da muss noch geliefert werden, was im Koalitionsvertrag steht. So müssen insbesondere die versprochenen zusätzlichen Bildungsmittel bald aktiviert werden.
Was heißt das konkret?
Weil: In dem Vertrag ist fixiert, dass die Bundesländer insgesamt sechs Milliarden Euro für den Ausbau der Bildungsangebote erhalten sollen. Das ist auch dringend notwendig, denn alle Länder haben die Schuldenbremse vor der Brust. Die Länder müssen die Bildungsausgaben weitgehend allein schultern, deswegen ist es dringend notwendig, dass diese zugesagten Mittel auch fließen.
In allen norddeutschen Bundesländern tobt die Debatte über die Schulzeit, die auf den Gymnasien bis zur Abiturprüfung zurückgelegt werden muss. Schleswig-Holstein sagt: Acht Jahre. Hamburg eigentlich auch, schwankt aber zusehends. Niedersachsen vollzieht die Kehrtwende und sagt: zurück zu neun Jahren. Wer soll das verstehen?
Weil: Ich kann die Debatten in den anderen Ländern nicht beurteilen. Bei uns in Niedersachsen sagen fast alle: Die Einführung von G8 war ein Fehler. Wir haben unisono die Rückmeldung, dass G8 mit viel Stress und Druck für die Schüler und Eltern verbunden ist.
Auch viele Arbeitgeber sagen mir, dass sie lieber reifere Absolventen einstellen würden. Manche Schüler brauchen einfach mehr Zeit sich zu entwickeln – ich gehörte früher selbst dazu. Ich war lange ein eher mäßiger Schüler, manchmal war es knapp davor, dass ich sitzen bleibe, bis dann in der 11. Klasse der Knoten platzte.
Und wer gute Noten hat, schneller sein will und eine Klasse überspringen möchte, der soll das bei uns mit einem begleitenden Programm auch in Zukunft tun können.
Die großen Unternehmen der Branche drängen gerade die Flächenländer dazu, die Fracking-Methode zur Ölgewinnung ausprobieren zu dürfen. Wird die Politik diesem Drängen am Ende nachgeben?
Weil: Anfragen in Bezug auf Fracking zur Ölgewinnung gibt es in Niedersachsen meiner Kenntnis nach bislang nicht, obwohl Niedersachsen – was fossile Bodenschätze angeht – durchaus das kleine Texas Deutschlands ist. Fracking zur Gasgewinnung aus Schiefer- und aus Tongestein wird von uns grundsätzlich abgelehnt, da die Risiken derzeit nicht abschätzbar sind.
Legen Sie sich da nicht zu früh fest?
Weil: Nein, wir stehen in einem guten Dialog mit den in diesen Bereichen tätigen Unternehmen und formulieren im Hinblick auf Fracking zur Gasförderung aus anderen Gesteinsarten nur klare Bedingungen: Giftfreiheit bei den eingesetzten Flüssigkeiten ist eine davon, und es darf nichts in Wasserschutzgebieten geschehen.
Jedes Projekt muss sich einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterziehen. Und die Öffentlichkeit muss breiter beteiligt werden können, als es die derzeitigen Gesetze hergeben. Das Thema ist in den Regionen außerordentlich sensibel, den Menschen ist es nicht egal, was tief unter ihnen in der Erde passiert. Diese Sorgen verstehen wir.
Durch Fracking könnte der Strompreis wieder sinken, das ist jetzt ja nicht gelungen.
Weil: Das durfte auch niemand erwarten. Es ging jetzt darum, den Preisanstieg zu drosseln, und das wurde erreicht.
Sie hätten die Ausnahmeregelung für energieintensive Unternehmen ändern können.
Weil: Da bin ich durch viele Gespräche klüger geworden. Viele unserer Unternehmen agieren auf dem Weltmarkt, und da entscheidet der Strompreis über Wettbewerbsfähigkeit. Unser Wohlstand beruht darauf, dass wir eine funktionierende Industrie haben, das muss uns immer bewusst sein.
Zwei letzte Fragen: Wer wird Weltmeister? Sie waren ja gerade auf Delegationsreise in Brasilien und müssten tiefere Erkenntnisse haben.
Weil: Trotzdem schwierig. Spanien bleibt mein Tipp.
Wer steigt aus der Bundesliga ab?
Weil: Da verweigere ich die Auskunft.