Hamburg. Seit ihrer Gründung im Jahr 2012 hat die Nordkirche fast ein Viertel ihrer Mitglieder verloren. Der Schwund hat sich zuletzt stark beschleunigt. Die Landesbischöfin macht sich Sorgen um ihre Kirche - und plädiert für mehr „Sozialraum-Orientierung“ der Gemeinden.
Der Mitgliederschwund der Nordkirche hat sich im vergangenen Jahr deutlich beschleunigt. Gut 46.000 Menschen seien in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern aus der evangelischen Kirche ausgetreten, sagte Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt am Dienstag in Hamburg. Die Nordkirche habe insgesamt 66.000 Mitglieder verloren, wenn man die Sterbefälle mit einrechne. Erstmals habe es mehr Austritte als Sterbefälle gegeben. Rund 1000 Menschen seien nach einem Austritt wieder in die Nordkirche eingetreten.
Als möglichen Grund für die vielen Austritte vermutete die Landesbischöfin zum einen die steigenden Energiepreise und Lebenshaltungskosten im vergangenen Jahr. Viele Menschen könnten sich gefragt haben, ob sie weiter Mitglied bleiben und Kirchensteuern zahlen wollen. Zum anderen könne es einen Nachholeffekt gegeben haben, weil in der Corona-Zeit für Kirchenaustritte weniger Amtszeiten zur Verfügung standen.
„Das macht mir natürlich Sorge“, sagte Kühnbaum-Schmidt mit Blick auf den Mitgliederschwund. Besonders viele Menschen seien im Raum Hamburg ausgetreten. Die drei Gemeinden mit der höchsten Austrittsquote lägen in der Hansestadt. Die Namen der Gemeinden wollte die Landesbischöfin nicht nennen. Sie lägen jedoch nicht Stadtteilen mit einer sozial schwachen Bevölkerung.
Bei der Gründung der Nordkirche 2012 war die Mitgliederzahl mit 2,3 Millionen angegeben worden. Ende 2021 waren es nach offiziellen Angaben noch gut 1,8 Millionen. Aus dem weiteren Schwund im vergangenen Jahr ergibt sich, dass die Nordkirche in den ersten zehn Jahren ihres Bestehens um fast ein Viertel geschrumpft ist.
Die Landesbischöfin bekräftigte eine Äußerung, die sie auf einer Landessynode im vergangenen September gemacht hatte: „Ich bin nicht bange um die Zukunft unserer Kirche.“ Die Kirche werde sich verändern. Die Menschen suchten sehr nach Sinnangeboten. Sie wünschten eine persönliche und individuelle Begleitung, besonders in den Hoch- und Krisenzeiten des Lebens, bei Taufe, Hochzeit und Beerdigung. Auch bei öffentlichen Trauerfeiern wie nach der Messertat im Regionalzug bei Brokstedt oder nach dem Erdbeben in der Türkei und Syrien sei die Begleitung der Kirche gefragt.
„Dem gegenüber steht ein Mitgliedschaftsverhalten, das immer weniger verbindlich ist“, sagte Kühnbaum-Schmidt. „Was wir sehen, ist eine ereignisbezogene Teilnahme an Kirche.“ Die Nordkirche arbeitet seit vergangenem Jahr an einem Zukunftsprozess „Horizonte hoch 5“. „Die Kernthemen sind zum einen der Wunsch, unser evangelisches Profil weiterzuentwickeln und sozialraum-orientiert zu arbeiten“, sagte Kühnbaum-Schmidt.
Als Beispiel für diese Sozialraum-Orientierung nannte sie die Immanuel-Gemeinde auf der Hamburger Veddel, die sich in dem international geprägten Stadtteil von einem Kirchenzentrum zu einem Stadtteilzentrum werden wolle. Gemeinsam mit den Bewohnern des Viertels möchte die Gemeinde Formen von Gemeinschaft und Nächstenliebe entwickeln. „Aber wir entwickeln es mit denen, die hier sind, und nicht so sehr von der Idee aus, was wollen wir als Kirche mal machen“, sagte die Bischöfin über das Anliegen der Gemeinde. „Das ist eine veränderte Haltung.“
Die Nordkirche wolle ferner die Digitalisierung vorantreiben. „Wir haben nicht nur in Corona-Zeiten, sondern auch darüber hinaus gelernt und erleben, dass Menschen über digitale Formen sich beteiligen möchten oder andere Kontakte zur Kirche finden als über den Besuch eines Sonntagsgottesdienstes in einem Kirchengebäude.“ Gerade jüngere Generationen könnten so wieder leichter mit Glaube und Kirche in Kontakt kommen.