Rügen. Die schönsten Urlaubsorte an Nord- und Ostsee. Teil 14 der Serie. Traumstrände, intakte Natur: Auf Rügen findet man fast alles.
Flapp, flapp, flapp, flapp! Zwei Schwäne nehmen auf der seichten Lagune mit weiten Schritten Anlauf. Flapp, flapp, flapp, flapp! Mit kräftigen Schwüngen erheben sich die prachtvollen Vögel gemächlich über die spiegelblanke Wasseroberfläche der Having. Ihre Hälse weit nach vorn gereckt nehmen sie Kurs über die Bucht auf die Insel Vilm. Das Sirren der Schwingen wird leiser. Schon bald verschwinden die stolzen Vögel hinter einem geschwungenen Schilfgürtel in der Ferne. Die wenigen Gäste am Morgen im Restaurant des reetgedeckten Hotels am Hafen von Moritzdorf konzentrieren sich wieder ganz auf ihr Frühstück. Gelungener Start in einen wunderschönen Urlaubstag auf der Ostseeinsel Rügen.
Wer die Ruhe und Abgeschiedenheit in der Natur sucht, ausgedehnte Spaziergänge und Radtouren an der Küste und im Hinterland liebt, auf ehrliche, regionale Küche schwört und dennoch auf Strandleben nicht ganz verzichten mag, ist auf Rügen goldrichtig. Gut drei Autostunden von Hamburg entfernt liegt Deutschlands größte Ferieninsel. Mit 926 Quadratkilometern ist Rügen etwas größer als Hamburg (755 Quadratkilometer) – dafür aber mit lediglich 77.000 Einwohnern wesentlich dünner besiedelt.
Auf Rügen kann es zur Hauptsaison an den Hauptorten eng werden
Aber auch auf Rügen kann es zur Hauptsaison an den Hauptorten schon mal eng werden. Die mondänen Ostseebäder Binz und Sellin mit ihrer schicken Bäderarchitektur und ihren ganz auf den Tourismus eingestellten, von Hotels, Boutiquen und Restaurants gesäumten Einkaufsstraßen und Promenaden locken im Zusammenspiel mit weitläufigen, feinsandigen Stränden und dem weltberühmten Kreidefelsen mit dem Königsstuhl im Nationalpark Jasmund Jahr für Jahr mehr und mehr Besucher auf die Insel. 6,4 Millionen Übernachtungen zählte der Tourismusverband im Jahr 2019 – Rekord.
Das war nicht immer so. Die schroffe Inselschönheit im Osten hat sich in den vergangenen Jahren mächtig herausgeputzt. Zahlreiche Hotels und Feriendörfer sind entstanden, und immer noch kommen neue wie Klein Stresow bei Putbus im Landesinnern oder Gager und Lobbe auf der Halbinsel Mönchgut hinzu. Immobilien mit Meerblick sind heiß begehrt und werden auch auf Rügen nur noch zu sehr hohen Preisen angeboten.
Die wahren Schätze liegen im Verborgenen. Urlauber gelangen vom Festland über die durchaus sehenswerte Hansestadt Stralsund mit ihrer historischen Altstadt und dem Ozeanum auf die Insel. Es geht dabei über die gut 2,8 Kilometer lange Rügenbrücke in luftiger Höhe von rund 40 Metern und weiter über den Rügendamm.
Ehrliches Ostseebad mit ausgedehntem Sandstrand
Mit dem Auto angekommen, klinken wir uns von der B 96 so schnell wie möglich auf die Deutsche Alleenstraße aus. Unser Ziel ist die Halbinsel Mönchgut mit dem Ostseebad Baabe, südlich von Sellin gelegen. Knorrige, windschiefe Bäume begleiten uns bei der Fahrt durch die ländlich-dörfliche Idylle. In Poseritz machen wir einen kurzen Zwischenstopp, stärken uns mit Kaffee und köstlichem Kuchen im kleinen Hofrestaurant der hiesigen Molkerei und versorgen uns mit regionalen Produkten wie Joghurt, Buttermilch und Sanddornspezialitäten für unterwegs. Einen Steinwurf entfernt schwelgt ein privater Sammler mit einer recht ansehnlichen Reihe von Simson, MZ und Schwalbe-Mopeds in Ostalgie. Neugierige lässt er für einen Schnack an seinen hinter Glas konservierten Schätzen teilhaben.
Drei Tipps:
- Eine reizvolle Radtour führt von Moritzdorf über Göhren bis Thiessow am Südzipfel der Insel. Auf dem Rückweg bietet es sich an, von Lobbe nach Middelhagen zu fahren, wo in einer Töpferei Mönchgut-Keramik verkauft wird.
- Mit einer Länge von 1250 Metern schlängelt sich der Baumwipfelpfad im Naturerbe-Zentrum Rügen durch einen Buchenwald. Höhepunkt ist der 40 Meter hohe Aussichtsturm ,,Adlershorst“.
- Eine beliebte Wanderung verläuft von Moritzdorf nach Seedorf. Eine kleine Fähre bringt die Spaziergänger ans andere Ufer. Dort geht es vorbei an reetgedeckten Häusern hinein in die unberührte Natur der Boddenlandschaft.
Wir wollen weiter. Über Putbus und Sellin erreichen wir nach einer knappen Dreiviertelstunde auf der Alleenstraße Baabe – ein unprätentiöses, ehrliches Ostseebad mit ausgedehntem Sandstrand. Eine Stunde dauert von dort der Strandspaziergang an der Steilküste entlang bis nach Sellin mit seiner weithin sichtbaren Seebrücke. Seit 1998 erstreckt sich die elegante Holzkonstruktion nach historischem Vorbild von 1927 ganz in Weiß und fast 400 Meter lang weit hinaus auf die Ostsee. Eine Tauchkugel setzt den markanten Schlusspunkt.
Als sei die Zeit stehen geblieben
Zurück am Ufer geht‘s zu Fuß die Treppen hinauf. Oder mit dem Fahrstuhl. Auch der bewältigt die 30 Meter Höhenunterschied zur Wilhelmstraße im Zentrum Sellins – gut zum Shoppen und Verweilen. Im Fischrestaurant Zum Skipper an der Wilhelmstraße gibt es fangfrischen Ostsee- und Boddenfisch zu angemessenen Preisen. Eines von vielen Beispielen für eine zünftige Einkehr – wenn alles wieder aufhat.
Ortswechsel. Vom neuen Yachthafen am Selliner See gleiten die Segelboote bei schönem Wetter auf dem Weg in die Having durch die Baaber Bek nach Moritzdorf – ein idyllisches Fleckchen. Fast wirkt es so, als sei die Zeit stehen geblieben. Wo sonst findet man noch einen brummigen Fährmann, den man mit einer Glocke herbeiruft und der seine Fahrgäste mit dem Ruderboot ans andere Ufer übersetzt?
Moritzdorf ist nicht nur Startpunkt der Ausflugsschiffe zur Insel Vilm, wo einst die politische Elite der DDR um Staatschef Erich Honecker Urlaub machte. Es ist vielmehr perfekter Ausgangspunkt für ausgedehnte Wanderungen zu Fuß oder mit dem Rad, die man in Baabe wie überall auf der Insel problemlos mieten kann. Unglaubliche 800 Kilometer umfasst das gut ausgebaute Rad- und Wanderwegenetz.
Reizvolle Tour von Moritzdorf bis Thiessow
Ein schönes Ziel im Mönchgut ist Seedorf, verträumt am Zulauf des Neuensiener Sees gelegen. Zur Einkehr sei der Gasthof Drei Linden empfohlen, der dekoriert mit allerlei seemännischem Tand wie Masken, Muscheln und präparierten Kugelfischen einer urigen Kajüte ähnelt. Fangfrischen Fisch auf den Punkt gegart gibt es dort natürlich auch. Den optischen Reizen der Gaststätte ist einst schon Schlagerikone Helene Fischer erlegen, die in Seedorf ihr erstes Musikvideo aufnahm.
Am besten bewegt man sich durch das Mönchgut mit dem Rad. Eine reizvolle Tour führt von Moritzdorf über Göhren über Lobbe bis Thiessow am Südzipfel Rügens. Zurück geht‘s über Middelhagen, wo Töpfer und Keramiker Thom Wilcke in seinem stetig wachsenden Haus mit Galerie originelle Mönchgut-Keramik produziert und verkauft. Ebenfalls in Middelhagen finden Urlauber etwas abseits auf einer Anhöhe die Mönchguter Hofbrennerei Zur Strandburg – Rügens einzige Whisky-Destille, die Kay Kliesow mit seinem Sohn Thomas zum Erfolg geführt hat. Gäste können ausgiebig probieren und dem Brennmeister beim Destillieren zuschauen und sich den Herstellungsprozess erklären lassen. Der Whisky reift in 250-Liter-Fässern aus amerikanischer Eiche im Keller der ehemaligen Mühle heran und wird anschließend im neuen Barrique veredelt, damit er seine typische, unverwechselbare Geschmacksnote erhält. Feine Liköre und Obstbrände gehören ebenfalls zum Angebot der kleinen Destille.
So kommen Sie nach Rügen:
- Anreise mit der Bahn: Täglich fahren Züge vom Hamburger Hauptbahnhof nach Bergen auf Rügen. Der ICE fährt bis Stralsund, von dort geht es weiter mit dem Regionalexpress. Die Fahrt dauert insgesamt vier Stunden und acht Minuten.
- Anreise mit dem Wagen: Die rund 320 Kilometer lange Fahrt über die A 20 von Hamburg bis Stralsund und von dort weiter über die gut ausgebaute B 96 nach Sellin/Baabe dauert mindestens drei bis dreieinhalb Stunden. Über die landschaftlich reizvolle Deutsche Alleenstraße sollte man 20 Minuten zusätzlich einplanen.
Wer sich dagegen einmal so richtig schön durchpusten lassen möchte, hat dazu beim ausgedehnten Spaziergang am Großen Strand von Lobbe Gelegenheit. Vorausgesetzt, der Wind weht. Kilometerlang zieht sich der helle Küstenstreifen Richtung Süden. Kitesurfer haben das seichte Wasser für sich entdeckt. Wenn der Sturm vorüber ist, kommen die Bernsteinsammler, um mit etwas Glück ein paar der glitzernden Steinchen aus dem angespülten Tang zu fischen.
Im Frühjahr und im Herbst ist am Strand nicht viel los
Im Frühjahr und im Herbst ist am Strand nicht allzu viel los. Im Sommer, wenn die Ferienhäuser, Hotels und alle 240 Parzellen des Campingplatzes Dat Stranddorp in Lobbe belegt sind, sieht die Welt auch hier etwas anders aus.
Auf keinen Fall versäumen sollten Besucher einen Abstecher auf die Zickerschen Berge – ein hügeliger Landstrich mit atemberaubenden Ausblicken. Am Fuße der Berge befindet sich das Restaurant Taun Hövt. Dessen exzellente regionale Küche entschädigt für die etwas abenteuerliche Anfahrt über altes Kopfsteinpflaster, aus denen die Dorfstraße seit Ewigkeiten besteht.
Die schönsten Sonnenuntergänge lassen sich ebenfalls auf den Zickerschen Bergen, aber auch im Ort Klein Zicker erleben. Der winzige Küstenort war zurzeit des Kalten Krieges wichtiger Horchposten der russischen Armee. Über die Jahre hatten sich die Einheimischen an die Russen gewöhnt und sich mit ihnen angefreundet. Als die Soldaten nach der Wende zurück in ihre Heimat abzogen, seien Tränen geflossen, berichtet eine alte Dame aus dem Dorf.
Spektakuläre Ausblicke von der Seebrücke
Doch was wäre ein Rügen-Urlaub ohne einen Ausflug nach Binz. Spektakuläre Ausblicke gibt es dort nicht nur von der Seebrücke, sondern auch vom Baumwipfelpfad im Naturerbe Zentrum Rügen im Ortsteil Prora. Mit einer Länge von 1250 Metern und auf einer Höhe von vier bis 17 Metern schlängelt sich der Pfad durch die Baumkronen eines Buchenwaldes. Der gesamte Park ist familienfreundlich gestaltet und mit maximal sechs Prozent Steigung auch mit dem Rollstuhl und Kinderwagen befahrbar.
Was noch fehlt? Ein Sternekoch. Feinschmecker finden ihn im Binzer Restaurant Canteen, ein kleines Restaurant mit witzigen Accessoires an den hölzernen Wänden. Die Gäste treffen sich zum dreigängigen Captain‘s Dinner mit Ralf Haug zum Überraschungsmenü an langen Tischen. Nur wilde Schwäne kann man von dort nicht sehen.
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