Lüneburg. Lüneburg lässt die Salzstraße Am Wasser sanieren – ein Balanceakt zwischen Denkmalschutz und Barrierefreiheit.

Schon gewusst? Bulleneier sind kleiner als Katzenköpfe. „Wie viele davon wir hier aufgenommen und wieder eingebaut haben?“ Thomas Kroll schüttelt den Kopf als Antwort auf diese Frage. „Viele. Sehr viele!“ Der Inhaber der Lüneburger Firma für Tief- und Straßenbau steht an der Salzstraße Am Wasser, der aktuell aufwendigsten Straßenbaustelle der Stadt. Denn die Straße in der Innenstadt steht unter Denkmalschutz. Da heißt es, jedem Bullenei und jedem Katzenkopf sorgsam einen neuen Platz auszuwählen.

Bulleneier sind relativ kleine, runde Lesesteine, die sich gut auf frisch gepflügten Feldern sammeln lassen. Daher nennt man sie auch Sammelsteine. „Katzenköpfe sind etwas größer“, erklärt Kroll. Aus einer Mischung von Bulleneiern und Katzenköpfen besteht die Seite der Straße, die direkt am Wasser der Ilmenau liegt – kein echter Gehweg, eher Platz für idyllisch gelegene Außenbestuhlung der Gastronomie mit Blick auf alten Kran, Brausebrücke und Abtswasserturm. Wie lange sie dort schon liegen, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen.

Weil die Steine so stark abgesackt waren, drohte die Sperrung

Wohl aber, wie lange die eigentliche Straße ihre heutige Anmutung besitzt: nämlich seit dem 19. Jahrhundert. Die Pflasterung, in der Fachsprache Großkopfpflaster genannt, war damals fortschrittlich. Doch die Steine waren in den vergangenen Jahren teilweise so stark abgesackt, dass die Straße beinahe gesperrt werden musste. Mit dem Fahrrad dort zu fahren: ein Ding der Unmöglichkeit – oder zumindest sehr unbequem.

Hier ist Handwerkskunst gefragt: Die Steinsetzer wählen für eine Reihe stets nur Steine aus, die gleich breit sind.
Hier ist Handwerkskunst gefragt: Die Steinsetzer wählen für eine Reihe stets nur Steine aus, die gleich breit sind. © HA | Carolin George

„Die Straße war eine Katastrophe“, fasst es Uta Hesebeck zusammen, Lüneburgs Fachbereichsleiterin für Straßen- und Ingenieurbau. Schon längst hätte die Stadt die Straße sanieren wollen, am liebsten schon 2017 gemeinsam mit der Baumstraße nebenan. Doch weil die Salzstraße Am Wasser unter Denkmalschutz steht, brauchte es noch mehr Abstimmungen als ohnehin notwendig: mit dem Arbeitskreis Lüneburger Altstadt, der Denkmalbehörde im Baudezernat der Stadt, dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege, der Verkehrsbehörde, den Radfahrverbänden, dem Behindertenverband, den Gewerbetreibenden und den Menschen, die dort leben.

Die Lösung: Die Straße besteht weiterhin aus den Originalsteinen

„Wir haben viele, viele Gespräche geführt und viel, viel Schriftverkehr“, sagt Uta Hesebeck. „Nach vier Jahren sind wir schließlich zu einer Einigung gekommen.“ Die Herausforderung, so die Tiefbauchefin, sei der Konflikt zwischen Denkmalschutz und Barrierefreiheit. In dem neuen Gebäudekomplex gebe es eine Arztpraxis, außerdem sei die Stadt darum bemüht, dass Fahrräder,m Rollstühle und Rollatoren möglichst überall einen Weg finden.

„Wir mussten etwas tun“, sagt die Tiefbauchefin. Am Visculenhof hatte sich die Verwaltung das erste Mal getraut, geschnittene Granitsteine zu verwenden, damit die Oberfläche ebener ist. Was folgte, war eine jahrelange Auseinandersetzung um den Denkmalstatus. Das sollte in der Salzstraße Am Wasser nicht noch einmal passieren.

„Das ist echte Handwerkskunst, das beherrschen nicht mehr viele“

Die Lösung: Die Straße besteht weiterhin aus den Originalsteinen, die dort auch vorher schon seit 150 Jahren lagen, allerdings eingeebnet und neu festgeschlagen. Richtig neu sind aber zwei Streifen an beiden Seiten: In diesen Bereichen liegen zwar auch die echten, alten Großkopfpflastersteine – für Fahrrad- oder Rollstuhlreifen reifen sind sie allerdings an der Oberfläche glattgeschnitten.

Zu Besuch auf der Baustelle: v.l. Bauleiter Björn-Olde Backhaus, Uta Hesebeck und Thomas Kroll.
Zu Besuch auf der Baustelle: v.l. Bauleiter Björn-Olde Backhaus, Uta Hesebeck und Thomas Kroll. © HA | Carolin George

Die Anzahl Großkopfpflastersteine lässt sich ungefähr beziffern: Mindestens 55.000 dürften es sein, rechnet Thomas Kroll aus, die er mit seiner Firma aufgenommen, zwischengelagert und neu eingebaut hat. „Die Steinsetzer pulen sich beim Einbauen immer Steine aus dem Haufen heraus, die in der Breite zueinanderpassen. Das ist echte Handwerkskunst, das beherrschen nicht mehr viele.“

Die Stadt muss nur zehn Prozent der Kosten selbst zahlen

Lüneburgs Bauleiter Björn-Olde Backhaus weiß ihre Erfahrung zu schätzen. „Die spüren das blind, wenn sie den richtigen Stein in der Hand haben.“ Fünf Mal werde jeder Stein am Ende der Sanierungsarbeiten von den Männern angefasst worden sein. Und die Anzahl der neu eingeschlagenen Bulleneier und Katzenköpfe lässt sich wirklich nicht schätzen? „Mindestens genauso viele wie Großkopfpflaster“, sind sich beide einig. „Wenn nicht mehr.“

So viel Aufwand hat seinen Preis: 430.000 Euro. Die Stadt muss allerdings nur zehn Prozent selbst zahlen, den Rest übernehmen Land und Bund. In vier Wochen ist die Baustelle fertig. Parken ist für Autofahrer an der neuen schönsten Straße des Viertels dann nicht mehr erlaubt, es gibt ausschließlich einen Behindertenstellplatz. „Das wird richtig schön hier“, sagt Lüneburgs Tiefbauchefin Uta Hesebeck. „Das feiern wir mit einem großen Straßenfest.“