Bardowick. Buchbindereien erfüllen Sonderwünsche und verzeichnen einen Trend weg vom Internet. Doch die alte Handwerkskunst hat auch ihren Preis.
Stapelweise Zeitungen warten in einem Atelier bei Lüneburg auf ihren Einband für das Langzeit-Archiv, besondere Schmuckschatullen und Fotoalben-Deckel werden hier individuell gestaltet. Buchbindereien erfüllen Sonderwünsche und verzeichnen einen Trend weg vom Internet. Wir haben und in Bardowick einen Überblick verschafft.
Akribisch fegt Sabine Rost mit einem Pinsel Staub- und Schmutzpartikel aus der mindestens 200 Jahre alten Bibel. Jedes Eselsohr wird geglättet, auch neue Deckblätter und Beschläge benötigt das geerbte, hunderte Seiten dicke Exemplar einer Theologin. „Dafür brauchen wir ein halbes bis ganzes Jahr“, erzählt die Buchbindermeisterin, die in Bardowick im Landkreis Lüneburg seit zwölf Jahren mit ihrem Mann in einer alten Scheune ein Geschäft betreibt.
Reparatur einer 200 Jahre alten Bibel dauert bis zu einem Jahr
Die Kosten für die zeitaufwendigen Reparatur gehen in den vierstelligen Bereich. Das Teuerste ist die Arbeitszeit der Spezialisten. „Wir haben viele Stammkunden, die retten wollen, was bei ihnen im Keller herumliegt“, sagt Friedemann Rost. „Das wird immer mehr, die Leute wollen etwas mit Bestand haben, an dem sie emotional hängen.“
Den kleinen Trend kann Maik Beckmann, Vorsitzender des Bundes Deutscher Buchbinder, bestätigen: „Je Digitaler, umso wichtiger empfinden es manche Leute, etwas anfassen zu können.“ Viele legten Wert auf gebundene Bücher, besonders Kinderlektüre würde für die nächste Generation wieder aufbereitet – und edel aufbereitete Hochzeitsalben verschenkt.
Von der Unesco als immaterielles Weltkulturerbe anerkannt
Die Handwerkskunst wurde im vergangenen Jahr von der Unesco als immaterielles Weltkulturerbe anerkannt, berichtet Beckmann. „Uns wird es immer geben, das Buch stirbt nicht aus.“ Allerdings seien die Herstellungs- und Materialkosten deutlich gestiegen. „Die Preise gehen durch die Decke. Und die unsichere Lage insgesamt geht auch an unserem Handwerk nicht vorbei“, meint der Bundesvorsitzende Beckmann, der in Bochum eine Buchbinderei betreibt. An die 600 Handwerksbetriebe gebe es etwa in Deutschland, da kenne fast jeder jeden.
Je älter Menschen werden, umso mehr schätzen sie Handwerkskunst
Auch Anja Müller-Glüsing, die zusammen mit ihrem Mann eine Buchbinderei in Nienhagen im Landkreis Celle betreibt, berichtet von einem schwierigen Markt. „Es ist generationsbedingt. Je älter die Menschen werden, umso mehr schätzen sie das handwerklich Gefertigte“, sagt sie. Aber: „Das Geld sitzt nicht mehr so locker und viele haben nicht den Sinn für Sonderanfertigungen.“ So koste ein Fotoalbum schon mal 250 Euro. „Es ist ein schwieriger Bereich, viele finden keine Nachfolger mehr.“ Als Familienbetrieb in einer Nische könne das Geschäft aber noch funktionieren.
Sabine Rost aus Bardowick berichtet dagegen, dass es wieder in Mode komme, Fotos abzuziehen und einzukleben. Im Gegensatz zu einfachen Fotobüchern könnten in den Edel-Ausgaben Eintrittskarten in die Alben geklebt und Kommentare dazu geschrieben werden. Die Berlinerin und der Braunschweiger lernten sich auf der Meisterschule kennen.
Regionale Tageszeitungen lassen Exemplare für das Archiv binden
Aus Papier, Karton und Pappe, aber auch aus Stoff, Leder und Pergament erschaffen die Buchbinder Neues, reparieren oder veredeln. Für viele regionale Tageszeitungen werden Exemplare für das Archiv gebunden. „Das ist etwas unhandlich, aber wir haben uns darauf spezialisiert“, erzählt die 43-Jährige vor einem fein säuberlich sortierten Zeitungsstapel auf ihrer Buchpresse.
Ärzte lassen besondere Fachzeitschriften binden, jüngere Menschen Fotoalben noch einmal kleben, Restaurants exquisite Speisekarten entwerfen. „Das sind alles Luxusprodukte“, sagt sie. „Es funktioniert nicht alles übers Internet.“ Beliebt seien auch Papp-Boxen für Juweliere, in denen wertvolle Schmuckstücke Platz fänden. Alle paar Jahre fertigen sie ein Goldenes Buch an, zuletzt für die Stadt Lüneburg.
Auch Praktikanten oder Wandergesellen sind in Bardowick willkommen
Immer wieder nehmen sie in ihrem Betrieb Praktikanten an und bieten Wandergesellen ein Quartier. Wer eine dreijährige Ausbildung anstrebt, muss flexibel sein, das geht nicht immer am Wohnort. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn die giftigen Bleilettern zum Einsatz kommen, die zu Hunderten in den Schubladen schlummern. „Man muss das Wissen ja auch weitergeben“, meint Sabine Rost.