Lüneburg. Ute Lemper begeistert mit ihrer Hommage an Marlene Dietrich in Lüneburg. Eine bewegende Show, deren Ursprung in einem Telefonat liegt.

Mit dem Welthit „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ entert Ute Lemper die Bühne und erntet noch vor Beginn ihrer Show den ersten Applaus des Abends. Diesen genoss Lemper sichtlich, denn ihr Auftritt, bereits für 2020 geplant, musste wegen Corona lange verschoben werden. Die mittlerweile 59 Jahre alte Sängerin und Schauspielerin setzte sich in einen großen schweren Ledersessel und begann zu erzählen.

Einst schickte die 24-jährige Ute Lemper ihrer Ikone, der großen Marlene Dietrich, eine Postkarte. Die Femme fatale lebte damals bereits seit mehr als einem Jahrzehnt in ihrer Matratzengruft in der Rue Montaigne Nummer 12 in Paris. Währenddessen wurde Ute Lemper 1987 als Sally Bowles im europäischen Revival von Cabaret selbst zum Weltstar. Früh verglich die französische Presse Ute Lemper mit Marlene Dietrich, was der jungen Frau „etwas unheimlich“ vorkam.

1000 Zuschauer im großen Hörsaal der Leuphana Universität

Sie beschloss, sich dafür bei der Dietrich zu entschuldigen. Diese rief prompt zurück. Ein dreistündiges Telefonat folgte, in dem Marlene Dietrich ihre ganz eigene Lebensgeschichte erzählte und keine Fragen von Ute Lemper zuließ. „Es ist ja kein Interview, meine Liebe!“ Sie wollte nur reden, um der Einsamkeit in ihrem Exil eine Zeit lang zu entkommen.

„Marlene war eine progressive Frau. Eine Frau der Zukunft“, beginnt Ute Lemper ihre Einführung in den Abend. Vor rund 1000 Zuschauern im großen Hörsaal der Leuphana Universität hätte man zu diesem Zeitpunkt eine Stecknadel fallen hören können, so gebannt lauschten die Gäste den Erzählungen. Sofort war Ute Lemper in ihrem Element und nahm das Publikum durch ihre gewaltige Bühnenpräsenz mit in ihr Pariser Hotelzimmer, in dem 1987 das für die junge Lemper wegweisende Telefongespräch geführt wurde.

Unglückliche Liebe riss Marlene Dietrich in eine tiefe Lebenskrise

Marlene Dietrich war damals bereits eine Getriebene, dazu kam eine unglückliche Liebe, die sie in eine tiefe Lebenskrise riss. Einen Schmerz, den die Diva bis zu ihrem Tod im Mai 19992 nicht überwinden konnte und der sie in einen Sog der Abhängigkeit von Alkohol und Tabletten führte. „Mein Herz zieht mich nach Frankreich, meine Seele geht nach England und meine Knochen gehen nach Deutschland“, hatte die Dietrich ihre Ambivalenz zusammengefasst. „Und auch mit einem sentimentalen Heimwehgefühl nach Berlin, das sie erst mit Koffer beziehungsweise Coffin – also Sarg – wieder betrat, nachdem man sie in den Sechzigern auf ihrer Konzerttournee als Vaterlandsverräterin geschmäht hatte“, ergänzte Ute Lemper jetzt in Lüneburg.

Während des Gesprächs habe Marlene den Hörer oft zur Seite gelegt und sei durch ihr Wohnzimmer getanzt, genau wie Ute Lemper am Sonnabendabend über die Bühne des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF). In dessen Rahmen trat der Weltstar in Lüneburg auf und gab einen tiefen Einblick in das Seelenleben der oft Geliebten, oft Gescholtenen. Noch vor der Pause gab es den Antikriegsklassiker „Sag mir, wo die Blumen sind.“

Lemper saß wie die Lola an einem Rumfass und trug Melone

Danach ging Ute Lemper auf das filmische Schaffen von Marlene Dietrich ein, die spätestens mit dem Film „Der blaue Engel“ ihren Durchbruch schaffte und später, auch wegen ihrer Verachtung für Hitler und den Nationalsozialismus, in die Traumfabrik nach Hollywood wechselte. Dafür setzte sich Lemper, wie die Lola im Film, an ein Rumfass und trug eine schwarze Melone auf dem Kopf. „Ich bin die fesche Lola“, stimmte sie an und trat mit ihrer eigenen Art spätestens hier aus dem Schatten der großen Dietrich.

Marlene drehte mit den ganz Großen und liebte die ganz Großen ihrer Zeit – Männer wie Frauen. Mit John Wayne, Alfred Hitchcock und James Stewart drehte sie Filme. Sie habe Liebesaffären geführt, unter anderem mit John F. Kennedy „sowie mit seinem Vater und seinen Onkel“, erinnert sich Lemper an das Telefonat. Damit einher ging ihre Inszenierung als Sexsymbol und Hollywood-Diva. Ein Filmangebot in den 1950er-Jahren lehnte sie mit dem legendären Satz „No Dior, No Dietrich“, ab. Sie liebte das Funkeln im Licht der Bühne, und so kommt auch der Star des Abends im engen weißen und bodenlangen Kleid auf die Bühne.

Lemper traute sich damals nicht, noch einmal bei der Dietrich anzurufen

Bis zu ihrem 75. Lebensjahr tourte Dietrich als Sängerin durch die Welt, nur mit ihrem Geburtsland schloss sie keinen Frieden mehr. „Ein Name, der wie ein Streicheln beginnt und wie ein Peitschenhieb endet“, meinte Jean Cocteau einmal über seine Freundin Marlene. Immer öfter wurden auch die Ausfälle auf den Bühnen, bei denen sie das eine oder andere Mal in den Bühnengraben gestürzt sein soll.

Sie zog sich zurück nach Paris, wo sie im Mai 1992 starb. Dietrich und Lemper haben nie mehr gesprochen. „Ich habe mich einfach nicht getraut zurückzurufen“, so Ute Lemper, die längst selbst zum Weltstar avanciert war. Das Gespräch endete genauso überraschend, wie es begonnen hatte, genau um 23 Uhr, erinnert sich Lemper. Aber nicht ohne das Versprechen, irgendwann ihre Geschichte zu erzählen.

Zum Abschluss die Knef: „Ich hab noch einen Koffer in Berlin“

„Nun ist der richtige Zeitpunkt gekommen“, sagte Lemper. Der Abend endet mit einem Song von Hildegard Knef: „Ich hab noch einen Koffer in Berlin.“ Minutenlanger Beifall und Bravo-Rufe hallen durch das Liebeskind-Auditorium. „Es war wie ein intimes Rendezvous mit zwei Diven“, schilderte ein Besucher seine Eindrücke.