Wentorf. Der 67-jährige Wentorfer hat eine Sendung beim Websender ByteFM. Der ist jetzt auch auf UKW zu hören.
Radio hören: Ist das nur etwas für Nostalgiker? Oder Hintergrundgeplätscher, um die Hausarbeit zu erledigen? Als Dudelfunk verschrien, hatte das Medium Radio zuletzt einen weniger tollen Ruf. Doch seitdem Podcasts immer beliebter geworden sind, sieht Heinrich Oehmsen auch wieder Chancen für das Medium Radio. Für den Moderator des Digitalsenders ByteFM und langjährigen Kulturredakteur des Hamburger Abendblatts hat das Medium Radio seinen Reiz aber nie wirklich verloren.
„Ich habe meine gesamte musikalische Sozialisierung übers Radio erfahren“, erzählt der 67-Jährige, der seit 1986 in Wentorf lebt. „Nach der Schule habe ich die Sendung ,Musik für junge Leute’ auf NDR 2 gehört, außerdem Radio Bremen und AFN (American Forces Network). Ich bin schon mit zwölf Jahren mit dem Virus Radio infiziert gewesen.“ Auf diesem Wege habe er seine Neuentdeckungen in der Musik gemacht.
Als Student hat er fast nur noch Jazz gehört
„The Last Time“ von den Rolling Stones war 1965 der Beginn seiner Leidenschaft für die Pop-Musik. Seine besondere Liebe gehört allen Genres afroamerikanischer Musik: von Funk über Soul bis zu HipHop, aber auch Free-Jazz. „Ich habe wahnsinnig viel im Radio mitgeschnitten“, erzählt Heinrich Oehmsen. „Das war damals der einfachste Weg, die Musik immer wieder hören zu können. Als Student habe ich dann fast nur Jazz gehört.“ Damals hätte er vermutlich nicht davon zu träumen gewagt, dass er einmal Künstler wie Nick Cave, Pete Townsend (The Who) oder Neil Young interviewen würde.
Heinrich Oehmsen volontiert von 1982 bis 1984 bei der Bergedorfer Zeitung, landet nach kurzen Abstechern bei den Norddeutschen Nachrichten und der Bild 1993 in der Pop-Redaktion des Hamburger Abendblatts. Nicht nur Musik, auch Theater und Film sind sein Metier: Bis 2009 arbeitet er als Kulturredakteur beim Abendblatt, für das er heute noch als Autor schreibt. Seit 2010 ist er auch Lehrbeauftragter an der Leuphana Universität Lüneburg.
Er nimmt die Musik ernst, will nicht nur auf gute Laune machen
Sein ganzes Herzblut aber gilt der Musik, für die er auch andere begeistern will. „Radio war immer wichtig, wurde aber auch immer schwieriger“, stellt der 67-Jährige fest. „Die Sendungen, die ich gehört habe, wurden nach und nach in die Nacht verlegt.“ Als 2002 der NDR-Moderator Klaus Wellershaus in Rente geht, machen Oehmsen und einige Freunde sich ernsthaft Sorgen um ihr Lieblingsmedium.
Alexander Schulz, Sancho Panzer und er gründen einen Verein, um eigene, werbefreie Musikprogramme senden zu können. „Aber an eine Frequenz kamen wir nicht ran“, erinnert sich der Musikfan. Mit ihrem Radio HHeinz ging es über Umwege schließlich zum Websender ByteFM. Bis vor einem Jahr sendeten sie ihre Programme namens „das Draht“ im Kollektiv. Gemeinsam mit Alexander Schulz hat er 2006 auch das Reeperbahn Festival konzipiert.
Tim Bendzko oder gar Helene Fischer? „Niemals“
Die herkömmlichen Sender sind für sie keine Alternative. „Ich bin zwar ein Freund des Mainstreams, aber dieses dünne Rinnsal an schlechter Musik, was diese Sender bringen – und was diese Leute für einen Blödsinn reden, um sogenannte gute Laune hervorzurufen“, schimpft Oehmsen. „Dabei gibt es so viel richtig gute Musik. Ich bin dabei ganz ernsthaft, meine Sendung soll zwar Spaß machen, aber es geht mir darum, die Hörer und auch mich selbst zu überraschen.“
In seiner Sendung werde er niemals Tim Bendzko oder gar Helene Fischer spielen. „Das sage ich mit voller Arroganz“, erklärt der Moderator. „Wenn man dagegen beispielsweise Element of Crime hört, die unglaublich poetische Texte und Musik bringen: Das sind großartige Kunstwerke!“
2000 Vinyl-Platten und 13.000 CDs
Musik hört Heinrich Oehmsen bewusst – mit Kopfhörern. Währenddessen macht er sich direkt Notizen. Heute hat er Zugriff auf 200.000 Songs, er weiß sofort, ob ein Song „funktioniert“. „Einen Vorlauf für meine Sendung brauche ich nicht, ich mache das mit meinen Notizen aus dem Handgelenk.“ Seine eigene Sammlung umfasst 2000 Vinyl-Platten und seit dem jüngsten Umzug noch 13.000 CDs. „Ich informiere mich über Spotify und entdecke immer noch viel Neues.“ Ein Nostalgiker sei er nicht.
2021 sei das Jahr der Frauen gewesen. Seinen Hörerinnen und Hörern legt er „The Weather Station“, eine kanadische Folksängerin, die britische Rapperin „Little Simz“ und die englischen Bands „Dry Cleaning“ sowie „Goat Girl“ ans Herz.
Neue Sendeplätze sorgen für Champagnerlaune im Sender
Er schätzt die Freiheit, die er beim Sender ByteFM genießt: „Das ist eine große Qualität, dass ich mich dort ausleben kann“, sagt er. „Ohne diese computergenerierte Rotation mit 90 beats per minute und dann noch werbefrei.“ Er könne frei entscheiden, bei anderen Sendern wäre dies unmöglich. Der Sender Byte FM finanziert sich bisher über Mitgliedsbeiträge (www.byte.fm), hat auch Hörer in Bern, Leipzig oder Berlin.
Gestern herrschte im Sender Champagnerlaune. Ab sofort ist er rund um die Uhr auch auf UKW zu hören: in Hamburg auf 91,7 (vom Sander Dickkopp in Bergedorf) und 104,0 Megahertz. „Das ist für uns ein Ritterschlag, dass wir von der Medienanstalt diese Frequenzen bekommen haben“, erzählt Leif Gütschow, Leiter der Programmplanung.
Registrierte der Sender im Webstream bisher 50.000 Hörer pro Tag, hofft er nun auf 100.000 pro Tag in Hamburg. „Dass das ambitioniert ist, ist uns bewusst“, sagt Leif Gütschow. „Aber wir wollen uns in Hamburgs Radio- und Kulturlandschaft etablieren.“ Heinrich Oehmsen ist dort jeden vierten Sonnabend im Monat um 12 Uhr mit „The Heinrich Manoehver“ zu hören.