Schwarzenbek. Vor elf Jahren gab es im Rahmen der Neustrukturierung schon einmal Massenentlassungen. Jetzt steht wieder ein Personalabbau an.
Vor zwölf Jahren war die Welt an der Grabauer Straße noch in Ordnung: Im Juni 2008 wurde das 100. Bestehen der Fette GmbH gefeiert. 1908 hatte Wilhelm Fette an der Bahrenfelder Straße in Hamburg-Altona begonnen, Werkzeuge herzustellen. 1948 kamen Tablettenpressen hinzu. 1953 siedelte das Unternehmen nach Schwarzenbek um. Dort sorgte es mit seinen gut 1000 Mitarbeitern und seinen Gewerbesteuern für den Aufstieg des Sachsenwald-Dorfes zur Stadt.
Im Jahr nach dem Jubiläum war die Euphorie verschwunden: Die Familien Leitz und Bengel teilten ihren Unternehmensverbund, zu dem seit 1988 auch Fette gehörte, untereinander auf. Im Mai 2009 verkündete die neue Unternehmensführung der LMT-Gruppe einen umfassenden Restrukturierungsplan und Entlassungen: 300 Mitarbeiter sollten gehen, davon 100 bei den Tablettenpressen (Fette Compacting) und 150 in der Werkzeugsparte (LMT Tools) in Schwarzenbek.
Nächste Entlassungswelle droht an der Grabauer Straße
Zwölf Jahre später steht das Unternehmen vor der nächsten Entlassungswelle: Im Bereich LMT Tools sollen europaweit 240 von 640 Arbeitsplätzen wegfallen (wir berichteten), davon 150 in Deutschland. Wie viele es diesmal am Standort Schwarzenbek sein werden, sagt die Firmenleitung nicht. Klar ist: Nachdem im vergangenen Jahr die Firmenzentrale im baden-württembergischen Oberkochen zugunsten einer „Zwei-Standort-Strategie“ geschlossen wurde, gibt es nur noch die LMT Fette Werkzeugtechnik in Schwarzenbek und LMT Kieninger in Lahr im Schwarzwald – sowie auf beide Standorte verteilt die Vertriebsorganisation LMT Tool Systems. Weil aber laut Geschäftsführer Daniel Ehmans der Standort Lahr einen Großteil der Produktion der französischen Tochter LMT Belin übernehmen soll, von der sich die Gruppe trennen will, wird der Großteil der Entlassungen auf Schwarzenbek entfallen.
Betriebsrätin kritisiert mangelhafte Kommunikation
„Vor mir stehen Kollegen und fragen mich, ob sie von Entlassungen betroffen sein werden und ich kann ihnen nicht antworten“, beklagt Ute Berbüsse, Betriebsratsvorsitzende der Fette Werkzeugtechnik die Kommunikationsstrategie der Geschäftsführung. Die hatte zwar am vergangenen Freitag in einer Mitarbeiterversammlung Arbeitsplatzabbau angekündigt, aber nicht weiter konkretisiert. „Wie kommen die denn auf diese Zahlen, wenn die Maßnahmen, auf denen sie beruhen, noch nicht klar sind“, so Berbüsse. Für Freitag, 7. Februar, hat der Betriebsrat schriftliche Informationen als Beratungsgrundlage eingefordert.
Die sollen ausgewertet und auf einer Gesamtbetriebsratssitzung kommenden Dienstag die künftige Strategie besprochen werden. Laut Unternehmenssprecher Norman Winter soll ein Umsetzungsplan zeitnah mit allen Parteien abgestimmt werden: „Wir möchten die Phase der Unsicherheit im Interesse der Betroffenen so kurz wie möglich halten. Ziel ist, die Verhandlungen bis Ende April abzuschließen.“
Ungewissheit über die Zukunft lähmt Mitarbeiter
Wird es Abfindungs- oder Vorruhestandsabgebote geben? Wird über einen Sozialplan verhandelt? Viele Fragen sind offen. Die Ungewissheit drückt die Stimmung der Mitarbeiter auf dem Nullpunkt, so Berbüsse: „Es lähmt uns alle. Die Kollegen können nicht nachvollziehen, dass sie keine Klarheit erhalten. Viele fragen nicht nur, ob sie betroffen sein werden, sondern ob sie bleiben oder besser gehen sollten.“ Von 2016 bis 2019 hatten die Mitarbeiter unbezahlte Mehrarbeit geleistet, um den Unternehmen zu helfen.
Laut Konzernleitung sei es aber nicht gelungen, auch mehr Produkte am Markt abzusetzen. „Wir haben unseren Teil des Vertrags erfüllt“, sagt Berbüsse, die seit 40 Jahren an der Grabauer Straße tätig ist. Es sei versäumt worden, sich von Produktreihen zu trennen, mit denen man am Weltmarkt nicht konkurrenzfähig sei, und stattdessen neue Produkte zu entwickeln. Mit dem Speedcore Wälzfräser (2012), dem Evoline Rollkopf (2014) und dem Evoline Tangential-Rollkopf (2019) sei dies zwar gelungen. Es hätte aber mehr derartige Innovationen geben müssen: Berbüsse sieht für die aktuelle Krise das Management in der Verantwortung.
Mit Jörg Olaf Müller ist 2019 zudem der Sprecher der Gesamtkonzernleitung gegangen, der seit der Unternehmensteilung 2009 an Bord war. Das aktuelle Management ist erst seit wenigen Jahren im Amt. Das sei heute gängige Praxis, bedauert die Betriebsratsvorsitzende es mache das Miteinander gerade in so einer Krise kompliziert: „Unsere Firmenleitung kennt die Menschen gar nicht mehr, die sie entlassen will. Das war früher anders.“
Werkzeugtechnik bietet keine Ausbildungsplätze mehr an
Die Krise beim Werkzeugbauer wird nicht nur Auswirkungen auf die Mitarbeiter und das Steueraufkommen Schwarzenbeks haben, ist Berbüsse überzeugt. Spüren werden es auch Zulieferer und Handwerker in der Region. Das noch größere Problem sieht die Betriebsrätin jedoch im Wegfall von Ausbildungsplätzen: Zwischen 80 und 90 junge Menschen werden derzeit an der Grabauer Straße in unterschiedlichen Berufen ausgebildet, jedes Jahr mehr als 20 neu eingestellt. 2016 gab dafür den Ausbildungspreis der IHK Lübeck.
Dieses Jahr sieht es jedoch anders aus: Die Werkzeugtechnik will 2020 keine neuen Azubis einstellen. Insgesamt werden am Standort Schwarzenbek im August wohl nur sieben bis zehn junge Leute in das Berufsleben starten.