Ratzeburg. Altes Kreishaus Cantzeley-Haus steht seit 290 Jahren auf dem Ratzeburger Markt
Wer auf dem Marktplatz steht, dem fällt es sofort ins Auge: das weiße Gebäude am westlichen Ende des Ratzeburger Marktes. Gegenüber, am anderen Ende des Platzes, befindet sich die Hauptverwaltung der Kreissparkasse, daneben ein Kaufhaus – doch beide sind weitaus jünger als der klassizistische Bau aus dem Jahre 1728.
Nach dem Tod des letzten askanischen Herzogs übernehmen 1702 die Welfen aus dem Kurfürstentum Hannover die Macht. 1726 beginnt der Lübecker Baumeister Petriny am Markt mit der Errichtung eines neuen „Cantzeley-Hauses“ für den kurfürstlichen Statthalter. In einem Büro im rechten Flügel residiert heute Kreispräsident Meinhard Füllner. Der CDU-Politiker aus Pogeez ist seit 2003 oberster ehrenamtlicher Repräsentant des Kreistages. Der tagte bis vor einigen Jahrzehnten noch in dem Gebäude – in einem repräsentativen, holzgetäfelten Saal im Obergeschoss.
Mit dem Ende der Napoleonischen Kriege 1815 fiel das Herzogtum an das dänische Königreich. Nach der dänischen Niederlage im Deutsch-Dänischen-Krieg von 1864 wurde das Herzogtum, wie ganz Schleswig-Holstein, preußisch. Otto von Bismarck sorgte als preußischer „Minister für das Herzogtum Lauenburg“ für die Eingliederung.
Erst 1882 wurde das veraltete, mittelalterliche Ständesystem abgeschafft. In der „Ritter- und Landschaft“ saßen seit der ersten Reform 1853 jeweils fünf gewählte Abgeordnete des Adels, der Städte und der Bauernschaft. Im Obergeschoss des „Kreishauses“ entstand der 14 mal 8 Meter große Saal für den Kreistag mit holzgetäfelten Wänden.
„Trotz britisch-welfischer, französischer und dänischer Oberhoheit hat sich das Herzogtum im 18. und 19. Jahrhundert durch die kluge Politik des Adels seine Selbstständigkeit erhalten“, lobt Füllner die Ritter- und Landschaft. Eine Folge dieser Politik ist, so der Kreispräsident: „Bis heute gelten wir als Kreis mit dem größten Grundvermögen in Deutschland.“ Neben 9300 Hektar Kreisforsten gehören dazu 2300 Hektar verpachtete landwirtschaftliche Flächen auf insgesamt neun Domänen.
Füllner teilt sich das Haus heute unter anderem mit Kreisarchivarin Dr. Anke Mührenberg, die ihr Büro gleich gegenüber auf der anderen Seite des Foyers hat. Im Obergeschoss residiert die Kreismusikschule, der Saal wird vom Kreis für Besprechungen und Schulungen genutzt. Dessen „kahle“ Wände seien der „Bedeutung des Kreises“ nicht angemessen, befand 1910 Landrat Mathis: Künstlerin Wanda Bibrowicz schuf daher binnen sechs Jahren Wandteppiche mit historischen Szenen, die seit dem Jahr 1922 den Saal schmücken. Zuvor waren sie im Kunstgewerbemuseum Berlin und dem Altonaer Museum ausgestellt.
Seit Eröffnung des neuen Kreishauses am Ernst-Barlach-Platz im Jahr 1980 ist nur noch der Kreispräsident im alten Amtssitz präsent. Er residiert im ehemaligen Büro der Landräte, während im Präsidenten-Büro auf der andere Flügelseite Mührenberg sitzt. „Früher saß zwischen beiden Büros die Sekretärin und die musste schon mal vermitteln. Zwischen Landrat und Kreispräsident gab es schon mal Zuständigkeitstreitigkeiten“, erinnert sich Füllner schmunzelnd. Er selbst ist seit 1975 im Kreistag aktiv, unterbrochen nur durch sein Landtagsmandat von 1990 bis 2003. So einen Wettstreit gebe es heute aber nicht mehr, versichert Füllner.
Eine Sekretärin – das Vorzimmer samt Büroausstattung ist noch vorhanden – hat der Kreispräsident nicht mehr: „Dank neuer Technik ist das kein Problem“, sagt der 76-Jährige, der am 26. Dezember seinen 77. Geburtstag feiert. Mit Smartphone und Tablet-Computer, der auf dem großen, hölzernen Schreibtisch liegt, hält er von seinem Arbeitszimmer Kontakt zur nur wenige Gehminuten entfernten Kreisverwaltung. Von den Wänden blicken die Vorgänger des amtierenden Landrats Dr. Christoph Mager auf Füllner herab – angefangen bei August Louis Detlev von Schrader (1810-1859), der von 1848 bis 1853 Landrat war.