Bergedorf (upb). Es ist ein Ort wie aus dem Märchen: Am Ende der Chrysanderstraße zieht ein Tunnelportal die Blicke auf sich. Darüber die Jahreszahl “1864“. Wer die Entdeckung näher untersucht, dem weht aus den Tiefen des Geesthangs ein kalter Wind entgegen.
"Hier liegt ein imposantes Stück Industriegeschichte. Es handelt sich um ein ganzes System gemauerter Gewölbe, in denen man mühelos ein Kleinflugzeug parken könnte." So beginnt der umfangreiche Aufsatz des Historikers und Redakteurs unserer Zeitung, Kai Gerullis, im aktuellen Lichtwark-Heft (5,40 Euro, in allen Buchhandlungen). Der 34-Jährige ist aktives Mitglied im Verein "unter hamburg" und gilt als exzellenter Kenner des Eiskellers.
Das Labyrinth aus unterirdischen Gängen und Hallen erstreckt sich in Größe eines Fußballfeldes zwischen Chrysander- und Sander Straße. Gebaut wurde es 1863/1864 als Lager und Produktionsstätte der Actien-Bier-Brauerei, die mit ihren Produkten den Namen Bergedorf in ganz Europa und sogar in Afrika und Australien bekannt machen sollte. Die Fabrik gehörte seinerzeit zu den größten Brauereien Hamburgs und produzierte vornehmlich für den Export.
Gebraut wurde im konstant auf acht Grad gekühlten Eiskeller bis ins Jahr 1912. Dann kaufte die Holsten-Brauerei das Bergedorfer Unternehmen auf - um die unliebsame Konkurrenz zu schließen. In den folgenden Jahrzehnten verschwand der weithin sichtbare Gebäudekomplex oberhalb des Eiskellers. Im Originalzustand erhalten blieben dagegen das unterirdische Labyrinth und die Brauereiteiche vor dessen Toren an der Bille, wo im Winter das Eis für die Kühlung der Bierherstellung geschlagen wurde.
Im Lichtwark-Heft zeichnet Kai Gerullis die Nutzung des massiven Bauwerks von seiner Einweihung vor 146 Jahren bis heute nach. Er berichtet von erfolgreicher Champignon-Zucht, von Filmaufnahmen, dem Einzug einer Autowerkstatt und natürlich dem Bau der Wohnblocks oberhalb des Eiskellers. Ihre Fundamente liegen direkt auf den historischen Kellergewölben.
Erstmals überhaupt gibt der Aufsatz Einblicke in die Nutzung des Eiskellers durch die Nazis. So berichtet Gerullis über Pläne aus dem Jahr 1944, als die Brauereikeller zur unterirdischen Flugzeugfabrik umgebaut wurden.
Tatsächlich wurden Zwangsarbeiter eingesetzt. Sie legten ein Lorensystem an und brachen einen zweiten Eingang in den Keller, der heute als Tiefgaragen-Zufahrt genutzt wird. Das Kriegsende im Mai 1945 setzte dem halbfertigen Projekt ein Ende.
Für Kai Gerullis ist unverständlich, dass der Eiskeller noch nicht unter Denkmalschutz steht: "Gebäude dieser Art sind im Norden höchst selten zu finden. Es gilt, sie zu erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen."
Der Verein "unter hamburg" bietet Führungen durch den Eiskeller an. Die nächste startet am 21. Februar um 12 Uhr. Details unter www.unter-hamburg.de .