Lauenburg. Als Spross einer Schifferfamilie war sein Weg vorgezeichnet. Nach vielen Rückschlägen fahren heute zehn Tanker unter seiner Regie.
Es ist der 22. November 1958. Lisa Reich spürt ein Ziehen im Unterleib. Nach drei Kindern weiß sie: Jetzt geht es los. Knatternd fährt ihr Mann Werner mit dem Moped in die Stadt Schnackenburg, um die Hebamme abzuholen. Die junge Frau bleibt mit zwei ihrer Kinder an Bord des Schiffes zurück. Ihr Mann und die Hebamme schaffen es gerade noch rechtzeitig, wenig später wird ein Junge geboren. Sie nennen ihn Markus.
Markus Reich: Sein Weg in der Schifffahrt war vorgezeichnet
So hat man es später im Familienkreis immer erzählt. „Hätte ich mir einen Tag länger Zeit gelassen, wäre ich in der DDR geboren worden. Meine Eltern waren Richtung Ruhrgebiet unterwegs. Am Tag nach meiner Geburt war das Schiff auf Höhe Magdeburg“, erzählt Markus Reich lachend.
Er hat auf der „MS Bleckedia“ das Licht der Welt erblickt. An Bord des ersten eigenen Schiffes seiner Eltern, der „Heidi“ kann er später alles lernen, was ein guter Schiffsführer wissen muss. Sein Vater wird ihm ein strenger, aber gerechter Lehrmeister sein.
Sein Vater machte sich als junger Mann in Lauenburg selbstständig
„Man muss sich mal vorstellen, wie meine Eltern damals angefangen haben. Sie hatten immer einen großen Traum, das eigene Schiff“, sagt Reich. Der Vater, Jahrgang 1928, gehörte zum letzten Kriegsaufgebot.
Er kam als 16-Jähriger in amerikanische Gefangenschaft und erst Jahre später zurück nach Lauenburg. Mit einem alten Kahn machte sich der junge Mann „selbstständig“. Er schipperte heimlich Menschen über die Elbe. Die englischen Besatzer drückten wohl alle Augen zu.
Werner Reich kam aus einer alten Schifferfamilie. Schiffsführer wollte er werden, wie schon sein Vater und Großvater. Als er auf einem Binnenschiff anheuern konnte, ging für ihn ein Traum in Erfüllung.
„Dann lernte er meine Mutter kennen, heiratete, und von da an war die MS Bleckedia ihr Zuhause. Doch sie legten jeden Pfennig zurück für ihr eigenes Schiff“, weiß Markus Reich.
Einen großen Teil seiner Kindheit verbrachte er an Bord
Mit einer großen Schwester und zwei älteren Brüdern verbrachte er einen Teil seiner Kindheit an Bord. 13 Jahre später folgte Katrin, der jüngste Spross der Familie.
„Wir waren selten alle zusammen an Bord. Mal war meine Mutter mit einem Teil der Kinder an Land bei den Großeltern, mal lebten wir bei Verwandten, vor allem während der Schulzeit. Aber wenn ich in den Ferien an Bord war, war ich das glücklichste Kind der Welt. Das ganze Schiff war ein Abenteuerspielplatz“, schwärmt Markus Reich.
Seine Mutter war es, die dafür sorgte, dass die Familie trotz zeitweiser Trennung zusammenhielt. Sie bereitete auf dem Petroleumkocher die Lieblingsspeisen der Kinder, schmückte Weihnachten den Baum und sorgte an Bord für Gemütlichkeit, so gut es eben ging.
Endlich führte der Vater sein eigenes Schiff, die „Heidi“. Ganz nebenbei wuchs der kleine Markus zu einem Bootsmann heran. „Ich war fünf und kam nicht ran ans Steuerrad. Da stellte mein Vater eine Fußbank davor und ich steuerte das Schiff. Für mich kam nie etwas anderes infrage, als später ein Schiff zu haben“, erinnert er sich.
Als selbstständiger Schiffseigner anfangs viel Lehrgeld bezahlt
Als es dann tatsächlich um seine Ausbildung zum Schiffsführer ging, nahm ihn der Vater unter seine Fittiche. Blockunterricht in der Berufsschule, praktische Ausbildung an Bord der „Heidi“. Eine harte Schule, geschadet hätte sie nicht.
Nach Ausbildung und Bundeswehr heuerte Markus Reich zunächst bei der Reederei Dettmer an. Wie schon sein Vater träumte auch er davon, ein eigenes Schiff zu führen – komme was wolle. „Ich sah einen kleinen Frachter. 72.000 Mark kostete der. Günstig, dachte ich und boxte die Finanzierung durch.“ Ein fataler Fehler. Nach zahlreichen Reparaturen wurde das Schiff schließlich stillgelegt. Reich blieb auf einem Schuldenberg von 96.000 Mark sitzen.
Um Schulden abzuzahlen, arbeitete er in einer Druckerei
Da war es erstmal vorbei mit der Selbstständigkeit und der Schifffahrt überhaupt. Er arbeitete in einer Lauenburger Fabrik für Plastiktüten und fand später einen Job in einer Lüneburger Druckerei. Dort arbeitete er sich hoch. So hätte es bleiben können, denn mittlerweile hatte er selbst eine Frau. Später kamen seine beiden Söhne und die beiden Töchter auf die Welt.
„Ich habe in der Druckerei gutes Geld verdient und konnte die Schulden abbezahlen. Aber immer, wenn ich über die Elbbrücke nach Lauenburg fuhr, sah ich die Schiffe. Das gab mir jedes Mal einen Stich“, erzählt er. Geh wieder an Bord, du wirst ja unerträglich, hätte seine Frau damals gesagt. Markus Reich hatte Glück. Die Reederei Stinnes suchte einen Lotsen. Er bekam den Job. Das war 1994.
Neustart mit Glück, Mut und Durchhaltevermögen
Ehrlich währt am längsten, dachte sich der junge Familienvater. „Ich machte keinen Hehl daraus, dass dies eine Übergangslösung für mich war. Ich wollte ein eigenes Schiff.“
Die Gelegenheit sollte sich bald ergeben. Von der Stinnes Reederei charterte Reich einen 85 Meter langen Tanker und handelte einen guten Vertrag aus. „Ich arbeitete wie ein Besessener und fuhr immer mehr ein, als für die Höhe der Pacht berechnet worden war.“
1997 kaufte er seinen ersten eigenen Tanker
1997 hatte er genügend Eigenkapital zusammen, einen Tanker zu kaufen. Der fuhr so erfolgreich, dass zwei Jahre später der zweite folgte. Markus Reich hatte dazugelernt.
Er war ein vorausschauender Unternehmer geworden. Seine Besatzungen bildet er auf seinen Schiffen aus, kann sich deshalb blind auf sie verlassen. Die „Saskia“ war 2001 der erste Schiffsneubau, sieben folgten.
Insgesamt zehn Tankschiffe fahren heute unter der Regie des letzten Lauenburger Reeders. Seine Söhne Sebastian und Sören haben mittlerweile ihren Platz im Firmenkonstrukt gefunden. Ihnen gibt Markus Reich eine Erfahrung mit: Wer sich selbstständig macht, lässt Federn. Wichtig ist es, an seinen Fehlern zu wachsen.