Lauenburg/Berlin. Im Parlament geht es nicht immer nur bierernst zu. Der scheidende CDU-Abgeordnete Norbert Brackmann über seine Zeit in Berlin.

Bei der Bundestagswahl 2009 gewann der Lauenburger CDU-Politiker Norbert Brackmann sein erstes Bundestagsmandat. Seitdem pendelt er zwischen der Bundeshauptstadt und seiner Heimatstadt. Doch damit ist bald Schluss, denn zur diesjährigen Bundestagswahl am 26. September tritt der 66-Jährige nicht mehr an. Wir schauen mit Norbert Brackmann zurück auf seine Zeit in Berlin – und hinter die Kulissen des Deutschen Bundestages, des höchsten Verfassungsorgans der Bundesrepublik.

Die letzte Sitzungswoche des Bundestages vor der Sommerpause ist gerade zu Ende gegangen. Für Sie war es die letzte Sitzungswoche überhaupt. Wie geht es Ihnen mit diesem Gedanken?

Brackmann: Offiziell war das die letzte Sitzungswoche, auch wenn der Bundestag am 6. und 7. September noch einmal zusammenkommt. Allerdings ist das für mich eigentlich nicht so relevant. Als maritimer Koordinator der Bundesregierung arbeite ich im Sommer weiter. Gestern zum Beispiel habe ich in Kiel Fördermittelbescheide in Höhe von 20 Millionen Euro übergeben.

Mittlerweile sind Sie als Bundestagabgeordneter ein „alter Hase“ und haben sich daran gewöhnt, dass man jedes Wort auf die Goldwaage legt, das Sie öffentlich äußern. Können Sie sich noch an ihre erste Rede vor dem Bundestag erinnern? Worum ging es? Und vor allem: Waren Sie nicht wahnsinnig aufgeregt?

Worum es ging, weiß ich ehrlich gesagt gar nicht mehr so genau. Vermutlich um die Euro-Krise. Das war ja 2009 eines der wichtigsten Themen. Normalerweise halte ich meine Reden frei, schon damals. Aber plötzlich stand ich da am Rednerpult und nicht nur die Augen der Abgeordneten waren auf mich gerichtet, sondern auch eine Menge Fernsehkameras. Mir war klar: Du darfst jetzt kein falsches Wort sagen. In diesem Moment war ich sehr froh, dass ich meine Rede aufgeschrieben hatte. Ich habe sie wortwörtlich vorgelesen.

Wenn man die Debatten des Bundestags im Fernsehen verfolgt, fällt auf, dass es gelegentlich zwischen den Fraktionen ziemlich ruppig zugeht. Wie ist das, wenn die Sitzung beendet ist? Sprechen die politischen Kontrahenten miteinander, geht man sich aus dem Weg oder trinkt man anschließend ein Feierabendbier miteinander?

Die Mehrzahl der Bundestagabgeordneten sind Profis, die die politische Auseinandersetzung und zwischenmenschliche Beziehungen klar trennen können. Im Haushaltsausschuss habe ich mich zum Beispiel fraktionsübergreifend mit allen Kolleginnen und Kollegen geduzt. Und auch wenn in der CDU/CSU-Fraktion klar war, dass wir nichts mit den Linken gemeinsam machen, haben wir uns auch mit ihnen konstruktiv beraten. Nach den Sitzungen sind wir regelmäßig in einen größeren Büroraum direkt neben dem Sitzungssaal des Haushaltsausschusses gegangen, den wir unter uns die „Papierkneipe“ nannten. Man muss aber sagen, die Situation änderte sich schlagartig, als die AfD in den Bundestag einzog. Das hat zu einer drastischen Veränderung auch des zwischenmenschlichen Klimas geführt. Aber alle anderen Fraktionen gehen sehr professionell miteinander um.

Bei den meisten Bundestagsdebatten wundert man sich als Zuschauer, wie viele Stühle leer bleiben. Manchmal hat man den Eindruck, dass es gerade mal eine Handvoll Abgeordneter pro Fraktion in den Sitzungssaal geschafft hat. Was machen die anderen? Kaffee trinken oder sind sie gar schon zu Hause?

Man darf nicht vergessen, dass der Bundestag ein Arbeitsparlament ist. In einer Sitzungswoche beraten wir etwa 75 Tagesordnungspunkte zu unterschiedlichen Themen. Da kann nicht mehr jeder alles machen, sondern man muss sich spezialisieren. Das sind dann die Spezialisten aus den jeweiligen Fachausschüssen. Diese stecken dann besonders tief in den Themen und vertreten diese auch bei den Beratungen im Plenum. Deshalb können Sie beobachten, dass manche Abgeordnete den Saal verlassen, wenn ein Tagesordnungspunkt erledigt ist und andere dafür in die Sitzung kommen. Dann hat sich mit dem Thema auch die Zuständigkeit des Ausschusses geändert, und andere Kolleginnen und Kollegen sind für das neue Thema zuständig. Ein Abgeordneter hat auch außerhalb der Sitzungen viel zu tun. Es gibt zum Beispiel eigene Projekte, die auf den Weg gebracht und verfolgt werden. Oder es werden Anfragen von Bürgern beantwortet.

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  • Aber es gibt doch Abstimmungen, bei denen es auf jede Stimme ankommt?

    Dann sind die Fraktionen natürlich möglichst vollständig im Sitzungssaal. Laut Geschäftsordnung ist der Bundestag nämlich nur beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Saal anwesend sind. Bestehen daran Zweifel, kommt der sogenannte Hammelsprung zum Einsatz. Alle Abgeordneten verlassen dazu den Plenarsaal und kommen anschließend durch eine von drei Türen wieder hinein. Über den drei Türen steht „Enthaltung“, „Ja“ und „Nein“. Wie viele Abgeordnete durch die jeweilige Tür kommen, zählen zwei Schriftführer an jeder Tür. In solchen Fällen sind die jeweiligen Fraktionen meist in kurzer Zeit vollzählig. Das zeigt, dass die Abgeordneten, die bisher nicht in der Sitzung waren, nicht irgendwo waren, sondern im unmittelbaren Arbeitsumfeld des Bundestages.

    Wer solange wie Sie im Bundestag sitzt, erlebt doch bestimmt Situationen, die die Fernsehkameras nicht einfangen. Gab es Peinliches oder Kurioses in den vergangenen zwölf Jahren?

    An wirklich peinliche Situationen kann ich mich nicht erinnern. Kuriose Begebenheiten gab es natürlich. Einmal ging es um eine namentliche Abstimmung. Wer diese verpasst, zahlt eine Strafe von 100 Euro. Ich war Schriftführer und saß neben dem damaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert. Alle Abgeordneten schritten zu Urne. Nur Sigmar Gabriel von der SPD und die Grünen-Abgeordnete Renate Künast diskutierten lebhaft miteinander. Der Bundestagspräsident schaute mich an und sagte: „Na, da bin ich ja mal gespannt!“ Und tatsächlich: Der Wahlgang war geschlossen, und Renate Künast kam und trug vor, dass sie doch noch gar nicht abgestimmt hätte. „Zu spät“, sagte der Bundestagspräsident. „Ich weiß ja nicht, was Sie für einen Deal miteinander besprochen haben.“ Frau Künast antwortete trocken: „Ich mache mit Herrn Gabriel keine Deals, die mich 100 Euro kosten.“ Sie sehen, es geht im Bundestag durchaus menschlich und auch mal persönlich zu.

    Apropos persönlich. Wie groß ist der Kontakt der Abgeordneten ihrer Fraktion zur Kanzlerin? Haben Sie Angela Merkels private Handynummer gespeichert?

    Nein, das nun nicht. Aber gelegentlich lädt Frau Merkel schon mal zu kleineren Gesprächsrunden ein, fragt zum Beispiel nach persönlichen Einschätzungen zu einem Sachverhalt. Einmal aßen wir in kleinerer Runde miteinander, kurz vor einem wichtigen Spiel der Nationalmannschaft. „So“, sagte sie, „wer mag, kann jetzt mit mir Fußball schauen.“ Einige Abgeordnete meinten, die Kanzlerin auf die Probe stellen zu müssen. Sie fragten nach Spielern, deren Namen ich noch nie gehört hatte. Frau Merkel kannte die alle. Sie ist ein ausgesprochener Fußballfan.

    Zu einem etwas ernsten Thema. Sie können sicher nicht mehr zählen, an wie vielen Abstimmungen des Bundestages Sie beteiligt waren. Wenn Sie zurückblicken: Gab es Abstimmungen, bei denen Sie heute anders entschieden hätten?

    Nein, aber ich habe mir oft die Frage gestellt, ob ich überhaupt abstimme. Das Grundgesetz sieht vor, dass Abgeordnete nur ihrem Gewissen gegenüber verantwortlich sind. Ich erinnere mich an die Zeit, in der es um die Euro-Rettung ging. Was das Beste ist, konnte man in keinem Lehrbuch nachlesen. Es gab nur eine Negativabwägung, und ich musste abwägen, bei welcher Entscheidung das Risiko für Deutschland und Europa am kleinsten war. Unterschiedliche Meinungen werden im Vorfeld innerhalb der Fraktion beraten. In der Abstimmung habe ich mich immer an der Mehrheitsmeinung orientiert.

    Ihr Arbeitsplatz war jetzt zwölf Jahre lang die Hauptstadt. Man müsste meinen, Sie kennen Berlin wie ihre Westentasche. Können Sie sich vorstellen, dort zu leben?

    Ehrlich gesagt habe ich in all der Zeit von Berlin wenig gesehen. Vielleicht einmal im Jahr habe ich mich entschlossen, mit Kollegen spontan ein Bier trinken zu gehen. Sicher hat die Stadt auch schöne Ecken. Aber eigentlich stellt man sich doch immer die Frage: Ist man Großstädter oder nicht? Ich bin in Lauenburg geboren. Wenn ich montags in Büchen in den Zug gestiegen bin, war ich unterwegs in eine andere Welt. Und wenn ich freitags in Büchen ausgestiegen bin, war ich endlich fast wieder zu Hause. Ich freue mich, jetzt mit meiner Frau endlich Zeit zu haben, unser Leben in Lauenburg zu genießen.

    Politische Stationen: Norbert Brackmann
    Norbert Brackmann wurde am 30. August 1954 in Lauenburg geboren. Seit 1975 ist er im Kreis Herzogtum Lauenburg kommunalpolitisch aktiv, seit Mai 1978 ohne Unterbrechung als CDU-Abgeordneter im Kreistag. Von 1986 bis 1990 und seit 1998 ist er Fraktionsvorsitzender der CDU-Kreistagsfraktion. Von 1990 bis 1994 war Brackmann Kreispräsident. Seit 2009 ist Norbert Brackmann auch bundespolitisch tätig: 2015 wurde er zum stellvertretenden haushaltspolitischen Sprecher gewählt. Mit der Regierungsbildung der Großen Koalition 2018 wurde Brackmann zum Koordinator der Bundesregierung für die maritime Wirtschaft ernannt.