Lauenburg. Nach einem Jahr Liegezeit auf der Werft startet in Lauenburg der Raddampfer „Kaiser Wilhelm“ in eine kurze Saison. Wir waren dabei.
Das dumpfe Dröhnen der Dampfmaschine lässt den Boden unter den Füßen vibrieren. Der Geruch von Kohle und Eisen liegt schwer in der Luft. Heute abend wird er in den Haaren und der Kleidung von Lukas Neumann hängen. 20 Jahre ist er alt – genau 100 Jahre jünger als das Schiff, dessen Kessel er gerade befeuert. Trotzdem ist er an Bord des Raddampfers „Kaiser Wilhelm“ schon ein alter Hase. „Ich war erst elf, da nahm mich der alte Heizer mit unter Deck und drückte mit die Schaufel in die Hand. Seitdem komme ich vom ,Kaiser’ nicht mehr los“, erzählt er mit einem Schalk in den Augen. 150 Kilogramm Steinkohle pro Stunde „schluckt“ der nagelneue Kessel. Als Lukas Neumann die Feuertür öffnet, sprühen die Funken. Wenn es nach ihm ginge, könnte es jetzt endlich losgehen. Immerhin lag der „Kaiser“ jetzt fast ein Jahr auf der Lauenburger Hitzler-Werft. Für rund eine Millionen Euro wurde der im Jahre 1900 in Dresden gebaute Raddampfer wieder flott gemacht. Der heutigen Probefahrt fiebert die ganze Crew entgegen.
Eigentlich hätte schon vor einer Stunde das Signal der Dampfpfeife ertönen sollen. Kapitän Markus Reich läuft von der Brücke in den Maschinenraum und wieder zurück. Die neue Rudermaschine „zickt“ noch ein bisschen. Monatelang hat die Besatzung auf das Teil gewartet. Schließlich gibt es für so einen Dampfer Ersatzteile nicht mal eben in einem Laden für Schiffszubehör. In der vergangenen Woche hat Markus Reich die Rudermaschine persönlich aus dem Spezialbetrieb in Sachsen abgeholt.
Die Rudermaschine „zickt“ noch ein bisschen, dann geht es los
Die Crew lässt ihren Käpt’n nicht aus den Augen. Endlich setzt dieser seine weiße Mütze auf. Das ist das Zeichen. „Wir legen ab!“, ruft Markus Reich seinen Leuten zu und läutet die blitzblanke Messingglocke. Und dann ist es besser, sich die Ohren zuzuhalten: Das folgende Signal der alten Dampfpfeife ist in ganz Lauenburg zu hören.
Markus Reich ist kein Mann vieler Worte. Aber wer ihn kennt, sieht: Er muss ein bisschen schlucken, als sich der „Kaiser“ in Bewegung setzt. Das Ablegemanöver läuft wie am Schnürchen. Und auch sonst: Der Kapitän scheint zufrieden. Seit 2013 steht er nun schon am Steuer des „Kaisers“. Damals war nicht das Schiff, sondern die damalige Mannschaft in schweres Fahrwasser geraten. Der Streit der Crew hätte fast zum Aus für Lauenburgs schwimmendes Wahrzeichen geführt. Doch Markus Reich, der letzte Lauenburger Reeder, machte Nägel mit Köpfen. Als man ihn bat, das Kommando zu übernehmen, sagte er zu.
Mannschaft des „Kaisers“ wie eine große Familie
Heute ist von Zwietracht in der ehrenamtlichen Mannschaft nichts zu spüren. Ellen Bitzer bringt es auf den Punkt: „Wir sind hier alle wie eine große Familie“, sagt sie und putzt Gemüse in der Kombüse. Rainer Schnurre brät unterdessen auf dem blitzblanken Kohleherd Speck knusprig. Auf der ersten Fahrt mit Passagieren gibt es Holsteiner Specktopf – deftig und mit ordentlich viel Bums, verspricht der Koch, der auf einem Schiff Smutje heißt. Die u--förmige Kombüse ist so schmal, dass sich der Duft des gebratenen Specks sofort in jeden Winkel ausbreitet.
Vor 50 Jahren kam der „Kaiser“ von der Weser auf die Elbe
Eine Nase voll davon kommt auch bei Holger Böttcher an. Der Zahlmeister des Schiffes hat sich in sein kleines Kabuff zurückgezogen. Die monatelange Anspannung fällt gerade etwas von ihm ab. „Ich habe kaum noch daran geglaubt, dass wir in diesem Jahr noch fahren. Umso besser geht es mit gerade“, sagt er und strahlt über das ganze Gesicht. Mit einem blauen Filzstift malt er die Abfahrtszeiten der ersten Tour auf einen Zettel. Später wird er sich am Anleger an der Elbuferpromenade befestigen, für spontane Gäste, die noch mit an Bord kommen möchten. Ein Porträt steht auf dem winzigen Schreibtisch. Der weißhaarige Mann mit der Kapitänsmütze ist Dr. Ernst Schmidt. In Lauenburg gibt es wohl kaum jemanden, der ihn nicht kannte. Dem vor zwei Jahren verstorbenen Geologen verdankt der Raddampfer nämlich sein zweites Leben. Bis 1970 fuhr das Schiff auf der Weser und sollte dann eigentlich verschrottet werden. Welche Summe Schmidt für das Schiff hinblätterte, bleibt ein Geheimnis.
Jubiläumssaison des „Kaisers“ fällt doch nicht ins Wasser
Eigentlich sollte die Jubiläumssaison durch eine Fahrt an die Weser gekrönt werden. Die Crew hatte die Tour zwei Jahre lang vorbereitet. Dann kam Corona und die lange Liegezeit dazwischen. Die Enttäuschung ist mittlerweile verflogen. 2022 geht’s an die Weser.
Inzwischen hat der „Kaiser“ seinen Anleger erreicht. Butterweich setzt der Kapitän das Schiff an den Steg. „Probefahrt erfolgreich erledigt. Jetzt kann die Saison losgehen“, so sein knapper Kommentar. In seinen Augen ist Erleichterung zu sehen. Und dann ertönt an diesem Tag ein letztes Mal die Dampfpfeife. Auf der Elbuferpromenade stehen Menschen und winken.