Lauenburg. Rollstuhlfahrer Nikolaus Noack macht den Test – Behindertenbeauftragter Siegfried Betge begleitet ihn
Wenn Nikolaus Noack das Haus verlässt, hat er seine Kamera immer mit dabei. Seit vier Jahren ist er wegen seiner MS-Erkrankung auf den Rollstuhl angewiesen, als „behindert“ sieht er sich dennoch nicht an. „Ich werde höchstens behindert“, sagt er. Und das dokumentiert der 52-jährige mit Fotos und neuerdings auch Videos unter dem Titel „Lauenburger Buckelpisten“ – zu sehen auf Youtube. In den kurzen Filmfrequenzen erlebt der Zuschauer die holpernden Fahrten durch die Stadt aus der Perspektive eines Rollstuhlfahrers.
Heute hat sich Nikolaus Noack eine Fahrt in die Altstadt vorgenommen. „Ich weiß, dass das fast eine Provokation ist. Ich möchte mich aber nicht damit abfinden, dass uns die Altstadt verwehrt ist, nur weil man im Mittelalter nicht an Rollstuhlfahrer gedacht hat.“ Lauenburgs Behindertenbeauftragter Siegfried Betge begleitet ihn. Er weiß, dass nicht nur Nikolaus Noack in der Altstadt ausgebremst wird. „Es gibt hier mehrere Bewohner, die nach einer Krankheit plötzlich auf den Rollstuhl angewiesen sind“, erzählt er. Zusätzliches Dilemma: Der Denkmalschutz gestatte keinen Umbau der historischen Häuser. „Man sagt ihnen, sie sollen umziehen. Aber wo findet man in Lauenburg eine bezahlbare, behindertengerechte Wohnung?“, fragt er.
Aber es ist ja nicht nur das holprige Kopfsteinpflaster. „Wenn ich lese, dass am Wochenende in der Altstadt eine Veranstaltung ist, weiß ich sofort, dass ich daran nicht teilnehmen kann“, sagt Nikolaus Noack. Als Frührentner könne er sich die beiden Taxifahrten nicht leisten, und der Altstadtbus fährt am Wochenende nicht. Und selbst wenn: Auch die Busfahrt in die Altstadt sei für Rollifahrer mit Hindernissen verbunden.
Nikolaus Noack ist aus der Oberstadt über die Hafenstraße in die Altstadt gefahren. Die Wege, die Fußgänger üblicherweise nutzen, kommen für ihn nicht infrage, und auch der Altstadtbus ist keine Option. „Natürlich hat der eine Rampe. Nur kann die meist nicht ausgefahren werden, weil wegen der parkenden Autos der Bus überhaupt gerade mal so vorbei kommt“, ist seine Erfahrung.
Und tatsächlich: Gerade hält der Bus der Linie 338 an der Haltestelle am Mensing’schen Haus. Der Bürgersteig ist hier so schmal, dass Nikolaus Noack ihn mit seinem Rolli ohnehin nicht befahren kann. Diesmal kann Siegfried Betge den Busfahrer auf den Rollstuhlfahrer aufmerksam machen. Das Auto dahinter setzt zurück, der Bus ebenfalls. Auf dem Platz vor dem Museum kann Busfahrer Christian Both die Rampe dann ausfahren. Diesmal kann sich Nikolaus Noack den langen Rückweg über die Hafenstraße sparen.
Die Stadt ist verpflichtet, bis 2022 alle Haltestellen barrierefrei umzubauen, in der Oberstadt ist das zum Teil bereits geschehen. „In der Altstadt dürfte das ein großes Problem werden“, sagt Siegfried Betge. Ebenso wie sein Anspruch, dass es Rollstuhlfahrern möglich sein muss, sich am Ufer der Elbe zu erholen.
Ein Patentrezept hat er dafür nicht parat. Locker lassen will er trotzdem nicht. „Ich bin Fachmann für die Belange Behinderter, nicht für die technische Lösungen“, sagt er.
Bei der Stadt ist man sich der Problematik durchaus bewusst. Glücklicher Umstand, zumindest was die bucklige Elbstraße betrifft: Aus der Wiederaufbauhilfe Hochwasser stehen zehn Millionen Euro bereit, um die Kanäle zu erneuern. Dazu wird auch das Pflaster aufgenommen. „Der neue Belag besteht aus flachen, eng aneinander gelegten Natursteinen“, sagt Christian Asboe aus dem Bauamt. Wann die Arbeiten beginnen, steht allerdings noch nicht fest.