Lauenburg. Nie stand der Pegel höher als im Winter 1855: Die Katastrophe aus den Augen des zehnjährigen Schifferjungen Christian Bollmann.

Die Elbuferpromenade steht seit Tagen unter Wasser. Gestern Nachmittag hat der Pegel die Sechs-Meter-Marke überschritten, 50 Zentimeter kommen wohl noch dazu. Keine Gefahr, beruhigen Experten. Trotzdem blicken Altstadtbewohner bei jedem Anstieg der Elbe bange auf die Pegel im Oberlauf. Zu frisch sind die Erinnerungen an das Hochwasser im Juni 2013, als der Pegel in Hohnstorf 9,64 Meter anzeigte. Immerhin wären ihre Häuser fast fünf Jahre später den Fluten noch immer schutzlos ausgeliefert.

9,88 Meter – höchster je gemessener Pegelstand

Wie haben sich die Lauenburger im Winter 1855 gefühlt? Damals zeigte der Pegel 9,88 Meter an – der höchste je gemessene Wert. Von jener Katastrophe ist nicht viel bekannt, denn die Lauenburgische Landeszeitung gibt es erst seit 1874. Doch überliefert sind die Tagebücher des Christian Bollhorn. Zehn Jahre war der Schifferjunge damals alt, als alles mit einem Sturm in der Neujahrsnacht begann. „Von der Windmühle flogen die vier Flügel 30 Meter weit auf das Ackerland“, schreibt er. Tage später wurde es bitterkalt: Die Söllerwiesen ein einziger zugefrorener See. „Doch das Tauwetter im Oberlauf kam schneller als gedacht“, heißt es in den Aufzeichnungen. Die Eismassen in der Elbe bei Lauenburg gerieten tosend in Bewegung und der Nachtwächter rief dröhnend dazwischen: „Dat Is, dat geiht. Dat Is, dat geiht!“

Särge und Gebeine von den Fluten mitgerissen

Christian Bollhorn lebte damals mit seinen Eltern in der Straße Unterm Berge. Das Söllereis rückte immer bedrohlicher auf das kleine Schifferhaus zu. Die Hauswirtin beruhigte: „Hier is noch nie Water in’n Hus west. Uns kann nix passieren.“ Doch sie irrte. „Am nächsten Morgen hatten wir dreiviertel Fuß Wasser in unserer Schlafkammer. Unsere Holzpantoffeln fuhren eine Regatta. Ein Gaudium für uns.“ Dann wurden die Häuser geräumt, in den Augen des kleinen Schifferjungen ein großer Spaß: „Die dicke Frau Wahrenburg trug ihren Schwiegervater huckepack aus einer Bodenluke über eine Leiter in einen Kahn.“ Doch dann sah auch Christian, wie ernst die Lage ist: In Artlenburg brach der Deich und mit Wucht kam das Wasser. Der Kirchhof wurde aufgewühlt, Särge und Gebeine von den Fluten davon gerissen. Das Haus der Bollmanns drückten die Eismassen von hinten ein. Bis unter die Decke stand das Wasser im notdürftig abgestützten Haus.

Hilfe vom dänischen König

Bloß gut, dass König Frederik von Dänemark es ernst meinte mit der wie wir heute sagen würden „schnellen und unbürokratischen Hilfe“. Er überwies den Lauenburgern Geld. Ein großzügige Geste: „Meine Eltern erhielten für ihren zertrümmerten Schweinestall sieben Taler, und da der neue nur elf Mark kostete, konnten sie einen Gewinn von 10 Mark buchen.“ Noch wochenlang lag das Eis zwei Meter aufgetürmt in den Gärten.