Lauenburg. Die Kielschweine Auch nach 40 Jahren sind die Shanty-Sänger bei den Proben ganz bei der Sache

Die Schiffsglocke wirkt etwas deplatziert im Neonlicht des Übungsraumes. Aber nur solange, bis sich Dieter Hublitz mit ihrer Hilfe Gehör verschafft. Er ist der Kapitän und augenblicklich verstummt das Gemurmel. „Reise, Reise, Reise, auf alte Seemannsweise“, schmettern die Männer in den Fischerhemden und kippen den Schnaps hinterher. Es gibt etwas zu feiern. Dieter Hublitz, Chef der „Kielschweine“, hat Geburtstag. Das maritime Wecklied, so erzählt jemand später, ist der meist gesungene Song des Lauenburger Shanty-Chores in den 40 Jahren seines Bestehens.

„Shantys hat man im Blut oder eben nicht“

Nach einem „Kurzen“ ist Schluss, denn an den Übungsabenden herrscht Disziplin wie an Bord eines Schiffes. Aber nicht nur deshalb bleiben die meisten dabei, wenn sie die musikalische Seeluft geschnuppert haben. „Einmal Kielschwein, immer Kielschwein“, behauptet Gerhard Stephan und er muss es wissen. Schließlich gehörte er zu den Skippern, die damals beschlossen, die Wintersaison 1976 nicht sang- und klanglos verstreichen zu lassen.

Hatte er, mit gerade mal 38 Jahren, nicht andere musikalische Interessen, als die sentimentalen Lieder der alten Seefahrer? „Shantys haben kein Alter, die hat man im Blut oder eben nicht.“ So wie er das sagt, glaubt man ihm aufs Wort. Und so traf man sich eben an den langen Abenden, als die Boote in den Winterquartieren auf bessere Zeiten warteten. „Anfangs klang es schon etwas schief. Deshalb nannten wir uns damals auch noch nicht Chor, sondern Gruppe“, erinnert sich Gerhard Stephan. Nur der Name „Kielschweine“ ist von damals geblieben, abgeleitet von jenem Bauteil, das dem Rumpf eines Schiffes Stabilität verleiht.

Nicht nur Gerhard Stephan ist noch immer dabei, auch Hans-Dieter Reimers und Jürgen Gaedecke. Und natürlich Helmut Schulz mit seinem Schifferklavier. Auch heute kraxelt der 85-Jährige die steile Treppe hinauf zum Übungsraum seiner Jungs und schaut nach dem Rechten. Selbst auf der Bühne stehen, mag er aber nicht mehr. Die Hüfte mache ihm zu schaffen, besonders an so nasskalten Tagen wie diesem. „Aber Sie hätten mich vor vierzig Jahren sehen sollen“, sagt er augenzwinkernd.

Auf der Bühne gibt der Kapitän das Kommando ab

Wieder ertönt die schrille Schiffsglocke und die Wände werfen ein vielstimmiges Echo in den Raum. Kommandowechsel bei den „Kielschweinen“. Nun ist Gerhard Stephan einer der etwa 40 Sänger am heutigen Übungsabend. Und wie alle anderen muss er sich jetzt die Manöverkritik von Reinhard Kirsch anhören. „Leute, das geht gar nicht. Beim letzten Auftritt war das Gequassel zwischen den Liedern bis ins Publikum zu hören“, tadelt der musikalische Leiter, schiebt aber gleich ein Lob hinterher. „Die Texte der neuen Songs sitzen jetzt richtig gut und die Einsätze stimmen auch.“ Sichtlich erleichtert hellen sich die Gesichter auf, schließlich ist heute die Presse an Bord.

Obwohl, sie lachen gern über sich selbst – so wie über ihren Auftritt bei Dieter Bohlen in der Sendung „Das Supertalent“ im vergangenen Jahr. „Blöde Sprüche hat er sich verkniffen, nur kurz angemerkt, dass wir wohl etwas fehl am Platze wären“, erzählt Gerhard Stephan. Kurzerhand hatte er dem Pop-Titan ein Angebot gemacht: „Heuere doch bei uns an, Dieter. Und bring die Sylvie Meis gleich mit!“ Die Antwort des viel beschäftigten Musikproduzenten soll übrigens noch ausstehen.

Wahrscheinlich würde die Stimme von Dieter Bohlen bei den „Kielschweinen“ sowieso gnadenlos untergehen. Reinhard Kirsch blättert im Notenheft, nennt eine Nummer, und dann klingt sauberer Bass aus vierzig Männerkehlen: „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern.“ Die Akustik ist erstaunlich gut im Dachgeschoss eines Betriebsgebäudes der Hitzler-Werft. Unweigerlich wippt der Fuß mit, wenn die Männer von Mädchen singen, die zu Hause auf ihre Liebsten warten, oder von der Einsamkeit an Bord.

„Shantys hat man im Blut oder eben nicht“, hatte Gerhard Stephan zu Beginn des Übungsabends gesagt. Vielleicht hat er doch nicht recht. Immerhin hat sich eine überzeugte Landratte gerade einen Ohrwurm eingefangen: „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern . . .“

Konzert zum Jubiläum

Am Sonnabend, 19. November, beginnt um 19 Uhr im Festsaal des Mosaik (Raiffeisenweg 1 a) das Jubiläumskonzert der „Kielschweine“. Karten zu 13,20 Euro gibt es im Mosaik, dem Reisebüro Oberelbe und in der Buchhandlung Rusch.