Lauenburg. Silke und Arne Schippmann aus Lauenburg führen ein zweites Leben im frühen Mittelalter
Wir schreiben das Jahr 1250: Das feindliche Ritterheer hat das Dorf umzingelt. Eine junge Magd – die mutigste von allen – zieht mit dem Schwert gegen die Feinde. Doch sie hat nicht mit deren Übermacht gerechnet: Der Hieb einer Streitaxt trifft sie hart am Kopf.
„Alle dachten, es sei Kunstblut. Dabei hatte ich wirklich einen Schlag die Nase bekommen“, erinnert sich Silke Schippmann an ihr blutiges Abenteuer. Dass ausgerechnet Ritter Arne sie mit der Waffe aus Schaumstoff und Latex versehentlich verletzt hatte, war offensichtlich vom Schicksal so gewollt: Seit fünf Jahren sind Silke und Arne Schippmann nun verheiratet und nicht nur ihre Vorliebe für Rollenspiele des frühen Mittelalters verbindet sie.
Eintauchen in eine magische Fantasiewelt
Wenn die beiden Mittvierziger ihre Gewandungen anlegen, tauchen sie in eine magische Fantasiewelt ein. Aus der Social-Media-Beraterin wird eine Magd, Zigeunerin, Heilerin oder Seeräuberbraut. Ihr Mann Arne – im realen Leben Beschwerdemanager eines Großunternehmens – legt seine Ritterrüstung an oder schlüpft in die Rolle eines reichen Junkers aus dem frühen Mittelalter. Ihr Hobby teilen die Schippmanns mit bis zu 40 000 Gleichgesinnten in Deutschland, die sich regelmäßig zu fantasievollen Rollenspielen treffen.
Für das Lauenburger Ehepaar ist das mehr als ein Verkleidungsspiel. „In den Figuren leben die Spieler auch ihre dunkle Seiten aus, die im Alltag nicht immer sichtbar werden“, erklärt Silke Schippmann das Prinzip. Kaum vorstellbar, dass aus der sympathischen Frau mit dem Schalk in den Augen dann eine arrogante Edelfrau wird, die mit Hochmut auf die niederen Mägde blickt.
Auch Arne Schippmann spielt in den Rollen immer ein Stück von sich selbst. „Es passiert, dass ein Charakter manchmal nicht mehr einem Teil des eigenen Wesens entspricht. Dann legt man diese Rolle ab“, erzählt er.
Man meint, das Schnauben der Schlachtrösser zu hören
Ein festes Drehbuch gibt es nicht für die Veranstaltungen, die die Schippmanns mindestens einmal im Jahr besuchen. Inzwischen sind sie selbst sogenannte Orga, die sich eine Ausgangssituation oder einen groben Handlungsstrang der Geschichte überlegen. „Die Spielteilnehmer sind aber frei in ihren Aktionen. Manchmal entwickelt sich die Geschichte anders als ursprünglich gedacht. Das macht den Reiz aus“, sagt Silke Schippmann.
Aber auch zwischen den Treffen der Rollenspieler zelebriert das Paar gern sein mittelalterliches Leben. Die ausgebaute Scheune ihres Hauses scheint aus der Zeit gefallen. Dass hier bei Kerzenschein die Ritter der Tafelrunde üppige Gelage halten, scheint überhaupt nicht abwegig. Geschmiedete Waffen an der Wand zeugen davon, dass sich die Bewohner der „Burg“ gegen ihre Feinde zur Wehr setzen können. Man meint von draußen sogar das Schnauben von Schlachtrössern hören zu können.
Ritterliche Werte in den Alltag herüber retten
In der „Burg“ kommen tatsächlich ab und zu dampfende Schüsseln mit Fleisch, selbstgebackenes Brot und Met auf den langen Holztisch. Dann wird aus dem edlen Ritter nämlich ein Koch, der für die gemeinsamen Freunde Gebratenes und Gesottenes auf den Tisch bringt. Für die Zubereitung der originalen Wild-, Geflügel oder Fischgerichte steht er bis zu sieben Stunden in der Küche.
Was retten die beiden Rollenspieler von ihrem mittelalterlichen Leben in ihren realen Arbeitsalltag mit Kunden und Computern herüber? Arne Schippmann muss für die Antwort nicht lange überlegen: „Höflichkeit, Loyalität und Ritterlichkeit sind Werte, die auch in der Gegenwart einen Wert haben“, ist er überzeugt.
Was ist ein LARP?
LARP ist die Abkürzung für Live-Action-Role-Playing (englisch, Liverollenspiel) und es eröffnet die Möglichkeit, in die Rolle eines Fantasyhelden oder einer Bauernmagd im Mittelalter zu schlüpfen. Seit über 20 Jahren wird dieses Hobby aktiv in Deutschland betrieben. Auf sogenannten Cons (englisch, Convention bedeutet Zusammentreffen) haben die Veranstalter zum Teil außergewöhnliche Spielorte wie Burgen oder Industrieanlagen mit aufwendigen Bauten, Dekoration und Technikeffekten in möglichst authentische Spielwelten verwandelt. Hier können die Teilnehmer mit einer passenden Rolle (Charakter) in das Abenteuer eintauchen. Der Handlungsstrang der Geschichte, um den sich die Veranstaltung dreht, wird Plot genannt.