Anwohner-Bilanz: Kritik am Katastrophenstab und der Anordnung zur Räumung der Altstadt
Das verheerende Hochwasser der Elbe im Juni hat in Lauenburg nicht nur Sachschäden in Höhe von etwa 25 Millionen Euro hinterlassen, sondern auch die von der Flut betroffenen Menschen tief erschüttert. Mit der seit langem schwelenden Kritik wurden jetzt bei einem Treffen von 70 Altstadt-Anwohnern die verantwortlichen Führungskräfte des Einsatzstabes auf Einladung der Stadt konfrontiert. Anwohner berichteten, es würde noch immer traumatisierte Menschen geben, außerdem sei der Umgang mit den von der Evakuierung Betroffenen während der Maßnahme inakzeptabel gewesen.
Die Evakuierung an sich war dann für viele Altstadt-Bewohner auch das Schlimmste an der ganzen Situation. "Wir hätten unser Haus mit unseren fünf Pumpen bei dem letztlich eingetretenen Wasserstand sicher trocken halten können. Jetzt haben wir einen Schaden von 400 000 Euro", erklärte Gerd Poltz aus dem "Alten Zollhof" an der Elbstraße. Poltz: "Die Evakuierung war für uns katastrophal." Ähnlich erging es vielen anderen Anwohnern. Die Evakuierung wurde für unnötig erachtet. "In die Hosen geschissen habt ihr euch", brachte Anwohner Siegmar Scherling die Kritik am Katastrophenstab und der Anordnung zur Räumung der Altstadt auf den Punkt. "Der Katastrophenstab hat den örtlichen Sachverstand nicht einbezogen, stattdessen regierte da die blanke Panik", meinte Anwohner Hajo Krasemann. Er warf der Einsatzführung vor, nicht schlüssig gehandelt zu haben. "Ich habe nach der Evakuierung gedacht, ich sehe mein Haus nie wieder, und am nächsten Tag stand ich vor der trockenen Tür", sagte Anwohnerin Dodo Mayer-Gevert.
Ausgelöst wurde die Evakuierung wegen dramatischer Prognosen. Die schwankten allerdings extrem - und es kam längst nicht so dramatisch, wie vorher gesagt. Uta Behnke vom Landsamt für Umwelt erklärte während des Treffens, wieso die Vorhersagen so ungenau waren. "Wir hatten im Scheitel bis zu 1,15 Meter Abweichung", sagte sie. Relativ verlässlich waren die Prognosen für drei Tage, darüber hinaus gehende fünf Tage der Abschätzung unterlagen heftigen Schwankungen. Wären nicht Deiche gebrochen und die Havelpolder sowie Talsperren gefüllt worden, hätte das in Lauenburg einen um 74 Zentimeter höheren Wasserstand bewirkt, berechneten die Experten. "Das Berechnungsmodell für die Vorhersagen war nicht geeicht, weil es vorher nie diese hohen Wasserstände gegeben hatte", sagte Uta Behnken. So erklärte sie, weshalb die Vorhersagen so unzuverlässig waren.
Dietmar Wienholdt, der von der Landesregierung eingesetzte Flut-Beauftragte für Lauenburg, bat wie die Leitende Verwaltungsdirektorin des Kreises, Dörte Kröpelin, um Verständnis für die Entscheidungen. Man habe die offiziellen Vorhersagen als Maßstab annehmen müssen: "Es war nicht so, dass wir gesagt haben, wir evakuieren, dann sind wir das Problem los."
"Die Leute vom Kreis sollten noch einmal zu einem Kommunikationstraining. Wir wurden während der Evakuierung wie Schuljungs behandelt, nicht wie Menschen, die sich in einer Krise befinden", kritisierte Susanna Brauer-Bethge aus der Elbstraße. "Wenn man auf uns Anwohner gehört hätte, hätten wir von den 25 Millionen Euro an Schäden bestimmt 20 Millionen sparen können", meinte Krasemann. Er fordert vor der angekündigten "großen Lösung" für einen Hochwasserschutz auch schnellere Zwischenlösungen. Denn, so die Sorge: Das Hochwasser kommt öfter und höher. Im August 2002 wurden 8,70 Meter registriert, im April 2006 waren es 9,11 Meter, im Januar 2011 9,23 Meter und zuletzt im Juni 9,64 Meter.