Nachbarschaftshilfe: Anwohner organisierten sich während der Flut und helfen Betroffenen noch heute
"Die Haustür bitte nicht zu machen." Ingrid Wode sitzt auf dem Sofa am offenen Fenster und hofft auf etwas Durchzug. Doch egal, wie oft sie ihre Wohnung auch lüftet, der Geruch von fauligem Wasser hat sich Teppich und Tapeten gefressen.
Fritz Hock klopft an den Türrahmen, wird von der 70-Jährigen wie ein alter Bekannter begrüßt. Fast täglich schaut er bei der Seniorin nach dem Rechten. Seit die ersten Hochwasserprognosen Schlimmes ahnen ließen, engagiert sich das bayerische Urgestein in der von Altstadt-Bewohnern selbst organisierten "Nachbarschaftshilfe". Fragt man den vor drei Jahren zugezogenen Kunsthandwerker, warum er das tut, hat er eine einfache Antwort parat: "Ist das Wasser abgezogen, packen die offiziellen Helfer ihre Sachen. Dabei fängt dann für viele Betroffene die Katastrophe erst an."
Auch bei Ingrid Wode sah es zunächst so aus, als hätte die Elbe ein Einsehen gehabt, wie in den letzten 20 Jahren auch, wenn der Fluss über die Ufer trat. Solange wohnt sie schon hier in der Elbstraße. Und auch diesmal war lediglich der Keller des Hauses vollgelaufen. Doch ein paar Tage später kroch das Wasser ins Erdgeschoss und der unerträgliche Gestank breitete sich aus. Plötzlich bröckelten im Bad große Stücke Putz von der Wand. Als die Leute von der "Nachbarschaftshilfe" bei ihr klingelten, brach Ingrid Wode förmlich zusammen. "Ich habe nur noch geheult wie ein Schlosshund", erinnert sie sich.
Inzwischen wellt sich der orange-rote Teppich im Wohnzimmer und in der Küche gibt der Holzfußboden unter den Füßen bedrohlich nach. "Das muss alles raus", weiß Fritz Hock aus Erfahrung. Heute ist er nicht nur gekommen, um der Rentnerin Mut zuzusprechen. Norbert Geisendorf von der Kreishandwerkerschaft begleitet ihn mit einem Stapel Papier in der Hand. Der Malermeister aus Schwarzenbek unterstützt die Lauenburger "Nachbarschaftshilfe" - ehrenamtlich und unentgeltlich wie alle, die sich dieser Aufgabe verschrieben haben. Auch bei Ingrid Wode hilft dem Fachmann die erste Bestandsanalyse der "Nachbarschaftshilfe". Geisendorf weiß nun, was zu tun ist. "Wir machen das hier alles wieder schick", tröstet er die Seniorin. Sie bleibt nicht die einzige Betroffene, die er heute gemeinsam mit Fritz Hock besucht.
50 000 Euro hatte der Awo-Ortsverband für solche Arbeiten aus dem Fluthilfeprogramm des Landesverbandes nach Lauenburg geholt. Von diesem Geld werden nun Tapeten, Farben, Fußbodenbeläge und andere Materialien gekauft, um in möglichst vielen Häusern die Hochwasserschäden zu beseitigen. Geisendorf weiß von einigen Handwerkerbetrieben des Kreises, dass auch sie bereit sind, zu helfen. Und er hat noch eine wertvolle Verbindung geknüpft: "Das Berufsbildungszentrum aus Mölln will Handwerker-Nachwuchs nach Lauenburg schicken", kündigt er an.
Die Fäden dieser Hilfsbereitschaft laufen bei Jörg Sönksen zusammen, dem Koordinator der Nachbarschaftshilfe. Eigentlich hätte dieser schon genug mit den Schäden zu tun, die das Hochwasser im von ihm gepachteten "Hotel Möller" angerichtet hat. Doch seit fast zwei Monaten trägt der Hotelier ständig zwei Handys mit sich herum. Das mit der Notrufnummer hat in den ersten Tagen der Katastrophe fast pausenlos geklingelt, und auch jetzt wird das Gespräch immer wieder unterbrochen. Was hält die "Nachbarschaftshilfe" noch immer zusammen? Sönksen muss nicht lange überlegen: "Es ist die Dankbarkeit von Leuten wie Frau Wode, denen wir helfen, wieder in die Normalität zu finden."
* Stellvertretend für die Lauenburger "Nachbarschaftshilfe" wurde Jörg Sönksen in diesem Jahr für den Deutschen Bürgerpreis nominiert. Auf der Seite www.deutscher-buergepreis.dekönnen User noch bis zum 11. August ihr Votum zu den Vorschlägen abgeben.