Geesthacht. Mit Unterstützung des VfL Geesthacht hat Dr. Jessica Kunert von der Uni Hamburg die Wirkung von 360-Grad-Brillen untersucht.

Nach Sport sieht es nicht aus, was in der Turnhalle des VfL Geesthacht an der Grenzstraße aufgebaut ist. Zwei Stühle stehen nebeneinander, ein weiterer wurde vor einen Tisch geschoben. Die Fläche hinter dem Tisch füllt ein großer Flachbildfernseher aus. Vor ihm liegen 360-Grad-Brillen, zudem viele Kabel und eine Playstation für das Abspielen von Filmen.

Jessica Kunert, die Tochter des VfL-Vorsitzenden Jörg Kunert, nutzt die Halle für ihre Forschungsarbeit. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg, Bereich Journalistik und Kommunikationswissenschaft und realisiert eine Studie zur Zukunft des Journalismus. Sie will erforschen, wie die Technik des 360-Grad-Videos wahrgenommen wird und ob es eine Akzeptanz gibt für journalistische Inhalte.

Zukunft des Journalismus - Einsatz von 360-Grad-Videos?

Für die Interviews der Teilnehmer nach dem Film halfen ihr Kommilitonen. Etwa 90 Minuten benötigten die insgesamt 37 Probanden pro Durchlauf. Die Auswertung der Studie wird etwa ein halbes Jahr dauern. Sie soll dann in einer Fachzeitschrift veröffentlicht werden.

Und so konnten die Probanden mitten in der Turnhalle tauchen für die Wissenschaft. Denn sie sahen für dieses Medium produzierten Filme über eine 360-Grad-Brille, die ihren Kopf umschloss. Bei dieser Technik gibt es kein „vorne“ wie beim gewohnten Fernsehen. Der Zuschauer bleibt immer mitten im Filmgeschehen, wie der Kopf auch gewendet wird. So stiegen die Zuschauer quasi mit Tauchern in die Tiefe ab, wenn sie den Kopf in den Nacken nahmen, war oben die helle Meeresoberfläche zu sehen.

Urteile von „das brauche ich nicht“ bis sofort loslaufen und kaufen

Oder die Zuschauer schrumpften und erblickten die Welt des Miniatureisenbahn-Wunderlandes in der Speicherstadt aus der Perspektive einer Figur, die dort aufgestellt ist. Die Probanden standen auf dem Bahnsteig oder lagen am Strand des Mini-Rimini. Und wenn sie aufschauten, sahen sie, wie die Besucher der Anlage auf sie hinabblickten.

Jessica Kunert legt den Kopf in den Nacken. Mit der 360-Grad-Brille geht der Tauchfilm auch an der Zimmerdecke weiter.
Jessica Kunert legt den Kopf in den Nacken. Mit der 360-Grad-Brille geht der Tauchfilm auch an der Zimmerdecke weiter. © Dirk Palapies | Dirk Palapies

Das ist außerordentlich eindrucksvoll. „Die Bildwirkung ist so stark, dass sich einige am Stuhl festgehalten haben“, berichtet Jessica Kunert. „Und einer ist sogar aufgestanden, da hatte ich Angst um mein Equipment. Er wolle alles sehen, war die Begründung.“ Der erste Eindruck bei den Probanden sei fast durchweg positiv gewesen, berichtet die Kommunikationswissenschaftlerin. „Ich habe ganz viele leuchtende Augen gesehen. Einige meinten zwar ,das brauche ich nicht’. Andere wollten am Liebsten gleich loslaufen, um sich eine Brille zu kaufen.“

Neue Herausforderung für Kameraleute

Unter den Teilnehmern waren viele Bekannte von Jessica Kunert, die sich bisher nichts unter den 360-Grad-Filmen vorstellen konnten. Aber auch einige vom Fach. So wie Fotograf Jürgen Karsch, der mit Geesthacht.TV auf Kanälen wie Youtube auf Sendung ist und sich in der 360-Grad-Fotografie für Raumbegehungen gut auskennt.

„Ich finde, das ist eine tolle Geschichte“, meinte er beeindruckt. „Ich habe meine 360-Grad-Kamera aus dem Schrank geholt und werde jetzt damit selbst die ersten Versuche mache.“

Erste Filme auf Youtube und Arte zu sehen

Er kann sich gut vorstellen, die Technik demnächst selbst für seine Filmberichte aus Geesthacht einzusetzen. Einen Einsatz für „Brutalo-Journalismus“ würde er aber nicht glücklich finden, sagt er. „Eine Granate muss mir nicht um die Ohren fliegen.“

Das sieht auch Jessica Kunert so. „Es gibt bereits Dokumentarfilme mit dieser Technik, etwa aus einem Flüchtlingslager“, weiß sie. Als praktische Anwendung im Journalismus schweben ihr aber, schon aus ethischen Gründen, eher Reisereportagen statt Kriegsberichte vor, Dokumentationen oder Sport. Damit sich die Technik richtig durchsetzt, müsste es noch mehr Inhalte geben, meint sie. Auf Arte oder auch YouTube sind solche Filme bereits zu finden.