Geesthacht. Schwärmende Mücken haben in Geesthacht das Coronavirus als Stadtgespräch abgelöst. Bürger wollen wissen, was gegen die Plage hilft.

Er betreibt seit acht Jahren das Elbkantinchen, sagt Roger Willke, „aber das ist das erste Mal, dass ich so etwas erlebe.“ Sein beliebtes Ausflugslokal in Tesperhude liegt direkt an der Elbe, und dort sind sie gerade besonders aktiv: Tausende und Abertausende von schwärmenden Mücken haben das Coronavirus seit dem Wochenende als Stadtgespräch in Geesthacht abgelöst. Viele riefen im Rathaus an, fragten, was sie gegen die Mückenplage tun könnten.

Mückenschwärme sind lästig, aber völlig harmlos

„Milliarden Viecher sind das“, sagt Roger Willke. „Dieses Jahr ist es schon extrem“, hat er beobachtet. „Mittags war alles schwarz auf Boden und Tischen.“ Die Überreste wurden mit dem Staubsauger abgesaugt und die Tische anschließend desinfiziert. Immerhin: Dort, wo Wind ging, war es besser. „Sonst konnte man nicht viel machen“, meint der Elbkantinchen-Betreiber.

Denn so lästig die kleinen Tierchen auch sein mögen – sie sind völlig harmlos. Die Mücken können nicht stechen. Und sind zudem noch sehr nützlich. „Die Larven sind ausgesprochen wichtig als Fischfutter“, erklärt Dr. Friedhelm Ringe vom Nabu. Zudem reinigen sie das Wasser, indem sie es filtern, und wenn sie das Larvenstadium im Elbschlamm verlassen und fliegend auf Brautschau emporsteigen wie jetzt gerade, bieten sie Vögeln wie Schwalben und den Fledermäusen einen reich gedeckten Tisch. Die Mückenfledermaus etwa trägt ihren Namen nicht von ungefähr. „Für Luftjäger sind die Mücken existenziell“, weiß Dr. Ringe.

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Elbmücken sind als Zuck- oder Federmücken bekannt

Der Biologe ist ein ausgesprochener Experte. Im Rahmen seiner Doktorarbeit hatte er einst sogar zwei neue Mückenarten entdeckt. Bei den Elbmücken handelt es sich um die Familie der Chironomidae, auch bekannt als Zuck- oder Federmücken, erklärt er. In Mitteleuropa gibt es 2500 Arten von ihnen, bei uns kommen in der Elbe und den Nebengewässern 50 bis 100 Arten vor. Sie werden zwischen 1,5 Millimeter bis 1,5 Zentimeter groß. „Kann gut sein, dass das jetzt die erste Generation ist“, sagt Dr. Friedhelm Ringe. Manche Arten kämen sogar auf drei Generationen, aber das komme auch aufs Wetter an.

Als Larve leben die Mücken bis zu drei Jahre, als erwachsene Imago nur ein paar Tage, denn ausgewachsen ernähren sie sich nicht mehr. Jetzt geht es nur noch um die Fortpflanzung. In „Tanzschwärmen“ stimmen sie durch Bewegen ihrer Flügel das jeweils nur für ihre Art charakteristische Summen an, das Weibchen zur Paarung anlockt. Danach werfen die Weibchen einiger Arten ihre befruchteten Eier einfach über freien Wasserflächen ab, die Larven entwickeln sich in sauerstoffarmen Tiefenschichten. Bei anderen Arten werden Eiballen an Steinen oder Gräsern im Wasser, am Ufer oder in Feuchtgebieten abgelegt. Das bedeutet aber nicht, dass der Spuk nun bald vorbei ist. Denn
die Larven, die jetzt noch im Elbwasser schwimmen, werden nicht alle auf einmal geschlechtsreif, sondern zeitversetzt nach und nach. Dr. Friedhelm Ringe schätzt, dass die Geesthachter noch bis zu zwei Wochen mit Schwärmen rechnen müssen.

Das massenhaft Auftreten könnte mit dem Klimawandel zu tun haben

Das massenhafte Auftreten könne mit dem Klimawandel zusammenhängen, schätzt Dr. Ringe. Die Bedingungen für die wärmeliebenden Zuckmücken würden sich verbessern, und sie hätten keine Probleme mit Sauerstoffmangel in den Gewässern. Er schätzt, dass die Schwärme in Zukunft noch massiver werden könnten. Zudem könnten die Lebensgrundlagen für die Mücken rund um Geesthacht besonders günstig sein, weil die Elbe wegen der Staustufe von den Ge­zeiten abgekoppelt ist, vermutet
Dr. Ringe.

Sein Plädoyer: „Es sind Organismen, die hier hingehören, wir müssen damit umzugehen lernen. Wir müssen damit leben und nicht gleich wieder zum Gift greifen.“ So wie Roger Willke und seine Gäste im Elbkantinchen, die es sportlich nahmen: „Es gibt Schlimmeres“, meint Willke. „Etwa, wenn die auch noch stechen würden.“