Geesthacht/Kiel. Geesthacht. In Briefkästen finden Bürger derzeit amtlich aussehende Schreiben. Dabei handelt es sich um Werbung der sogenannten Reichsbürger.
Überschrieben mit „Amtliche Bekanntmachung“, „Amtlicher Stimmzettel“ und „Aufruf zu Volkswahlen“ finden Geesthachter in diesen Tagen Schreiben einer „Verfassunggebenden Versammlung“ in ihren Briefkästen.
Wer anfängt, die teils eng beschriebenen Blätter im DIN-A5-Format zu lesen, bemerkt allerdings schnell: Bei den Schreiben handelt es sich keineswegs um Post aus dem Rathaus. Es ist Werbung von Reichsbürgern. Diese lehnen die Bundesrepublik und ihre staatlichen Organe ab.
Verfassungsschutz ist eingeschaltet
„Bürgerinnen und Bürger sollten Hinweise auf solche Aktivitäten an die Sicherheitsbehörden melden und ansonsten darauf nicht weiter eingehen. Der Verfassungsschutz wird diese Hinweise im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags weiter bearbeiten“, rät Tim Radtke, Pressesprecher im Kieler Innenministerium, angesprochen auf die Briefkastenaktion.
Die „Verfassunggebende Versammlung“ (VV) ist laut Innenministerium eine bundesweit agierende Gruppierung der Reichsbürgerbewegung und wird vom Verfassungsschutz beobachtet. „2015 hat die VV eine ,Urkunde der Ausrufung und der Einsetzung’ veröffentlicht, damit hat sie sich gewissermaßen selbst als VV eingesetzt“, ordnet Radtke ein. Ziel der Gruppierung sei es, eine neue Verfassung für Deutschland zu erstellen.
Briefkasten-Aktion ist neue Qualität
Dass die VV auch in Schleswig-Holstein aktiv ist, ist den Behörden schon längere Zeit bekannt – allerdings haben die Vorkommnisse in Geesthacht eine besondere Relevanz. „Bisher gab es für Schleswig-Holstein keine Hinweise über Aktivitäten der VV in der Realwelt“, informiert Radtke. Die Briefkasten-Aktion, die dem Verfassungsschutz bekannt ist, zeige jedoch, dass die Aktivitäten der VV auch im Norden über ihre Internetpräsenz hinausgehen.
Bei der Pressestelle der Polizeidirektion in Ratzeburg, die für Geesthacht und die Umgebung zuständig sind, ist eine Häufung von derartigen Flyer-Aktionen in der Region nicht bekannt. Im Geesthachter Rathaus haben sich indes bereits einige Empfänger gemeldet.
Reichsbürger in Schleswig-Holstein
Die Reichsbürgerbewegung wird vom Verfassungsschutz als „eine eigene Form des politischen Extremismus“ beschrieben, die insbesondere aufgrund ihrer hohen Affinität zu Waffen von Bedeutung für die Sicherheitsbehörden sei.
Ende 2018 waren landesweit 313 Personen eindeutig als Reichsbürger identifiziert, 83 mehr als noch im Jahr 2017. 29 Reichsbürger lebten 2017 im Herzogtum Lauenburg. Bei zwölf der Ende 2018 identifizierten Reichsbürger gibt es Bezüge in die rechtsextremistische Szene. Etwa drei Viertel der Reichsbürger in Schleswig-Holstein sind laut Verfassungsschutz nicht organisiert. Eine flächendeckende Vernetzung sei bislang ebenfalls nicht festzustellen.
Aktionen von Reichsbürgern sind laut Innenministerium gegen die Verfassung gerichtet und zielen darauf ab, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen.