Geesthacht. . Versorgungsgesetz Praxisnetz: Mehr offene Sprechstunden führen nicht zu kürzeren Wartezeiten
Für eine Geesthachter Wohngemeinschaft fehlt ein Arzt, der dort langfristig die medizinische Versorgung von fünf schwerkranken Bewohnern übernimmt, in Schwarzenbek ist eine Hausarztstelle weggefallen. Diese beiden Engpässe stehen aktuell ganz oben auf der Prioritätenliste von Markus Knöfler. Aus Sicht des Geschäftsführers des Praxisnetzes Herzogtum Lauenburg sind das typische Probleme, die bei der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum auftreten können und „für die wir eine Lösung finden werden“ – und zwar vor allem durch die enge Zusammenarbeit auf regionaler Ebene. Vom Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), das am 1. April in Kraft treten und laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den Alltag von Patienten spürbar verbessern soll, erwartet Knöfler indes wenig.
„Ich denke, das ist viel Symbolpolitik. An den wirklichen Problemen geht es eher vorbei“, kommentiert Knöfler auf Nachfrage unserer Zeitung die Überlegungen aus Berlin. Die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) und mit ihr mehr als 1700 der landesweit 3500 Praxen von Ärzten und Psychotherapeuten haben sie in einem offenen Brief jetzt deutlich kritisieren.
Ein Ziel des Gesetzes ist, dass Kassenpatienten künftig schneller einen Arzttermin erhalten. Möglich werden soll das durch ein umfangreiches Regelpaket, dem der Bundestag noch zustimmen muss. Termine sollen beispielsweise künftig teils über Online-Systeme oder Vergabestellen verteilt werden und Ärzte, die neue Patienten aufnehmen, mit Zuschlägen belohnt werden. Zudem sieht das TSVG vor, dass niedergelassene Ärzte verpflichtet werden, mindestens 25 statt wie bisher 20 Sprechstunden pro Woche für Kassenpatienten anzubieten.
Doch was für den Laien gut klingen mag, hat für Markus Knöfler gleich mehrere Haken. Viele der Forderungen würden bereits erfüllt, entscheidende Aspekte außer Acht gelassen. „Unser Problem ist doch nicht, dass die Ärzte zu wenig arbeiten. Vielfach ist die Kapazitätsgrenze einfach erreicht und es kommt darum zu Engpässen“, betont der Chef des Praxisnetzes, in dem mehr als 140 Ärzte und Psychotherapeuten des Kreises Herzogtum Lauenburg organisiert sind.
Die meisten niedergelassenen Ärzte würden bereits mehr als 50 Stunden in der Woche arbeiten – aufgeteilt auf offene Sprechstunden, Terminsprechstunden, Hausbesuche und Verwaltungsarbeit. „Wenn eine Praxis mal geschlossen ist, heißt das ja nicht, dass der Arzt nicht arbeitet“, betont Knöfler. Er befürchtet, dass die Verpflichtung zu mehr offenen Sprechstunden dazu führen könnte, dass Patienten an anderer Stelle länger warten. „Für mehr Sprechstunden fallen Termine weg. Die eine Form geht zu Lasten der anderen“, so Knöfler, der sich aus Berlin andere Impulse wünschen würde.
So wären Instrumente der Patientensteuerung, wie die Verpflichtung zum Hausarztbesuch vor der Facharztkonsultation, zur Entlastung der Wartezimmer eine Überlegung wert. „Aber die Politik schreckt vor dem Thema Patiententourismus zurück“, kritisiert Knöfler.
Mehr Medizinische Versorgungszentren (MVZ) könnten laut Knöfler die Lage im ländlichen Raum entspannen. Deren Gründung sei jedoch kompliziert und die Finanzierung teils nicht zufriedenstellend geregelt. „Dr. Leineweber aus Büchen sichert mit seinem MVZ-Nord an vier Standorten die medizinische Versorgung der Menschen – unter anderem auch in Kuddewörde. Es ist in der Vergütung aber nicht abgebildet, dass er durch seine Fahrten und alles andere, was daran hängt, einen Mehraufwand hat“, macht Knöfler deutlich. Dabei sei gerade für viele junge Mediziner das in MVZ mögliche Angestellten-Verhältnis attraktiver als die klassische Selbstständigkeit, die oft eine hohe Arbeitsbelastung bedeute. Knöfler: „Die Arbeitsbedingungen müssen verbessert werden, damit Ärzte außerhalb der Ballungszentren – also auch hier – gerne arbeiten. Denn eines ist klar: Der prognostizierte Bevölkerungsrückgang ist für das Herzogtum Lauenburg nicht eingetreten, sondern es wird wachsen – also brauchen wir Ärzte. Wir haben im Kreis eine hohe Alterszuwanderung.“