Geesthacht. Norddeutsche Teppichfabrik Diebe, Brandstifter und Randalierer haben Gebiet im Griff – Wir blicken zurück und in die Zukunft
Das Gelände der ehemaligen Teppichfabrik an der Düneberger Straße verkommt zum Spielplatz für Zerstörungswütige und Brandstifter. Wie berichtet, wüten dort seit Tagen immer wieder teilweise verheerende Brände, außerdem gibt es viele frische Farbschmierereien und einen seit Monaten andauernden Vandalismus. Wir fassen die bisherige Entwicklung des Gebiets und die Pläne zusammen.
Die Teppichfabrik
1951 gründete Hubertus Rösel in Geesthacht die Norddeutsche Teppichfabrik. Der Markenname „Nordpfeil“ stand über Jahrzehnte für beste Qualität bei Teppichböden. In Spitzenzeiten arbeiteten mehr als 600 Menschen in der Fabrik. Mit dem Boom anderer Fußbodenbeläge (vor allem Laminat) sank der Absatz.
Das Insolvenzverfahren
Im August 2013 geriet das Unternehmen in finanzielle Schieflage. „Wir mussten den Insolvenzantrag stellen, weil trotz hoher Vermögenswerte derzeit nicht hinreichend Liquidität zur Verfügung steht“, erklärte damals Christoph Maaß, Geschäftsführer und Sprecher der Eigentümerfamilie. Gläubiger sind unter anderem die Hausbank und der Abwasserbetrieb. Angeblicher Wert der Immobilien, des Grundstücks und der Maschinen damals: elf Millionen Euro. 350 Mitarbeiter waren von dem Verfahren betroffen.
Die erste Zeit der Nachnutzung
Das Unternehmen Vorwerk (Hameln) sicherte sich im Rahmen des Insolvenzverfahrens den Markennamen „Nordpfeil“ und fertigte mit etwa 80 verbliebenen Mitarbeitern vorerst weiter in Geesthacht. Allerdings wurde die Produktion in Geesthacht im Herbst 2016 eingestellt und nach Hameln verlagert. Nur acht Mitarbeiter gingen mit. Die Maschinen wurden nach Osteuropa verkauft.
Der Altmetalldiebstahl
Altmetall-Diebe haben die Gebäude zum Jahreswechsel 2016/2017 heimgesucht. „Mit Hilfe eines Baggers oder Radladers wurden Bäume zur Seite geschoben und riesige Löcher in eine Fassade gerissen, um komplette Brenner der Heizkessel mitnehmen zu können. Und selbst die Transformatoren sind in einem Stück verschwunden“, berichtete Insolvenzverwalter Udo Müller damals. Folge: sämtliche Gebäude sind von der Infrastruktur abgeschnitten. Ein Käufer, mit dem sich Müller nach eigenem Bekunden einig war, sei daraufhin abgesprungen.
Wochenlang liefen nach dem Auszug von Vorwerk Aufräumarbeiten auf dem Areal. Dass die parallel aktiven Schrottdiebe unbemerkt blieben, scheint zweifelhaft. Nur: Hinweise von den Arbeitern gab es gegenüber der Polizei nicht. Weil auch Regenfallrohre gestohlen wurden, läuft das Regenwasser seitdem unkontrolliert ab und verschlimmert die Bauschäden.
Das Gelände
Das Grundstück der Teppichfabrik ist 22 Hektar (220 000 Quadratmeter) groß und eingezäunt. Bewacht wird es nicht. Die Polizei fährt an dem Areal aber Streife. Bebaut ist das Gelände mit Hallen, von denen einige noch aus der Zeit der Düneberger Pulverfabrik (1876 bis 1945) stammen. Weitere Gebäude ließ Rösel ab 1951 errichten, vor allem in der markanten Architektur der Sheddächer mit ihren geschwungenen Dächern. Später kam eine Halle (15 000 Quadratmeter) für Produktion und Lager hinzu. Die ist neben einigen kleineren Gebäuden aus dem seit 2016 geltenden Denkmalschutz ausgeklammert.
Bodenanalysen im Auftrag des Kreises haben 2016 keine nennenswerten Kontaminationen mit Altlasten der Pulverfabrik oder Produktionsrückständen aus der Teppichherstellung ergeben.
Der Denkmalschutz
Das Landesamt für Denkmalpflege hat für zahlreiche Gebäude – einschließlich des Pförtnerhäuschens und des Schriftzugs „Norddeutsche Teppichfabrik“ an der früheren Zufahrt – nach einem Ortstermin die Denkmalschutzwürdigkeit festgestellt. Dem möchte Insolvenzverwalter Müller jedoch widersprechen, eine entsprechende Klage sei in Vorbereitung, teilte er mit. Denn bei einer weiteren Nutzung müssten die betroffenen Gebäude unter den strengen Auflagen des Denkmalschutzes erhalten werden. Das würde nach Angaben von Insolvenzverwalter Müller mögliche private Investoren abschrecken, weil die Folgekosten der Sanierung unkalkulierbar seien.
Mögliche Pläne der Stadt
Bürgermeister Olaf Schulze (SPD) hat früh im Insolvenzverfahren Interesse an dem städtebaulich interessanten Gelände bekundet. Es würde sich für Wohnen, Kultur und Gewerbe anbieten. Aktuell ist das Areal mit viel Baumbestand als Industriegebiet klassifiziert. Es gab zwar eine Auftaktveranstaltung zu einem Ideenwettbewerb im Rahmen des ISEK-Verfahrens (Integriertes Stadtentwicklungskonzept), aber bislang keine Ergebnisse. Eine abgestimmte politische Zielrichtung ist bislang nicht erkennbar.
Förderung von Land und Bund
Bei einem Eigenanteil von 800 000 Euro würde die Stadt von Land und Bund über die Städtebauförderung 1,6 Millionen Euro Zuschuss erhalten. Das Geld wurde im November 2017 zugesagt. Dazu müsste die Stadt das Gelände kaufen. Die Forderungen des Insolvenzverwalters liegen weit vom Angebot der Stadt entfernt. Während Bürgermeister Schulze zunächst einen symbolischen Euro als Kaufpreis geboten hatte, muss der Insolvenzverwalter einen höheren Preis erzielen, um die Gläubiger zufriedenzustellen.