Dassendorf. Dassendorf. Ein Hobbyhistoriker fordert ein Umdenken in der Ortsgeschichte. Das völkische Gedankengut der Siedlung wirke bis heute fort.
„Zurück zur Natur“ – mit diesem Schlagwort fasste Dr. William Boehart, der damalige Archivar des Amtes Hohe Elbgeest, vor 20 Jahren in der „Lauenburgischen Heimat“ das Ziel der Siedlung „Edenhall“ zusammen. Es handelte sich um eine Genossenschaft, die 1913 den Hof „Kauersbur“ mit 240 Morgen Land (damals etwa 600 000 Quadratmeter) erwarb. Das Ziel: Westlich des Dorfkerns und direkt angrenzend zum Sachsenwald Selbstversorger ansiedeln. Viele Familien zogen hierher, pflanzten Obstbäume an und besserten ihren Lebensunterhalt mit Kleintierzucht auf.
Hobbyhistoriker fordert Neubewertung
Heute ist von dieser Siedlung kaum noch etwas zu finden. Am Wulers- und Quellenweg stehen zwar kleine Häuschen, und auch Hühner picken hier noch – doch die meisten der Parzellen sind längst neu bebaut. Muss die Bedeutung der „Edenhall“-Siedlung dennoch neu bewertet werden, weil es sich um eine Frühform völkischen und faschistischen Gedankenguts handelte, die bis heute ihre Kreise zieht?
Dieser Ansicht ist der Kinderkardiologe Dr. Wolfgang Ram aus Kiel, der sich als Hobbyhistoriker mit seiner Familie und damit auch der Gemeinde Dassendorf beschäftigt. Sein Urgroßvater Philipp Gärtner gehörte zu den Gründungsmitgliedern von „Edenhall“ und war bis 1918 im Vorstand der „Schaffer-Siedlung“. Der Urgroßvater habe sich früh Carl Friedrich Weißleder angeschlossen, der 1911 erst den „Schaffer-Bund“ und später auch die „Edenhall“-Siedlung gründete. Weißleder gehörte zu den Mitbegründern der „Germanischen Glaubensgemeinschaft“, deren „Hochwart“ er war.
„Ariosophen“ sprechen Juden die Göttlichkeit ab
Die Anhänger dieser Pseudo-Religion („Ariosophie“) vertraten die Ansicht, dass jedem Menschen ein „Licht“ innewohne und man dieses Licht und damit das Göttliche in sich selbst entdecken solle. Allerdings unterschied diese Sekte dabei drei unterschiedliche Gruppen – von denen, die eine besonders hohen Lichtanteil in sich trügen, bis zu denen, die keinerlei Licht in sich hätten. Während zur ersten Gruppe blonde Menschen mit blauen Augen zählten, gehörten Juden nach Ansicht dieser „Glaubensgemeinschaft“ zur dritten Gruppe – sie waren demnach „lichtlos“.
In der Siedlung „Edenhall“ sei diese pseudo-religiöse Überzeugung verfolgt worden, so Ram. Weißleder sei in der Gemeinschaft als „Seelenführer“ und „Heilsbringer“ verehrt worden. Der Gründer veröffentlichte seine Gedanken auch als Herausgeber von Heften („Die Lebensschule“), in denen er „Aufbaugedanken und Weisungen für furchtbefreite Deutsche Menschen“ formulierte.
Führen sich Reichsbürger auf „Edenhall“ zurück?
Für Wolfgang Ram steht fest: Dieses Gedankengut endete nicht, nachdem die Nationalsozialisten Weißleders Verlag als geistigen Konkurrenten verboten und der Zweite Weltkrieg endete. Ram verweist auf Richard Baer, der Kommandant der Konzentrationslager Auschwitz und Mittelbau gewesen war. Nach dem Krieg versteckte er sich unter dem Decknamen Karl Neumann mit seiner Familie auf dem ehemaligen „Edenhall“-Gelände und arbeitete im Forst des Bismarckschen Gutes. Richard Baer wurde 1960 verhaftet, starb jedoch vor Anklageerhebung im Frankfurter Auschwitz-Prozess.
Doch nicht nur diese Personalie sieht Ram als Beleg für das Fortschreiten von Weißleders Gesinnung: „Die regionale Häufung von Reichsbürgern könnte meines Erachtens historisch bedingt sein“, sagt er. Schleswig-Holsteins Innenministerium hat im August 2017 mitgeteilt, dass 180 Personen identifiziert worden seien, die die Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennen. 29 von ihnen leben im Kreis Herzogtum Lauenburg, zehn von ihnen sollen bewaffnet sein.
Boehart: „Waldsiedlung eher durch SPD entstanden“
Bei der Sekte um Weißleder handele es sich um eine „vorfaschistische Bewegung“, attestiert der pensionierte Archivar Boehart. Dennoch bezweifle er, dass das Gedankengut des „Edenhall“-Gründers fortbestehe: „Die heutige Waldsiedlung entstand nach dem Krieg, durch Flüchtlinge und Ausgebombte. Sie ist eher aus der SPD entstanden.“ In Dassendorfs Geschichte gebe es zu viele Brüche, als dass man eine Linie ziehen könne. Dennoch sei die Familiengeschichte der Gärtners hoch interessant: „Herr Dr. Ram ist gern eingeladen, einen Artikel für unsere ,Lauenburgische Heimat’ zu verfassen.“