Geesthacht. leitsystem Riskant, wenn es zugestellt wird oder auf Hauswände zuführt
Ursula Broders lässt ihren weißen Langstock leicht über den Boden kratzen. Das Hilfsmittel pendelt während sie geht etwa 20 Zentimeter vor ihren Füßen, es schlägt schrittbreit nach links und rechts aus. So „ertastet“ die Geesthachterin ihren Weg – denn Ursula Broders sieht schlecht.
„Ich gehe grundsätzlich nur mit dem Langstock vor die Tür“ sagt die 81-Jährige. Und in die Fußgängerzone gehe sie mit gemischten Gefühlen – auch wenn dort ganz besonders an sie gedacht wurde. Rund 5500 Euro (Schlussrechnung liegt noch nicht vor) der 4,08 Millionen Euro Gesamtkosten flossen bei der umfangreichen Umgestaltung der Bergedorfer Straße in ein taktiles Leitsystem für Sehbehinderte und Blinde. 60 Zentimeter lange, weiße Steine, die in das Pflaster eingelassen wurden, signalisieren durch Längsriffeln: „Hier kannst du sicher gehen“ und durch genoppte Erhebungen: „Hier ist Obacht geboten“. Etwa 55 Quadratmeter Leitsystem wurden laut Stadtverwaltung bisher verbaut – und es sollen noch weitere Steine im Stadtgebiet verlegt werden. „Es ist beabsichtigt, zukünftig beim Umbau oder Neubau von allen wichtigen Kreuzungen und Bushaltestellen das Blindenleitsystem soweit möglich einzubauen“, informiert Stadtsprecher Torben Heuer auf Nachfrage unserer Zeitung. Mit dem Hinweis: Die Stadt wäre dankbar, wenn sich Betroffene im Rathaus melden, um über das Leitsystem zu sprechen. Heuer: „Damit kann gewährleistest werden, dass ein besseres Verständnis auf beiden Seiten entstehen kann.“
Gerade an diesem scheint es in der Vergangenheit ein wenig gefehlt zu haben – so zumindest der Eindruck von Katrin Ehbrecht, Bezirksgruppenleiterin Herzogtum Lauenburg des Blinden- und Sehbehindertenvereins Schleswig-Holstein. Die 41-jährige Lauenburgerin, die selber nur rund zwei Prozent Sehkraft hat, spricht oft mit Betroffenen – auch mit Ursula Broders. Das einhellige Urteil der beiden Sehbehinderten: Dass ein Leitsystem in der Geesthachter Fußgängerzone verbaut wurde, ist vorbildlich und gut. Allerdings hat die Anwendung in der Elbestadt deutliche Defizite. „An einigen Stellen ist es fast riskanter, das System zu nutzen. Da besteht echte Verletzungsgefahr“, sagt Katrin Ehbrecht und Ursula Broders weiß sofort, worauf die Lauenburgerin anspielt. In der Fußgängerzone würden manche Hürden warten.
So würden häufig Aufsteller oder Angebote mitten auf dem Leitsystem platziert – eine gefährliche Stolperfalle für Sehbehinderte, die sich auf die Richtungssteine verlassen. „Die Mitarbeiter vieler Geschäfte wissen offenbar leider nicht, wie das System funktioniert. Sie stellen ihre Werbeschilder oder Waren mitten auf das Leitsystem. Wir sehen das ja nicht und laufen direkt dort hinein“, sagt Ehbrecht.
Zudem würden Sehbehinderte in der Bergedorfer Straße gleich an mehreren Stellen abrupt ausgebremst: „An einigen Stellen wird man durch die Linien direkt auf eine Hauswand zu geführt. Das ist sehr unangenehm“, beschreibt Broders ein Problem, das sie – als Frau aus der Praxis – einfach durch das Austauschen eines gerippten durch einen genoppten „Achtung-Stein“ lösen würde – für die Verwaltung keine Lösung. „Wir haben alles nach der DIN 32984 für taktile Blindenleitsysteme geplant und auch eingebaut“, betont Stadtsprecher Heuer. Bauliche Änderungen am Pflaster der Bergedorfer Straße seien darum nicht zulässig. Zur Einordnung: Die DIN 32984 ist laut Bundeskompetenzzentrum Barrierefreiheit keine „Eingeführte Technische Baubestimmung“ und daher nicht gesetzlich verbindlich. Sie entspreche aber dem Stand der Technik und würde im Zweifelsfall gutachterlich hinzugezogen, ihre Anwendung sei daher ratsam.
Im Vorfeld des Einbaus habe die Stadt versucht, Kontakt zu örtlichen Blinden- und Sehbehindertenvereinen aufzunehmen, betont Heuer angesprochen auf die Kritik der Betroffenen: „Bis auf den Hinweis, wir möchten einem bestimmten Ingenieurbüro den Planungsauftrag erteilen, konnte leider kein Kontakt oder Ortstermin realisiert werden.“
Kontakt für Betroffene: Katrin Ehbrecht, (04153) 520731. Sie erteilt auch Informationen zu „Klöntreffs“ in Lauenburg und Geesthacht.