Geesthacht/Reinbek. Impfdurchbrüche steigen: Kreise Stormarn und Herzogtum Lauenburg melden die Daten aktuell. Hamburg muss passen.
Derzeit vergeht kaum ein Tag, an dem sich Politiker nicht zum Ende von Corona-Beschränkungen äußern. Die „epidemische Lage nationaler Tragweite“ als Grundlage von Maskenpflicht und Co. soll am 25. November auslaufen. Die voraussichtliche Ampel-Koalition hat eine Übergangsregelung angekündigt. Dabei steigen nicht nur die Inzidenzen in atemberaubendem Tempo. Die stark wachsende Zahl an Impfdurchbrüchen zeigt: Ein Ende der Pandemie ist nicht in Sicht.
Hamburgs Gesundheitsbehörde benennt im Internet die Quote derjenigen, die trotz vollem Impfschutz doch eine Corona-Infektion erlitten haben, mit 0,2 Prozent – gerechnet auf das gesamte Jahr 2021. Doch die aktuellen Zahlen liegen um ein Vielfaches höher. Und das nicht nur, weil inzwischen mehr als Zweidrittel der Bevölkerung voll geimpft ist, die Geimpften anders als im ersten Quartal 2021 also zahlenmäßig viel deutlicher ins Gewicht fallen.
Die Kreise Stormarn und Herzogtum Lauenburg haben diese Woche aktuelle Daten genannt. In beiden Kreisen liegt der Anteil derjenigen, die sich trotz vollständigem Impfschutz mit Corona in der vergangenen Woche infiziert haben, bei um die 40 Prozent aller Infizierten: Vier von zehn Neuinfizierten waren komplett geimpft.
Experten fürchten ein Anheizen der Pandemie über die Schulen
Während warnende Stimmen aus Forschung und Krankenhäusern lauter werden, äußern führende Liberale wie FDP-Parteichef Christian Lindner seit Monaten, die aktuelle Corona-Lage rechtfertige keine Beschränkungen der Freiheitsrechte. Und Dirk Wiese, Vize-Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, verkündete jüngst: Schulschließungen oder einen weiteren Lockdown „wird es mit uns nicht mehr geben“.
Wie weit diese Ankündigung trägt, wird sich zeigen. So fürchten Experten ein Anheizen der Entwicklung über die Schulen, sollte dort die Maskenpflicht weiter zurückgedrängt werden. Kinder erkranken nur selten schwer, allerdings bleiben viele infizierte Grundschüler ohne Symptome. Wird die Infektion nicht frühzeitig entdeckt, ist sie schnell in der Familie. Oder bei den Großeltern, deren Impfschutz nach einem guten halben deutlich nachgelassen hat und die noch ohne Booster-Impfung sind.
Krankenhaus-Mitarbeiter kündigen wegen Überlastung
Obwohl Impfungen in der Regel gegen schwere Krankheitsverläufe schützen, wächst die Zahl Geimpfter, die in Krankenhäusern behandelt werden müssen – auch in Reinbek und Geesthacht. Noch Mitte der Woche waren zwei vollständig geimpfte Seniorinnen die einzigen Corona-Patienten im Johanniter-Krankenhaus Geesthacht. Eine Frau konnte entlassen werden, die andere muss weiter auf der Intensivstation beatmet werden. 20 Monate nach Ausbruch der Pandemie in Deutschland bleibt die Erkenntnis: „Etwa 30 Prozent der Corona-Patienten auf Intensivstationen versterben“, warnte Donnerstag Professor Stefan Kluge, Intensivmediziner am UKE, im NDR-Fernsehen.
Rasch steigende Patientenzahlen drohen die Kliniken schneller als gedacht an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit zu führen. Trotz zusätzlicher Betten und mehr Beatmungsgeräten. „Viele Intensivbetten sind nicht nutzbar“, so Kluge: Qualifizierte Mitarbeiter haben infolge Dauerstress und seelischer Überlastung gekündigt.
Rund 40 Prozent ist die Quote der Impfdurchbrüche
Mit der wieder anschwellenden Pandemie-Welle hat sich die Zahl der Menschen sprunghaft erhöht, die trotz vollständigem Impfschutz eine Corona-Infektion erleiden. Stormarn meldet für die Woche von Donnerstag, 21. Oktober, bis Mittwoch, 27. Oktober, 89 Impfdurchbrüche bei einer Gesamtzahl von 212 Infizierten (42 Prozent). Der Kreis Herzogtum Lauenburg kommt über den Oktober auf rund 150 Impfdurchbrüche bei 390 Infizierten, gut 38 Prozent.
Mit der gestiegenen Impfquote wachse automatisch auch der Anteil der Menschen, die voll geimpft erkranken, betont Christian Kohl, Sprecher des Sozial- und Gesundheitsministeriums in Kiel. „Läge die Impfquote bei 100 Prozent, wären 100 Prozent aller Corona-Infektionen Impfdurchbrüche.“
Auch Geimpfte werden in den Krankenhäusern behandelt
Blicke in die Krankenhäuser in Geesthacht und Reinbek bestätigen, dass die Impfungen weder vor einer Infektion hundertprozentig schützen noch vor einem schweren Krankheitsverlauf. Mitte der Woche waren von acht Corona-Patienten in beiden Häusern fünf vollständig geimpft. Eine geimpfte Seniorin wird in Geesthacht seit Längerem künstlich beatmet. Eher typisch die Momentaufnahme aus dem St. Adolf-Stift Reinbek: „Unsere beiden ungeimpften Covid-19-Patienten haben einen deutlich schwereren Verlauf mit Lungenbeteiligung“, so Krankenhaussprecherin Andrea Schulz-Colberg. Der Corona-Ausbruch im Geesthachter Seniorenheim „Haus am Moor“ hat fünf geimpfte Bewohner sowie drei Mitarbeiter getroffen. Nach Informationen des Kreises sind die Senioren auf dem Weg des Besserung.
Die Entwicklung wird in Schleswig-Holstein nicht auf die leichte Schulter genommen. Kiel macht Tempo mit den Nachimpfungen für Senioren und gefährdete Personen. Im Land können Booster-Impfungen bereits Menschen ab einem Alter von 60 Jahren erhalten, die ständige Impfkommission hatte 70 Jahre empfohlen.
Booster-Impfungen sollen vorangetrieben werden
Hamburgs Gesundheitsbehörde kann mit aktuellen Zahlen zu Impfdurchbrüchen nicht dienen. Das liege zum einen an der Systematik, zum anderen an der Vielzahl der Kliniken und den bunt gemischten Patienten. „In Hamburgs Krankenhäusern werden viele Menschen aus dem Umland behandelt“, erläutert Behördensprecher Martin Helfrich. Entsprechende Daten würden nicht zentral erfasst, sondern an die für die Wohnorte zuständigen Gesundheitsämter übermittelt.
Zu Prioritäten gehen selbst die Meinungen von Experten auseinander. In einem Punkt herrscht jedoch weitgehend Einigkeit: Noch vor Klärung der Frage, welche Corona-Beschränkungen aufgehoben oder beibehalten werden sollten, müssen die Booster-Impfungen zum Schutz der besonders gefährdeten Menschen vorangetrieben werden, fordert etwa der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit.
Mit ihren Impfquoten liegen Schleswig-Holstein und Hamburg mit den anderen norddeutschen Ländern und dem Saarland an der Spitze mit über 70 Prozent. Schlusslicht sind der Osten (Sachsen: 56,6%) sowie Bayern (64,5%).