Kreis Segeberg. Katrin Kiesel macht alles mit dem Rad – Arbeitsweg, Einkaufen, Urlaub. Von Autofahrern wird sie manchmal angefeindet – aber sie kann sich wehren.

Radfahren, Radfahren und nochmals Radfahren – für Katrin Kiesel ist das Rad das einzige Fortbewegungsmittel, das für sie infrage kommt. Ein eigenes Auto hat die Norderstedterin noch nie besessen. „Zumindest war keins auf meinen Namen eingetragen. Einen Führerschein habe ich allerdings gemacht, und das ist auch wichtig“, sagt die 49-Jährige.

Was für viele Menschen undenkbar ist, ist für Katrin Kiesel Alltag: Sie fährt seit 14 Jahren jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit, anfangs nach Barmbek, heute nach Wandsbek, wo sie bei der AOK als Krankenkassenfachwirtin tätig ist.

Jeden Morgen stehen rund 20 Kilometer Wegstrecke an, die gleiche Distanz wird auch noch einmal nach Feierabend fällig. Teilen muss sie sich die Strecke natürlich mit unzähligen Autofahrern, mit denen sie manchmal sogar gemeinsam die Straße benutzt.

Schon in Norderstedt-Mitte war es kompliziert

Heute macht das Abendblatt die Kiesel-Tour mal mit. Los geht’s in Norderstedt-Mitte, wo es schon gleich kompliziert wird. Nirgends ist ein Schild zu finden, das auf einen benutzungspflichtigen Radweg hindeutet. „Deshalb darf hier auch auf der Straße gefahren werden. Ich wurde auch schon mal von einem Polizisten angehalten, den ich dann erst einmal belehren musste“, sagt Kiesel und grinst.

In der Tat haben es Radler im Zentrum der Stadt nicht allzu leicht, denn die Radwege rund um die U-Bahn sind schmal und manchmal nicht gut markiert. Zudem sind überall Geschäfte und deren Außenbereiche, Ausgänge, aus denen Bewohner und Ausfahrten, aus denen Autos kommen. Die Fußgänger schauen oft auf ihr Smartphone und merken dann gar nicht, was um sie herum passiert. „Mit den Handys ist es in den letzten Jahren wirklich schlimmer geworden. Das ist mir aufgefallen. Oft hören die Leute auch gar nichts, wenn man sie anspricht oder klingelt.“

Die Radlerin nimmt an den Critical-Mass-Treffen teil

Katrin Kiesel vermeidet diese Engpässe und fährt in solchen Fällen lieber auf der Straße. Regelmäßig fallen ihr Dinge auf, die sie entlang von Radwegen und Fahrradstreifen stören. „Manchmal ist die Verkehrsführung wirklich unsinnig oder merkwürdig. Da hört dann ein Radweg einfach auf, führt ins Nichts oder ist nicht besonders intelligent platziert. Solche Fälle melde ich dann auch mal bei den gängigen Portalen, also dem Melde-Michel in Hamburg oder Radar-online.net in Norderstedt. Das lohnt sich wirklich. Manchmal dauert es, bis etwas passiert, aber es tut sich was“, sagt die engagierte Radlerin, die auch regelmäßig an den Critical-Mass-Treffen in Norderstedt und Hamburg teilnimmt.

Katrin Kiesel: „Entstanden ist diese Bewegung in Asien, wo man festgestellt hat, dass Autos eher anhalten, wenn 16 Radfahrer oder mehr zusammen an der Straße stehen und nicht bloß einer.“ In Norderstedt finden diese Zusammenkünfte seit fünf Jahren jeweils am ersten Freitag im Monat statt, in Hamburg am letzten Freitag im Monat. In Norderstedt sind dann meistens rund 20 Radler auf den Straßen unterwegs, um für das Radfahren zu werben. In Hamburg kommen sogar 4000 bis 6000 Fahrerinnen und Fahrer zusammen. „Das sind keine Demonstrationen. Wir wollen Vorbild sein und zeigen, dass Radfahren Spaß macht, soziale Kontakte fördert, gut für die Gesundheit und natürlich auch für die Umwelt ist“, sagt Katrin Kiesel.

Katrin Kiesel ist flott unterwegs

Die neongelbe Warnweste mit der Aufschrift Critical Mass Norderstedt trägt Katrin Kiesel auch auf dem Weg zur Arbeit. Über den Kreisel am Ochsenzoll geht’s entlang der Langenhorner Chaussee in Richtung Erdkampsweg. Mittlerweile gibt es immer mehr Fahrradstreifen auf der Straße, die von vielen Radlern genutzt werden. Katrin Kiesel ist flott unterwegs, eine Stunde dauert ihr Weg - mit dem Auto ist man nicht immer schneller.

Manchmal wird es etwas eng, wenn direkt nebenan ein Bus, ein Lastwagen oder ein Auto fährt. „Man muss immer aufpassen, gerade, wenn die Autos abbiegen. Dann sind die Fahrer meistens so beschäftigt, dass sie einen gar nicht wahrnehmen. Ich wurde schon das eine oder andere Mal touchiert“, sagt Katrin Kiesel, die auch aus diesem Grund stets das helle Leibchen trägt.

Schlimm ist das Verhalten mancher Autofahrer

Diese Situationen sind aber glücklicherweise eher selten, schlimmer ist das Verhalten mancher Autofahrer, die meinen, sie wären (oft fälschlicherweise) im Recht, oder sie ärgern sich einfach nur über den – natürlich langsameren – Radler vor ihnen auf der Straße. „Vor allem, wenn ich Autofahrer darauf hinweise, dass sie mit ihrem Fahrzeug den Radstreifen widerrechtlich zuparken, kommen manchmal sehr unschöne Reaktionen, zum Beispiel wird dann die Scheibenwaschanlage nach dem Überholen angemacht. Manche Fahrer sind ziemlich aggressiv. Da fällt dann schon mal das Wort Schlampe oder so. Solche Leute zeige ich dann aber auch an“, sagt Katrin Kiesel.

All das bringt sie nicht dazu, auf ihr Rad zu verzichten und mit dem Auto zur Arbeit zu fahren. „Ich fahre eigentlich immer, auch bei Regen. Nur bei Glatteis bin ich vorsichtig. Dann nehme ich doch mal die Bahn.“ Und natürlich macht sie auch mit dem Rad Urlaub – gerade hat sie gemeinsam mit ihrer Freundin Silke Weidemann 950 Kilometer auf dem Oder-Neiße-Radweg bewältigt.

Einkaufen oder andere Alltagsfahrten erledigt Kiesel ebenfalls mit dem Rad. „Ich habe von Februar bis März für die Stadt Norderstedt das Elektro-Lastenrad testen dürfen. Damit kann man sogar Kinder transportieren“, sagt Katrin Kiesel, die das Vehikel auch schon im Repair-Café an der Falkenbergkirche vorstellte und interessierte Bürgerinnen und Bürger einlud, es ebenfalls auszuprobieren. Und ja, es ist anfangs eine wackelige Angelegenheit, aber nach einer kurzen Übungsphase durchaus empfehlenswert.