Kreis Pinneberg. Gekühlte Ställe und Ackerbauexperimente: Landwirt Henning Münster und Experten forschen nach der Zukunftsformel für die Agrarwirtschaft.
Hitze? Ganz schlecht für Kühe. Können sie nicht mit umgehen. Geben weniger Milch, fühlen sich unwohl, liegen nur herum, fressen nicht. Was tun als Milchviehhalter, wenn es jetzt schon zwei Sommer nacheinander merklich heißer und trockener war als im langjährigen Mittel? Henning Münster hat die Zeichen der Zeit vor zehn Jahren erkannt und sich einen Stall gegönnt, der bei Bedarf zu einer Art Carport werden kann – zu allen Seiten offen. „Da kann der Wind durchrauschen, und die Tiere werden gekühlt.“
Es ist nur eine Maßnahme, die der Landwirt auf Schierenböhm in Borstel-Hohenraden zur Klimaanpassung nutzt. Münster ist 47 Jahre alt, hat zwei Kinder und den Hof von seinem Vater geerbt. Schon aus eigenem Interesse hat er eine Millionensumme in neue Ställe investiert, eine Biogasanlage angelegt und den Hof auf 200 Hektar erweitert. Unter anderem, um Futter selbst anzubauen und dabei unterschiedliche Maissorten zu testen. Welche Pflanze hält Frost, Hagel oder Hitze besser aus? Welchen Abstand braucht sie? Solche Fragen müssen sich Landwirte stellen. Bei Wetterkapriolen noch mehr. Denn während 2017 zu nass war, schlugen die beiden Folgejahre ins Gegenteil um.
Bauern sind wetterabhängig, seit Ackerbau die Menschheit begleitet. Bei Trockenheit und Hitze verdorren die Feldfrüchte, Starkregen schwemmt das Erdreich weg, pflaumengroße Hagelkörner vernichten reifendes Obst. Solche Auswüchse werden in Zukunft zunehmen, prognostizieren Klimaforscher. „In Zeiten des Klimawandels treten Temperaturextreme häufiger auf, Niederschlagsmengen schwanken stärker“, sagt etwa Diana Rechid vom Climate Service Center Germany am Helmholtz-Zentrum Geesthacht. „2017 waren die Äcker wochenlang nicht befahrbar, weil sie zu feucht waren. Im Sommer 2018 war es dann viel zu trocken.“ Rechid leitet ein Projekt namens Adapter. Es soll der Landwirtschaft helfen, sich an die Folgen des erwarteten Klimawandels anzupassen.
„Eine wichtige Frage lautet: Wie oft treten solche Extreme in Zukunft auf? Hier geht es um Langfrist-Projektionen“, sagt die Wissenschaftlerin. „Ein weiteres Ziel des Projekts ist es, bevorstehende Risiken, etwa Dürreperioden, besser voraussagen zu können, damit die Landwirte rechtzeitiger reagieren können.“
Landwirtschaft im Kreis Pinneberg
Bei den Ställen von Henning Münster hätte sich die langfristige Investition schon gelohnt: „Mehr Licht, mehr Luft, mehr Milch“, sagt Münster. Gerade in Sommern wie diesen sinke die Milchleistung seiner Tiere durch die offenen Ställe nicht so stark. Bei 400 Tieren, die täglich 12.000 Liter Milch produzieren sollen, sei das eine nicht unwesentliche Verbesserung. Zumal sie 24 Tonnen Futter fräßen und mit 40 Kubikmeter Gülle die Biogasanlage befeuern.
Diese Biogasanlage ist für Henning Münster ohnehin eine Reaktion auf die Umstände. Sie liefert Wärme für den Hof und Strom für die Stadtwerke Pinneberg. Und das alles aus den Hinterlassenschaften seiner Tiere. „Eine grandiose Erfindung“, sagt Münster. Nachhaltigkeit soll nicht nur bei der Tierhaltung großgeschrieben werden, ressourcenschonende Energieproduktion ist ja auch eine Frage der Zukunft. Und wenn sie heute vielleicht nicht klimaneutral, aber immerhin nachwachsend gewonnen werden kann: Was spricht dagegen?
Um unabhängiger von den schwankenden Futterpreisen zu sein, baut Münster auch seine Tiernahrung selbst an. „Heu war wegen der Dürre im vergangenen Jahr teuer. Aber auch wenn es zu nass ist, ist Heu teuer.“ Deshalb dienen große Flächen des Hofes dem Futteranbau – und dem Experimentieren mit neuen Züchtungen. „Hier etwa wachsen zehn unterschiedliche Sorten Mais“, sagt Münster auf einem seiner Felder. Frühe Sorten, späte Sorten, mal enger, mal weiter gepflanzt. „Damit versuchen wir, die optimale Futterausbeute zu ermitteln.“ Auch hagelresistent sollten neue Sorten sein.
Sind Sojabohnen die künftigen Feldpflanzen im Norden?
Münster will den Klimawandel nicht leugnen, dafür seien die Zeichen zu eindeutig, aber Schwankungen beim Wetter gebe es eben auch schon seit Jahrhunderten. Deshalb sieht er die Sache etwas differenzierter. „Was wir beobachten, sind die Extreme und deren schnellere Abfolge.“ Stichwort Hagel: Gegen diese Laune der Natur müsse nicht nur eine Pflanze gewappnet sein. „Nach einem Extremschauer im vergangenen Jahr habe ich nun auch eine Hagelversicherung für den ganzen Hof“, sagt Münster. Dass eine Heuernte mal komplett vertrocknet wie in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres, könne immer passieren. „Dafür hatten wir beim Mais einen tollen Ertrag.“
„Das zentrale Thema ist die Wasserbereitstellung, die Beregnung der Kulturen“, sagt Elisabeth Schulz von der Niedersächsischen Landwirtschaftskammer. Auch 2019 sei bereits eher zu trocken, vor allem die Hitzeperiode im Juni und Juli setzte der Landwirtschaft zu. Allerdings mit deutlich geringeren Folgen als im Vorjahr. Doch nicht nur der Sommer ist teils problematisch, wie Wissenschaftlerin Rechid sagt. Auch zu warme Winter seien nicht günstig. Anhaltende Temperaturen unter fünf Grad unterstützen für gewöhnlich die Vegetationsruhe der (heimischen) Pflanzen. Sie sind auf solche Frostperioden vorbereitet. Und gerade Obstgehölze brauchen einen Kältereiz zur Überwindung der Winterruhe; er löst die Blütenbildung aus.
Liegt die Temperatur aber längere Zeit um zehn Grad, werden viele Pflanzen in der Folgezeit frostempfindlicher und „erwachen“ womöglich zu früh aus der Winterruhe. Auch viele Schädlinge vermehren sich dadurch stärker. Deshalb soll das Forschungsprojekt Adapter ins Detail gehen. „Schleswig-Holsteinische Landwirte signalisierten der Zukunftswerkstatt Pflanzenbau, dass es wichtig ist, mögliche Änderungen der Witterung für den gesamten Jahresverlauf zu kennen“, sagt Rechid. „Ziel ist nun die Darstellung in Form einer Jahresuhr.“ Grundlage sei das Wissen darüber, welche Witterungsbedingungen für welche Aktivitäten ideal sind.
Im Kleinen probiert Henning Münster das schon auf seinem Maisfeld. Sein Boden sei glücklicherweise nicht so trocken wie bei Berufskollegen in der Lüneburger Heide oder den Geestlandschaften im Kreis Pinneberg. „Aber an die Gegebenheiten anpassen müssen wir uns hier auch“, sagt er. Tendenziell lege er den Fokus gerade auf etwas später reifende Maissorten, um der Witterung gerecht zu werden. Aber das Wetter allein bestimmt nicht die Landwirtschaft.
Peer Jensen-Nissen, Pinnebergs Kreisgeschäftsführer des Bauernverbandes, sagt: „Die Anpassungen, die in der Landwirtschaft stattfinden, sind nicht nur vom Klima getrieben sind, sondern auch politisch. Das Nichtzulassen von Pflanzenschutzmitteln oder Änderungen im Düngerecht bedeuten etwa, dass der Rapsanbau in Deutschland massiv auf dem Rückzug ist.“ Ertrag und Kosten stünden nicht mehr in einem ausgewogenen Verhältnis. In Schleswig-Holstein etwa wurde 2016 noch auf 101.000 Hektar angebaut, 2018 nur noch auf 68.200.
„Die beiden zurückliegenden Jahre können dem Klimawandel geschuldet gewesen sein“, sagt Jensen-Nissen. „Doch die Auswirkungen waren sehr unterschiedlich“. Zu nass, zu trocken. „Ich bestreite den Klimawandel nicht, aber die Wetterextreme sind nicht vorhersehbar und schon gar nicht in ihrem Ausmaß, so dass eine Anpassung in kurzer Zeit nicht möglich ist, zumal man nicht weiß, in welche Richtung.“
Laut Jensen-Nissen liegen die Anpassungen im Bereich der Züchtung. Robuste Gräser sowie Getreidearten zu züchten sei eine Aufgabe für die Zukunft. Auch die die zusätzliche Vegetationszeit müsse berücksichtigt werden. Deshalb könne es durchaus möglich sein, „dass wir in ein paar Jahren Sojabohnen anbauen können und somit einen wichtigen Eiweißträger für die Tierernährung erhalten, den wir nicht mehr aus anderen Ländern importieren müssen“.
Zukunftsmusik, die möglicherweise auch den Ertrag von Henning Münster irgendwann beeinflussen könnte. Fürs Erste ist der Landwirt aus Borstel-Hohenraden aber zufrieden mit seinem Experimentierfeld und den neuen, im Sommer kühleren Stallungen. Die offenen Seitenwände sorgen für angenehme Luftbewegungen. „Kühe fühlen sich bei fünf Grad am wohlsten“, sagt Münster. Doch das ist ein Wert, der selbst in norddeutschen Sommern utopisch ist. Mit Schwankungen bei der Milchproduktion muss der Landwirt deshalb wohl leben müssen.