Norderstedt. Im zweiten Serienteil geht es um klimafreundliche Ernährung. Abendblatt-Redakteur Christopher Herbst schreibt über vegane Lebensmittel.
Der Fleischpapst ist tot. Schon seit einigen Jahren. Ja, so hieß ich einst. Ich empfand das als Kompliment. Je mehr, desto besser. Es schmeckte eben auch. Würde es wohl immer noch. Doch darum geht es schon lange nicht mehr. Sondern um, so sehe ich das, Vernunft. „Was, vegan? Was kann man da überhaupt noch essen?“ Ja, stimmt, eigentlich nichts mehr. Haha. Ist auf dem Foto ja deutlich sichtbar.
Wer Essens-Traditionen in Frage stellt, begibt sich auf dünnes Eis und muss Widerstand, Skepsis, Kritik, im schlechtesten Fall Ablehnung einkalkulieren. Soweit hatte ich jedoch gar nicht gedacht, als ich vor ein paar Jahren zunächst entschieden hatte, kein Fleisch mehr zu essen. Das galt auch für Fisch.
In einem Dilemma hatte ich sowieso schon gesteckt. Meine Freundin war Vegetarierin, sie wuchs schon so auf, als dieser Lebenswandel noch als exotisch galt. Verstanden habe ich das über Jahre nicht. Erstaunlich rückblickend, dass sie meinen Fleischkonsum ertragen hat. Sie hat mir sogar Thunfisch gekauft und meine Pizza damit belegt. Heute weiß ich, dass beim Fang allerhand Beifang anfällt – von Delfinen bis Schildkröten.
Der Alltag ist manchmal eine Herausforderung
Die Erkenntnis reifte, dass Tiere vielleicht eine andere Bestimmung haben sollten, als bei uns auf dem Teller zu enden. Nun wurde es eine Sache der Disziplin. Einfacher machte ich es mir, da ich ja noch Käse und andere Milchprodukte aß, mich also vegetarisch ernährte. Bis uns beiden – zu zweit ist es viel einfacher – klar wurde, dass das nicht konsequent sei. Wer aus ethischen Gründen sagt, er wolle kein Fleisch essen, könne genauso wenig tierische Produkte konsumieren. Warum sollten andere Lebewesen für meine Ernährung sterben? Bio, freilebend, Mast, eingepfercht oder auf einer Weide: Am Ende sterben die Tiere allesamt eines nicht natürlichen Todes.
Der Alltag ist trotzdem manchmal eine Herausforderung. Der wichtigste Tag für den Wocheneinkauf ist der Donnerstag mit dem Wochenmarkt vor dem Norderstedter Rathaus. Wo, wenn nicht hier, ließe sich der fromme Wunsch, doch bitte möglichst jedes Lebensmittel aus der Region zu beziehen, besser realisieren? Sich selbst versorgen zu können, autark, mit Garten und Gewächshaus, fällt aus. Mangels Garten und Gewächshaus. Trotzdem: Was mir sonst in der Regel eher suspekt ist, nämlich innerhalb der deutschen Grenzen zu denken, ist bei Lebensmitteln ja nicht verkehrt. Die Ausbeute: Tomaten, Paprika, Kartoffeln, Champignons, Zwiebeln, Möhren vom Bioland-Betrieb aus dem Kreis Pinneberg. Äpfel, Aprikosen, Pfirsiche und Nektarinen aus Francop, Tomaten aus den Vierlanden. Auch Brokkoli, Erdbeeren, Himbeeren sind zumindest deutscher Erzeugung. Ohne Kompromisse geht es jedoch nicht, die Saftorangen gibt es nur mit spanischem Label, die Grapefruit ist aus Florida. Trotzdem: In der Summe sind die Vertriebswege kürzer, die Klimabilanz ist in Ordnung.
Aber eben nicht perfekt. Doch wer ist das schon? Dass viele Produkte nur in Plastikverpackung zu bekommen sind, lässt sich momentan noch nicht vermeiden, so sehr uns das ärgert. Schrittweise die Lebensweise zu verbessern, ist ein lohnendes Ziel. Und für diejenigen Verbraucher, die aus verschiedensten Gründen nicht auf ein Elektroauto oder möglichst autarke Energieversorgung umsteigen können, ist es zumindest das einfachste, beim Einkaufen einmal andere Lebensmittel auszuprobieren. Klar gibt es auch leckeres veganes Convenience-Food, doch eine ausgewogene Ernährung heißt, die Mischung zu finden und bei einer pflanzlichen Lebensweise die besten Alternativen. Es gibt nicht nur Tofu, Seitan und Soja, sondern auch Linsen, Lupinen, Hafermilch, Erbsen, Bohnen, Nüsse, die miteinander kombiniert werden können. Dafür muss man kein Ernährungswissenschaftler sein.
Ressourcenverbrauch der Tierindustrie ist sehr hoch
Doch selbst für den Fall, dass jemand aus welchen Gründen auch immer kein Problem damit hat, Tiererzeugnisse zu essen, so gibt es andere Gründe, die dagegen sprechen. Täglich reden wir über die Klimakrise, der Begriff „Wandel“ ist so langsam überholt. Was bei der Suche nach Ursachen und Lösung immer noch zu kurz kommt, ist die Tierindustrie. Die Oxford-Universität hat im Mai 2018 im Fachmagazin „Science“ eine Studie publiziert, die das auf den Punkt bringt. Untersucht wurden die Daten von über 40.000 Betrieben aus 119 Ländern. Die Fleisch- und Milchproduktion benötigt demnach 83 Prozent aller landwirtschaftlich genutzten Flächen – und stößt 60 Prozent der Treibhausgas-Emissionen aus. Hinzu kommt der enorme Ressourcenverbrauch, insbesondere des Wassers. Für ein Kilogramm Rindersteak gibt es Berechnungen, wonach 15.000 Liter genutzt werden – das beinhaltet den Anbau von Futter und die Reinigung von Ställen und Großanlagen. Die hohen Nitratwerte im Grundwasser resultieren aus der Überdüngung von Feldern mit Gülle – die wiederum ein Produkt der Nutztierhaltung ist. Und dass in Südamerika der Regenwald abgeholzt wird zugunsten der Rinderhaltung und des Anbaus von Soja, der als Tierfutter dann in die EU exportiert wird, kommt erschwerend hinzu. Von den hinreichend dokumentierten Zuständen in Schlachthöfen – für die Tiere, aber auch die Niedriglöhner – ganz zu schweigen. All das muss deutlich weniger werden.
Aus diesen Gründen sage ich: Es ist angemessen, zu finden, dass es falsch ist, Tiere, im Sinne des Konsums auszunutzen und zu töten. Und das eben auch offen zu vertreten. Das mag nicht jedem gefallen. Ein Dogmatiker bin ich dennoch nicht, auch zum Aktivisten eher nicht geeignet. Dafür aber voller Hoffnung, dass auch andere Menschen Lust haben, ihr Leben umzustellen.