Landkreis Harburg. Verband machte „verheerende Umweltkatastrophe“ publik. Naturschutzbund bestätigt Vorgang – weist aber auf entscheidenden Punkt hin.
- Die vielen Starkregenereignisse im vergangenen Sommer haben zu massiven Rückgängen der Fischbestände in der Region geführt
- Auf überfluteten „Intensivgrünlandflächen“ hatte sich ein toxischer Fäulnis-Cocktail gebildet, der dann in den Fließgewässern landete
- In der Redaktion haben wir uns gefragt, ob das auch Folgen für Wasservögel haben könnte und den Nabu Niedersachsen angefragt
Im vergangenen Sommer verzeichnete der Nordwesten von Niedersachsen nach Aufzeichnungen des niedersächsischen Anglerverbandes AVN ein Fischsterben von historischem Ausmaß: Tonnenweise tote Fische, über 100 Kilometer geschädigte Fließgewässer, die Auslöschung einer ganzen Population ohnehin schon bedrohter Mühlkoppen – dies seien nur einige Kennzahlen, so der Verband.
Betroffen sind die Landkreise Rotenburg (Wümme), Cuxhaven, Osterholz, Stade und teilweise auch Harburg. Der Hauptgrund laut AVN: Nach den ergiebigen Niederschlägen im vergangenen Juli und August waren vor allem Intensivgrünlandflächen längere Zeit großflächig überflutet. Die Gräser starben ab, verrotteten und bildeten – befeuert von sommerlichen Temperaturen – einen toxischen Fäulnis-Cocktail, der dann in die Fließgewässer gelangte.
Fischsterben im Landkreis Harburg: Sauerstoffmangel kein dauerhaftes Problem
Die Folgen hat der AVN als eingetragener Naturschutz- und Fischereiverband in einer Studie bemessen. Der Naturschutzbund (Nabu) in Niedersachsen bestätigte die vom AVN wahrgenommene Lage grundsätzlich: „Die Fische sind aufgrund des Hochwassers, der damit verunreinigten Grünflächen und des daraus resultierenden Sauerstoffmangels verendet“, heißt es von Nabu-Sprecherin Renée-Josephine Gerber: „Der Verlust der Fische und der Artenvielfalt in diesen Gewässern ist dramatisch.“
Der Sauerstoffmangel sei aber lediglich eine kurzfristige Folge des Hochwassers und stelle kein langfristiges Problem dar, so Gerber. „Es ist zu erwarten, dass sich einige Fischpopulationen erholen werden.“ Entwarnung gebe es auch für Wasservögel wie Enten oder Gänse: Sie seien von der Problematik in der Region nicht betroffen.
Fischsterben im Hamburger Umland: Mitunter massiver Rückgang der Bestände
Die ersten, die Alarm schlugen, waren örtliche Angelvereine. Sie standen im August ratlos vor offenbar massiv verunreinigten Gewässern. Der Anglerverband Niedersachsen (AVN) machte sich gemeinsam mit den betroffenen Landkreisen und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern daran, die Schäden zu ermitteln und die Ursachen zu erforschen.
Ein aufwendiges Unterfangen, das nun seinen Abschluss fand. Den umfassenden 150-seitigen Bericht stellten AVN-Mitarbeiter in dieser Woche den betroffenen Regionen vor und veröffentlichten ihn parallel.
Angelverbände möchten nicht wieder allein gelassen werden
Der Verband fordert die zuständigen Landesbehörden und Ministerien auf, Verantwortung zu übernehmen: Damit bei künftigen Fischsterben Angelverbände- und vereine sowie die Landkreise bei der Dokumentation und Bewertung solcher Großschadensereignisse nicht wieder alleine gelassen würden.
Als Hauptquelle für die krassen Verunreinigungen identifizierte das Team vor allem die im August überfluteten Intensivgrünlandflächen. Diese und weitere Ergebnisse können einem Bericht entnommen werden, der in dieser Woche auf der Homepage des AVN veröffentlicht wurde.
Drama unter Wasser: Was im Sommer 2023 im Nordosten von Niedersachsen passiert ist
Angler bemerkten das Problem als erstes. So meldete sich der Vorsitzende des Angelvereins Badenstedt-Bademühlen am Abend des 13. August beim AVN. Er berichtete von einer extremen Verfärbung des kleinen Flüsschens Bade bei Zeven, einhergehend mit üblem Geruch, großen Schaumbergen auf der Wasseroberfläche und einem Sauerstoffgehalt im Wasser von knapp über null – tödlich für die meisten Fische und Kleintiere. Die Angler hatten Aale beobachtet, die im Todeskampf aus dem kleinen Fluss an Land flüchteten. In den Uferbereichen schnappten Tausende Forellen, Barsche und Kleinfische nach Luft.
Dann folgten Meldungen von weiteren Fließgewässern: die Hamme, Aue-Mehde, Mehe, Aue, Medem, Bever, Otter, Wallbeck, mehrere Moorkanäle bei Bremervörde und viele weitere Gewässer im Landkreis Cuxhaven – sie alle waren von ähnlichen Szenarien betroffen.
Da viele Fischkadaver nicht bäuchlings nach oben schwammen, sondern oft auf den Gewässergrund sanken oder im teils Cola-farbenen Wasser nicht zu erkennen waren, ließ sich das Ausmaß der Katastrophe nur erahnen. Der Anglerverband beschloss der Sache auf den Grund zu gehen.
Trauriges Ergebnis: Ganze Populationen bedrohter Fische wurden ausgelöscht
Ralf Gerken und Andreas Maday vom AVN machten es sich gemeinsam mit ihrem Team zur Aufgabe, das geräuschlose und doch reale Fischsterben zu bemessen. An über 200 Messtellen zwischen Osterholz und Neuhaus (Oste) nahm das Team über zwei Wochen Wasserproben und konnte so ein fast flächendeckendes Bild vom erschreckenden Stand der Gewässerverunreinigungen zeichnen.
An repräsentativen Messpunkten in 12 besonders betroffenen Gewässern gingen die Biologen mittels Elektrofischerei tagelang auf Fischfang, um das Ausmaß des Fischsterbens zu quantifizieren. Ausgebildete Gewässerwarte von Angelvereinen an der Oste unterstützten die Datenerhebung mit eigenen Probebefischungen.
In den meisten Gewässern ist der Bestand an großen Laichfischen verendet
Das Resultat ist verheerend: In allen Gewässern dokumentierten die Fischexperten teilweise katastrophale Rückgänge bei nahezu allen Arten. In den meisten Gewässern ist der Bestand an großen Laichfischen verendet, so dass wahrscheinlich nur eine langsame Erholung der Bestände zu erwarten ist. Besonders tragisch ist die Auslöschung gefährdeter Arten, wie z. B. der Mühlkoppe, deren Bestände in der Bade vollkommen vernichtet wurden. Aber auch die landesweit bedeutenden Kinderstuben von Lachs und Meerforelle in der oberen Oste wurden massiv geschädigt.
Stichprobenartige Untersuchungen in der Bade, Aue-Mehde und Wallbeck zeigen zudem, dass der komplette Bestand an Eintags-, Stein- und Köcherfliegenlarven sowie Libellenlarven vernichtet wurde und somit auch die Nahrungsgrundlage für unzählige Fischarten nachhaltig beeinträchtigt ist. Die Artenvielfalt zahlreicher Gewässer ist also dauerhaft geschädigt. Aber auch die betroffenen Angelvereine (20 an der Zahl) haben einen erheblichen Verlust erlitten: Die Fischbiomasse ist auf vielen Kilometern auf ein Maß gesunken, das wahrscheinlich über Jahre die fischereiliche Nutzung und das Angeln erheblich einschränken wird.
Was war der Auslöser für die Katastrophe?
Messungen des AVN ergaben, dass die organische Belastung in den untersuchten Gewässern teilweise zwei- bis dreimal mal so hoch war wie in häuslichem Abwasser, was schließlich zur Aufzehrung des gesamten Sauerstoffs führte.
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Gelangt diese Brühe durch Überflutungen in die Fließgewässer ist das eine tödliche Mischung für Wasserbewohner, die davon schlichtweg ersticken. An der Hamme und der Wallbeck scheinen auch Schöpfwerke und Stauanlagen eine entscheidende Rolle gespielt zu haben.
Organisch extrem belastete Stauwasser floss in großer Menge in die Gewässer
Um die Wiesen schnell von den Wassermassen zu befreien, öffnete man Schleusen und Schöpfwerke, ohne zu ahnen, welche Auswirkungen das für die angrenzenden Gewässer hat: Das organisch extrem belastete Stauwasser floss daraufhin in kurzer Zeit und großer Menge in die Gewässer und brachte diese schlagartig zum „Umkippen“.
In der Summe waren laut AVN über 100 Kilometer Fließgewässer über mehrere Tage von tödlichen Sauerstoffdefiziten und teilweise massiven Fischsterben betroffen – ein Ausmaß das in den letzten Jahrzehnten in Niedersachsen nicht mehr beobachtet worden ist.
Anglerverband fordert Unterstützung: „Fische sterben leise…“
So lässt sich vielleicht erklären, warum das seit Jahrzehnten größte Fischsterben in Niedersachsen von politischer Seite kaum Beachtung fand. Der AVN hofft, dass sich dies mit dem nun vorliegenden Bericht, den Informationsveranstaltungen und dem Dialog mit der Landespolitik ändert.
Gerken ist sich sicher, dass sich solche Ereignisse jederzeit wiederholen können. Er mahnt: „Die Klimafolgenstudien des Landes rechnen vor allem für das nasse Dreieck zwischen Elbe und Weser mit einer starken Zunahme von sommerlichen Starkregenereignissen.“