Neu Wulmstorf. An der B73 will die Kette einen Neubau errichten. Verhandlungen mit der Gemeinde über Fläche im Obergeschoss laufen bereits.
Coworking steht für eine neue Arbeitswelt. Der wachsende Trend zum ortsunabhängigen, flexiblen Arbeiten als Ergänzung oder Alternative zum Homeoffice schwappt zunehmend auch in die ländlichen Gebiete über. Lange fanden sich die mobilen „Remote-Arbeitsplätze“ vor allem in den Metropolen, doch die Corona-Zeit hat den neuen Arbeitsformaten Vorschub geleistet – sei es im Homeoffice oder an einem Arbeitsort für temporäres gemeinsames Arbeiten, dem sogenannten Coworking Space. Seit der Pandemie gehört das Arbeiten fernab vom Schreibtisch beim Arbeitgeber zum Alltag vieler Berufstätiger.
Doch während in Städten wie Hamburg bereits viele Coworking Spaces bestehen, sind die Angebote am Stadtrand und auf dem Lande eher selten zu finden. In der Gemeinde Neu Wulmstorf soll sich dies nun ändern. Die SPD-Gemeinderatsfraktion hatte bereits vor mehr als zwei Jahren einen entsprechenden Antrag eingereicht. Die Sozialdemokraten fordern die Prüfung des Bedarfs an Coworking Spaces, also anmietbaren Büro-Arbeitsplätzen mit professioneller Ausstattung und moderner Kommunikationstechnik.
Neu Wulmstorf hat mit 23.000 Einwohnern und täglich 8300 Auspendlern Potenzial
Während Corona habe sich herausgestellt, dass viele Firmen ihren Beschäftigten Homeoffice anbieten können und wollen, so die SPD. „Nicht jeder hat jedoch die Möglichkeit, sich zuhause die erforderliche, ablenkungsfreie Arbeitsumgebung einzurichten, die sie für ihre Produktivität und Kreativität benötigen“, heißt es in dem SPD-Antrag.
In Neu Wulmstorf gibt es noch keinen zentralen Coworking Space, obwohl der Ort mit knapp 23.000 Einwohnern und täglich etwa 8300 Auspendlern über ein größeres Nachfragepotenzial verfügen dürfte. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls Louisa Benecke, die sich in ihrer Masterarbeit mit dem Titel „Machbarkeitsstudie zur Eröffnung von Coworking Spaces am Fallbeispiel Neu Wulmstorf“ mit den Potenzialen von Coworking-Angeboten in der Gemeinde beschäftigt und diese Analyse der Gemeinde zur Verfügung gestellt hat.
Inzwischen liegt Neu Wulmstorf also eine differenzierte Untersuchung vor
Die Ergebnisse wurde bei der jüngsten Sitzung des Bauausschusses der Gemeinde präsentiert. „Es ist toll, dass wir diese Analyse vorliegen haben“, so Neu Wulmstorfs Fachbereichsleiter Thomas Saunus. Außerdem habe die Verwaltung bereits Gespräche mit der Wirtschaftsförderung des Landkreises Harburg (WLH) zum Thema geführt und möglichen Standorte besichtigt.
Inzwischen liegt Neu Wulmstorf also eine differenzierte Untersuchung zum Thema Coworking in der Gemeinde vor – und außerdem gibt es einen möglichen Anbieter einer Fläche. Dabei handelt es sich um Aldi. Das Unternehmen will seinen Discounter an der Hauptstraße modernisieren. Dabei muss sich Aldi auch in dem städtebaulich eher diffus anmutenden Bereich an der B73 an die örtlichen Bauvorschriften halten.
„Um uns in dem Bereich zu integrieren, ist es notwendig, zweigeschossig zu bauen“, sagt Florian Scholz, Leiter Immobilien und Expansion der Aldi Immobilienverwaltung GmbH & Co. KG, auf Abendblatt-Nachfrage. Noch stehe nicht fest, wie die oberere Etage genutzt werden könnte. Angedacht sei die Vermietung an einen Mieter.
„Erstes Ziel ist es dabei, einen Leerstand in der ersten Etage zu vermeiden. Daher befinden wir uns aktuell in Abstimmung mit der Gemeinde Neu Wulmstorf und der Wirtschaftsförderung, um den Bedarf an Mietinteressenten zu ermitteln“, so Scholz: „Der Bereich Coworking Space soll dabei nicht vernachlässigt, sondern auch sorgfältig geprüft und abgewogen werden.“
Über der Aldi-Filiale könnten 27 Arbeitsplätze entstehen
Über der Aldi-Filiale könnten 27 Arbeitsplätze in offener Bauweise und in Einzelbüros entstehen sowie ein Meetingraum für zehn Personen, eine Küche, WCs und ein Empfangsbereich.
Für Aldi hat die Schaffung des Coworking Space über der Filiale an der B73 allerdings keine Priorität. Für das Unternehmen steht derzeit die „zeitgemäße und attraktive Anpassung der Aldi-Märkte in Neu Wulmstorf an die geänderten Kundenbedürfnisse“ an, wie Scholz bestätigt. Abriss und Neubau der Filiale an den Wulmstorfer Wiesen sei für 2024 geplant. „Aktuell warten wir auf die Erteilung der Baugenehmigung.“
Für die Filiale an der Hauptstraße sei vom Zeitplan her angedacht, spätestens Anfang 2024 das Okay aus dem Rat zu erhalten und anschließend den Bauantrag für das Gebäude einzureichen. „Optimaler Weise können wir dann in 2025 unseren Markt wieder eröffnen“, so Scholz. Logistisch sei seitens der Firma Aldi geplant, den Kunden mindestens einen Aldi-Markt in Neu Wulmstorf sowie an der Cuxhavener Straße 402 in Neugraben-Fischbek in unmittelbarer Nähe als Alternative für die Umbauphasen anzubieten. „Somit ist die Versorgung der Neu Wulmstorfer Einwohner durchgehend garantiert“, so Scholz.
Befragungen von Pendlern, lokalen Betrieben und größeren Unternehmen
Auf einen Coworking Space über der Aldi-Filiale an der Hauptstraße müssten die potenziellen Nutzergruppen also noch mindestens zwei Jahre warten. Aber auch die Meinungsbildung im Rat dürfte noch andauern. Wichtig für die Entscheidungsfindung sei eine solide Markteinschätzung, rät die WLH der Gemeinde Neu Wulmstorf. Hierzu könnten zunächst Befragungen von Pendlern sowie Befragungen von lokalen Betrieben und größeren Unternehmen in Hamburg erfolgen.
Diese sollen Aufschluss über die Machbarkeit bieten und sowohl die Bedarfe der Mitarbeiter als auch die Erwartungen der Unternehmen an die Arbeitsorganisation ermitteln, so die WLH. Auf diese Weise könne evaluiert werden, ob die Nutzer- und Zielgruppen von Coworking-Einrichtungen in der Gemeinde Neu Wulmstorf tatsächlich vorhanden sind.
Investitionskosten in so ein Projekt sind nicht unerheblich
In der Masterarbeit von Louisa Benecke wird Neu Wulmstorf auch aufgrund der vielfältigen verkehrlichen Anbindungen und Erreichbarkeit und angesichts des geringen Angebots an Büroflächen als ein guter Standort für einen Coworking Space eingestuft. Allerdings ist so ein Vorhaben in den ersten Jahren wahrscheinlich defizitär: Erst im sechsten Jahr wird in der Studie mit positiven Zahlen gerechnet – bei einer angenommenen Auslastung von 80 Prozent.
Die Investitionskosten in so ein Projekt sind nicht unerheblich. Um erfolgreich am Markt bestehen zu können, benötigt ein Coworking Space eine ansprechende moderne Ausstattung im technischen Bereich und beim Ambiente, rät Benecke. Außerdem sollte der Empfang zumindest zu den Kernzeiten besetzt sein. Angesichts der begrenzten Haushaltsmittel äußerte sich Neu Wulmstorfs Fachbereichsleiter Thomas Saunus deshalb eher zurückhaltend: „Man könnte auch mit einem kleineren Projekt anfangen. Ich glaube, die Gemeinde kann das nicht selbst machen. Wir bräuchten einen Investor.“
Auch Aldi-Vertreter Scholz betonte, dass sein Unternehmen mit der Nutzung des zweiten Geschosses im noch zu bauenden Aldi-Markt an der Hauptstraße zwar bereit sei, gemeinsam mit der Gemeinde Neu Wulmstorf Neuland zu betreten. „Doch der wirtschaftliche Erfolg muss im Vordergrund stehen“, so Scholz