Lüneburg/Berlin. Umsatz der Bewerbungs-App vervierfachte sich nach dem Auftritt in der TV-Show – obwohl der Deal mit den Investoren platzte.
In der TV-Gründer-Show „Höhle der Löwen“ gab es für die Gründer des Start-ups Aivy und ihrer Bewerbungs-App vor einem Jahr einen Rekorddeal. Der platzte danach zwar, doch mit Hilfe neuer Investoren ist das junge Unternehmen seitdem weiter gewachsen und zählt heute nach eigenen Angaben etwa 70 Firmen zu seinen Kunden.
Rund die Hälfte davon sind kleine und mittlere Unternehmen. Sie nutzen die App, um passende Fachkräfte zu finden und vorhandene Mitarbeiter ihren Stärken entsprechend einzusetzen und zu fördern.
Eine App, die mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz funktioniert
Die Idee dazu hatte eine Gründergruppe um den Wirtschaftspsychologen Florian Dyballa. Der heute 32-Jährige hat an der Leuphana-Universität in Lüneburg studiert und sich schon in seiner Abschlussarbeit mit dem Thema Berufsorientierung beschäftigt.
Gemeinsam mit seinen Mitstreitern aus dem Bereich Psychologie und Technologie gründete er Anfang 2020 an der Freien Universität Berlin das Start-up Aivy. Im Namen steckt bereits der Hinweis, dass die App mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz – KI oder englisch: AI – funktioniert.
App für Unternehmen und Jobsuchende gleichermaßen hilfreich
Die App kann sowohl von Unternehmen für den Bewerbungsprozess als auch kostenlos von Menschen auf Jobsuche genutzt werden. In kurzen Spielen bewältigen die Nutzer verschiedene Aufgaben, aufgrund der Ergebnisse ermittelt die App die Ausprägung bestimmter Stärken, zum Beispiel ob ein Mensch eher genau oder schnell arbeitet.
Rund eine halbe Million Mal haben Nutzer auf diese Weise ihr individuelles Stärkenprofil erstellen lassen. Es soll helfen, sie mit Stellen zusammenzubringen, die zu ihren Stärken passen.
Das Team überzeugte bei ihrem Auftritt in der TV-Show „Höhle der Löwen“
Indem Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Herkunft ausgeblendet werden, soll dieses Verfahren auch die Chancengleichheit erhöhen. Die App diene der sogenannten Eignungsdiagnostik, sagt Dyballa. „Die KI sieht Verbindungen, die wir so nicht erkennen würden. Aivy trifft aber keine automatisierten Entscheidungen.“
Mit der Idee hatte das Team in der TV-Sendung im Mai 2022 zunächst überzeugen können, zu einem Vertrag kam es am Ende zwar nicht. Das junge Unternehmen hat sich dennoch gut entwickelt, die Gründer sind durchaus stolz auf die Zahlen, die sie ein Jahr nach der Ausstrahlung präsentieren können: Der Umsatz hat sich ihren Angaben zufolge in diesem Zeitraum vervierfacht.
Der TV-Deal mit Dagmar Wöhrl und Carsten Maschmeyer kam nicht zustande
In den kommenden Monaten wollen sie die schwarze Null erreichen. „Unser Ziel ist der Break Even bis Ende des Jahres“, sagt Dyballa. „Dann wollen wir weiterwachsen, ohne externes Kapital zu benötigen.“ Entscheidend für diese Entwicklung war der Einstieg einer Gruppe von Investoren kurz nach dem gescheiterten Deal aus der „Höhle der Löwen.“ Rund eine Million Euro – und damit mehr als doppelt so viel wie von den „Löwen“ in Aussicht gestellt – erhielt das Start-up über die Privatinvestoren-Plattform Companista. Das frische Kapital sollte für Marketing und die Weiterentwicklung der App genutzt werden.
Dass der TV-Deal mit Dagmar Wöhrl und Carsten Maschmeyer doch nicht zustande kam, hat dem Start-up daher nicht geschadet. „Wir würde alles noch mal genauso machen“, betont Alexandra Kammer, die ebenfalls dem Managementteam angehört.
Beiersdorf, Würth und Fresenius gehören zu den Kunden von Aivy
Von dem Auftritt hätten sie auf jeden Fall profitiert, sagt auch Florian Dyballa. „Die Aufmerksamkeit für das Thema hat uns sehr geholfen, wir konnten neue Partner gewinnen und haben einige Preise gewonnen.“ Unter den Kunden des Start-ups sind so bekannte Namen wie Beiersdorf, Würth und Fresenius. Mehr als die Hälfte der Unternehmen, die die App für die Suche nach Fachkräften nutzen, sind jedoch kleine und mittelgroße Firmen aus verschiedenen Branchen. Besondere Digitalkenntnisse seien für den Einsatz nicht notwendig, sagt Kammer. „Wir haben die App extra so konzipiert, dass es nach zehn Minuten losgehen kann.“
In den vergangenen zwölf Monaten, seit Ausstrahlung der Sendung, hat sich die Zahl der Firmenkunden mehr als verdoppelt.
Die Gründer streben ein nachhaltiges Geschäftsmodell an
Auch das Team ist leicht gewachsen, etwa 15 Menschen arbeiten heute für Aivy. In diesem Tempo soll es auch weitergehen. „Wachstum ist wichtig, aber nicht um jeden Preis“, sagt Dyballa. „Wir wollen nicht zum Spielball der Marktlage werden.“
Die Gründer streben ein nachhaltiges Geschäftsmodell an, nicht eines, das nur funktioniert, wenn die Firma immer weiter wächst. Stattdessen soll ihr Produkt, die App, für möglichst viele Unternehmen einen echten Mehrwert bringen und so für behutsames Wachstum sorgen.
Start-up Aivy ändert Wachstumsziel – lieber Zebra statt Einhorn
Auch diese Zielsetzung musste sich erst entwickeln. In der Fernsehsendung hatte Florian Dyballa noch angekündigt, Aivy wolle das nächste Unicorn im Human-Ressources-Bereich werden. Solche Start-ups, die sogenannten Einhörner, erreichen eine Marktbewertung von mehr als einer Milliarde US-Dollar.
„Heute wollen wir lieber ein Zebra sein“, sagt Kammer. Mit diesem Begriff bezeichnen sich Start-ups, die zwar profitabel sein, aber nicht möglichst schnell den Umsatz steigern wollen. Ihnen ist es wichtiger, einen nachhaltigen Einfluss auf die Gesellschaft zu erzielen. Das verspricht nicht den ganz großen Erfolg, aber nimmt den Gründern auch den Druck, im erbarmungslosen Einhorn-Wettbewerb bestehen zu wollen.
Aivy hilft auch, Diversität und Chancengleichheit in Unternehmen zu verbessern
Das Aivy-Team konzentriert sich nun lieber auf andere Ziele, auf Qualität statt Quantität. Ein wichtiger Baustein dabei ist, die Zusammenarbeit mit den Bestandskunden weiter zu vertiefen. „Wir bieten die App nicht mehr nur für das externe Recruiting an. Die Unternehmen können sie auch intern einsetzen, um die Stärken ihrer Mitarbeiter besser zu erkennen und Rollen optimal zu besetzen“, sagt Dyballa.
Anstelle nur zu gucken, wie weitere Fachkräfte gewonnen werden können, wird hier der Blick dafür geschärft, welches Potenzial bereits im Unternehmen vorhanden ist. Auch diese Nutzungsform der App soll helfen, die Diversität und Chancengleichheit innerhalb der Mitarbeiterschaft zu verbessern.
Für die Zukunft können sich die Gründer vorstellen, ihre App in weiteren Ländern anzubieten, auch vereinfachte Varianten sind denkbar, um das Produkt weiteren Zielgruppen zugänglich zu machen. Das Kernziel vom Anfang des Tech-Start-ups bleibt dabei bestehen, wie Florian Dyballa betont. „Wir wollen im Bewerbungsprozess der neue Standard neben dem Lebenslauf werden.“