Mulsum. Historisches Baudenkmal soll Ausflugsziel Nummer eins werden. Warum Brautpaare sich auf das Ende der Sanierung freuen dürfen.
Die „Anna Maria“ soll noch fertig werden. Dann will sich Hans Wilhelm Tiedemann endlich mal um seinen Ruhestand kümmern. Doch bis dahin hat der Mann noch eine Menge mit der Sanierung und dem Umbau der Windmühle zu tun. Auch wenn alle Arbeiten an Handwerker – die meisten kommen aus der Region oder aus Mulsum selbst – vergeben sind, und der Verein mit dem Horneburger Architekten Jens Wilke einen Kenner historischer Baudenkmäler an seiner Seite hat, bleibt noch genug Arbeit für die Mühlenbesitzer.
Tiedemann behält den Blick auf das Große und Ganze. Als Vorsitzender des Mulsumer Heimat- und Kulturverein ist das sein Job – noch.
Sogar das Mahlwerk der alten Mühle ist noch intakt
Der Verein mit inzwischen rund 200 Mitgliedern, ist das Ergebnis der Fusion des Mühlenvereins, des Trachten- und des Heimatvereins in Mulsum. Die drei Vereine legten Geld und Manpower zusammen, um die „Anna Maria“ 2019 zu kaufen und sie aufwendig zu sanieren. Schon in diesem Herbst sollen in der denkmalgeschützten Mühle wieder Brautpaare getraut werden, Feste gefeiert und Kleinkunst gezeigt werden. Rein theoretisch könnte in der „Anna Maria“ auch wie früher Korn gemahlen werden. Das Mahlwerk ist intakt, müsste aber, so Hans Wilhelm Tiedemann, „vorher ordentlich gereinigt werden“.
Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die Bauarbeiten für eine neue Windmühle in dem kleinen Dorf Mulsum begonnen. Damals waren die Fredenbecker Bauern wenig amüsiert über den Mühlenneubau. Sie hatten Angst, dass der Müller ihnen das Wasser für ihr Vieh abgraben würde. Der Gastwirt Johann Hinrich Neumann setzte sich gegen die Bedenken durch und baute 1843 die „Anna Maria“. Zudem war kurz zuvor der Mühlenzwang nach Harsefeld aufgelöst worden. Dieses Gesetz zwang die Bauern seit etwa dem 12. Jahrhundert, ihr Korn in Harsefeld mahlen zu lassen. Die Bauern konnten also nun ihr Korn im Dorf mahlen lassen.
Als Kind kaufte Hans Wilhelm Tiedemann hier das Mehl für seine Mutter
Eine Galerieholländer Windmühle ist an der umlaufenden Arbeitsbühne aus Holz zu erkennen. Von diesem Balkon kann der Müller die Flügel bedienen. Von hier aus werden die Flügel mit der Windrose in den Wind oder aus dem Wind heraus gedreht. Tiedemann ist mit dem alten Galerieholländer groß geworden. „Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie meine Mutter mir Geld in die Hand drückte und mich rüber zur Mühle schickte, um Mehl zu kaufen“, erzählt der heute 70-Jährige, der mit seiner Familie nach wie vor neben der alten Windmühle – Mulsums Wahrzeichen – lebt.
Ursprünglich gehörten der Hof, auf dem die Tiedemanns leben, und die Mühle zusammen. Im Jahr 1929 kauften Tiedemanns Großvater den Hof und sein Großonkel die Mühle. Tiedemann: „Das Problem war nur, dass weder der Hof als damals übliche kleine Landwirtschaft mit ein paar Kühen, einem Schwein und einigen Hühnern, noch die Mühle alleine genug abwarfen.“
Rund 600.000 Euro fließen in die Sanierung der Immobilie im Landkreis Stade
Später brauchte niemand mehr eine Mühle, geschweige denn einen Müller. Im Jahr 1908 hatte ein starkes Gewitter der Mühle arg zugesetzt. Das Wahrzeichen von Mulsum – im Wappen des Dorfes verewigt – hatte keine Flügel mehr. Die Windrose, mit ihr dreht der Müller die Flügel, war demoliert. Das Gebäude verrottete langsam vor sich hin. 1984/1985 investierte der Landkreis Stade viel Geld in die Sanierung des Baudenkmals.
Nun also wird die „Anna Maria“ ein weiteres Mal saniert. Rund 600.000 Euro fließen in die Sanierung und unter anderem in den Umbau der Scheune zum Trauzimmer. In dem Raum sollen ab Herbst auch Kleinkunst Veranstaltungen angeboten werden. Seminare könnten künftig in der Windmühle veranstaltet werden. Der Mulsumer Heimat- und Kulturverein hat einige Ideen in der Schublade, die sich in der sanierten Mühle umsetzen lassen.
Das inzwischen teils völlig verrottete Geländer der Galerie wird erneuert
Auf jeden Fall soll das Baudenkmal wieder Ausflugsort Nummer 1 in Mulsum werden. Die alten Bitumenschindeln vom Mühlendach werden durch eine Zinkblechverkleidung ersetzt. Die „Anna Maria“ bekommt eine neue Windrose und das inzwischen teils völlig verrottete Geländer der Galerie wird erneuert, um nur einigen Sanierungsprojekte an dem Galerieholländer zu nennen.
Viele Förderanträge haben Tiedemann und seine Mitstreiter gestellt. Aber der Schreibkram hat sich gelohnt. Das Amt für regionale Landesentwicklung (ArL) in Lüneburg, die Niedersächsische Sparkassenstiftung, die Stiftungen der Kreissparkasse Stade und der Raiffeisenbank, die Gemeinde Kutenholz, die Bingo-Umweltstiftung und die Denkmalschutz Behörde des Landkreises Stade beteiligen sich am Erhalt dieses wichtigen, historischen Gebäudes.
Tiedemann: „Wir als Verein tragen daher nur noch rund 22.000 Euro an den Kosten. Und das können wir über Spenden stemmen. Und bei der ganzen Planung der Finanzierung hat uns die Koordinatorin für Fördermittel, Liane Knabbe, sehr geholfen.“
Sogar das Datum für die Einweihungsparty steht schon
Wie ein kulturelles Angebot in der Mulsumer Mühle ankommen wird, will der Verein im Herbst mit einem plattdeutschen Abend testen. Der Termin der offiziellen – und natürlich auch öffentlichen – Einweihungsparty für die sanierte „Anna Maria“ steht schon: 10. September 2023, am „Tag des Denkmals“. Und dann will Hans Wilhelm Tiedemann sich zurück ziehen und die Vereinsgeschäfte an den 2. Vorsitzenden, Marco Hohmeister weiter geben. Die „Anna Maria“ aber wird auch dann noch sein Herzensprojekt bleiben. Immerhin wohnt er direkt neben dem Galerieholländer.
Mehr Infos zur Mühle und zum Heimat- und Kulturverein in Mulsum gibt es im Internet unter der Adresse: https://mulsum-heimat-kultur.jimdofree.coms