Stelle. In der Marschlandschaft rund um Steller See haben seltene Vögel eine neue Heimat gefunden. Das Beste: Man kann sie beobachten.

Der Eisvogel hat es gern abwechslungsreich: In ein und derselben Höhle brütet er niemals zwei Mal hintereinander. Lieber nimmt er beim nächsten Mal den Eingang nebenan. Wohl aber ist es in Ordnung, wenn vor ihm ein anderer Artgenosse den Brutplatz genutzt hatte. Für die bedrohte Art hat die Ortsgruppe Winsen/Luhe des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) jetzt einen neuen Brutkasten aufgestellt: in der Seevengeti. Und die ist immer einen Ausflug wert.

Das zumindest findet Birte Gutzki-Heitmann, seit gut einem Jahr ist die gelernte Tischlerin und einstige Bürgerschaftsabgeordnete die Vorsitzende der Ortsgruppe. Am liebsten hätte die 45-Jährige noch einen Vogelfachmann mitgebracht zu der kleinen Tour, „aber wie das so ist in der Brutzeit“, sagt sie und lacht entschuldigend. „Die sind alle ausgeflogen.“

Altvögel fressen ihre Jungen mitunter oder werfen sie aus dem Nest

Auch bei ihr selbst herrscht gerade eine Hoch-Zeit: nämlich die Zeit der besorgten Anrufe. Da meldet einer, dass im Nest mit der Live-Kamera bei Tierarzt Beecken in Winsen der Altstorch ein Junges frisst, und eine, dass sie gerade einen Feuersalamander gesehen hat. Der nächste, dass ein Jungvogel auf seiner Terrasse liegt, die übernächste, dass eine Krähe im Kamin steckt oder eine Fledermaus im Wohnzimmer sitzt.

Der Aussichtsturm bietet den höchsten Blick über den Steller See.
Der Aussichtsturm bietet den höchsten Blick über den Steller See. © HA | Carolin George

Und dann muss Birte Gutzki-Heitmann nicht nur beruhigen, sondern auch immer wieder einmal sagen: „Auch das ist Natur.“ Altvögel fressen ihre Jungen mitunter oder werfen sie aus dem Nest, wenn das Nahrungsangebot zurückgeht oder sie merken, dass der Nachwuchs krank ist. „Auch so etwas zählt zum Kreislauf.“ Schließlich brüten einige Vögel mehrfach, der Spatz zum Beispiel bis zu drei Gelege mit bis zu 14 Küken.

Zwei neue Schwimminseln für Austernfischer und Möwen

Der Natur unter die Arme greifen will der NABU allerdings mitunter auch ganz bewusst: zum Beispiel in der Seevengeti. Dort haben die Umweltaktiven nicht nur zwei neue Schwimminseln für Austernfischer und Möwen für den Steller See angeschafft, sondern auch eine neue Wand für den Eisvogel. „Die Inseln haben wir mit einer Art kleinem Zaun als Umrandung ausgestattet“, erklärt Gutzki-Heitmann. „Das hält den Kormoran fern.“ Der nämlich würde die schwimmenden Pausenstätten ansonsten für sich vereinnahmen, und gedacht sind sie schließlich für kleinere und seltenere Vogelarten.

Zu beobachten sind die fliegenden Besucher am besten von zwei Orten aus: dem Aussichtsturm und dem Ausguck. Der Turm ist leicht zu finden, er steht am Ende eines Pfades, der vom Hauptweg bei dem Metallschild „Seevengeti“ durch das Wäldchen führt und ganz automatisch zum Turm leitet. Wer dort oben den Blick über die Gegend schweifen lässt, mag sich mitunter an die Serengeti erinnert fühlen.

In der Seevengeti weiden zudem Rinder, halten Sträucher und Bäume zurück

Nicht umsonst ist das Naturschutzprojekt ein Kunstname aus Seeveniederung und Serengeti: Der Magerrasen, die Dornengebüsche und die offenen Sandflächen mit den Steinhügeln lassen Assoziationen zur Steppenlandschaft aufkommen. Entstanden ist die Fläche beim Bau des Rangierbahnhofes Maschen in den 1970er-Jahren. Seit 1993 unter Naturschutz, mögen es in der Marschlandschaft rund um Steller See und Junkernfeldsee Weißstorch und Uferschnepfe, Brachvogel und Kiebitz, Neuntöter und alle möglichen Arten von Gänsen. In der Seevengeti weiden zudem Rinder, halten Sträucher und Bäume zurück – ähnlich wie die Schnucken in der Heide.

Was fliegt denn da? Am besten lässt sich mit dem Fernrohr aus dem Ausguck gucken.
Was fliegt denn da? Am besten lässt sich mit dem Fernrohr aus dem Ausguck gucken. © HA | Carolin George

Entstanden ist die Seevengeti als Gemeinschaftsprojekt des NABU, der Naturschutzbehörde des Landkreises Harburg und einem engagierten Landwirt. Der zweite Ausguck ist zu finden, wenn man wieder auf den Hauptweg zurückkehrt, und den nächsten Trampelpfad nach rechts einbiegt. Dort gucken gerade Hans-Dieter Thale und sein Schwager Ralph Teschner durch ihre Ferngläser. „Da war er!“, ruft Thale. „Schwupp, ist er schon wieder weg.“ Der Eisvogel natürlich, so pfeilschnell, wie der blau gefiederte, 40 Gramm leichte Vogel knapp über der Wasseroberfläche auf Fischfang geht. Für die Fütterung von fünf bis sieben Jungvögeln müssen die Eltern bis zu 100 Fische pro Tag erbeuten!

Eine App hilft bei der Bestimmung der Vogelstimmen

Hans-Dieter Thale kommt aus Jesteburg, besucht etwa drei Mal die Woche die Seevengeti. „Das ist in der Corona-Zeit entstanden“, erzählt der 67-Jährige. „Und wir haben das beibehalten.“ Schwager Ralph Teschner, 68, aus Asendorf kennt die Gegend noch, als den Bahnhof Maschen nicht gab. Er ist zwar nicht jedes Mal dabei, aber die Unterschiede bemerkt er trotzdem ganz genau: „In diesem Jahr sind weniger Schwalben hier als in den vergangenen Jahren.“

Hans-Dieter Thale (r.) und Ralph Teschner kommen regelmäßig gemeinsam her.
Hans-Dieter Thale (r.) und Ralph Teschner kommen regelmäßig gemeinsam her. © HA | Carolin George

Nächstes Vorhaben der beiden: „Wir wollen die Nachtigall hören.“ Also heißt es, auf die Dämmerung zu warten. Einen Tipp für andere haben die beiden auch noch parat: die App BirdNet für das Smartphone. „Wir nehmen die Vogelstimme damit auf, und sie sagt uns, welche Art das ist.“ Den aktuellen Test jedenfalls besteht das Programm: „Mensch“, spuckt es aus.

Schon nachmittags ganz deutlich und ohne App zu erkennen ist der Kuckuck. „Der ist dieses Jahr endlich wieder zur richtigen Zeit hier“, sagt Birte Gutzki-Heitmann. Denn der Kuckuck legt lange Strecken zurück, um in seine Überwinterungsquartiere in Afrika zu gelangen und kehrt normalerweise in der zweiten Aprilhälfte zurück. „In den Vorjahren begann der Frühling quasi zwei Wochen zu früh, und als der Kuckuck kam, waren die Vögel mit der Brut schon zu weit, als dass er seine Eier in ihre Nester legen konnte.“

Zu erreichen ist die Seevengeti innerhalb weniger Minuten vom Bahnhof Maschen aus. Wer mit dem Fahrrad kommt, kann direkt in Harburg an der Hörstener Straße starten und immer am Seevedeich entlang bis nach Meckelfeld zum See im Großen Moor radeln. Über Moordamm und Deichstraße geht es auf die Hörstener Straße und schließlich die Straße Hinter der Bahn. Von hier aus führt ein asphaltierter Weg am Junkernfeld entlang in Richtung Elbe, vom Bahnhof Harburg bis zu diesem Punkt sind es knapp zehn Kilometer. An der Einmündung zur Straße gibt es einige Stellplätze für Autos sowie eine Infotafel über das Naturschutzgebiet Untere Seeveniederung. Vom Hauptweg aus geht es nach wenigen Metern rechts auf einen Pfad zur Seevengeti. Der zweite Ausguck ist über den nächsten Pfad rechts zu erreichen, ebenfalls vom Hauptweg aus. Wer danach noch ein wenig weiter durch die Untere Seeveniederung spazieren oder radeln möchte, ist nach etwa vier Kilometern an der Elbe und kann über den Herrendeich zurück zum Junkernfeld und zur Hörstener Straße kommen. Übrigens: Es gibt auch Geocaches in der Seevengeti!