Wörme. Mit dem Schafehüten wird man nicht reich. Aber dafür offenbar glücklich: Unterwegs mit Schäferin Gesa Menne durch das Büsenbachtal.

„Da, sie kommen!“ Helle Aufregung bei den Besuchern des Cafés Schafstall in Wörme: 200 Heidschnucken – davon zwei Zuchtböcke – und sechs Ziegen sind auf dem Weg in die Heide, geführt von Schäferin Gesa Menne (29). Bewacht von Freda, einem fünfjährigen Altdeutschen Hütehund, der alles im Blick hat und immer wieder mit beherzten Sprints einzelne Tiere zurück zur Herde scheucht.

Trotz ihrer Trippelschritte sind die Schafe erstaunlich schnell. Wie ein wogendes Wollknäuel walzen sie den Hügel hinab. Dann plötzlich Ruhe: Hier, auf dem schmalen Stück Heide zwischen der Straße Am Büsenbach und dem Sandweg zum Pferdekopf, wollen sie bleiben. Das frische Gras, die zarten Birkenblätter – der Frühling hat für sie den Tisch gedeckt. Eigentlich, so erklärt Schäferin Menne, weiden die Tiere weiter unten im Büsenbachtal in der Nordheide.

Ohne Schnucken keine Heide – so einfach ist das

Bis zum Brunsberg zieht sich das Gebiet, auf dem die Herde unterwegs ist. Doch heute am Sonntag kommt die Schäferin kaum voran, denn immer wieder wird sie von neugierigen Besuchern angesprochen und beantwortet geduldig Fragen.

Sehnsucht: Diese Ziegenlämmchen halten Ausschau nach ihren Müttern
Sehnsucht: Diese Ziegenlämmchen halten Ausschau nach ihren Müttern © HA | nanette franke

Mit gesenktem Kopf, fast wie im Akkord, rupfen, kauen und schlucken die Schnucken, blitzschnell ist ein ganzes Stück Land leer geputzt – wie frisch gemäht. Als ob die Tiere wüssten, dass sie hier nicht nur einfache Schafe sind, sondern oberste Landschaftspfleger. Sie halten die Heidepflanzen kurz und schaffen damit die Voraussetzung für eine prächtige Heideblüte. Und sie verbeißen die Triebe von Kiefern, Birken und amerikanischen Traubenkirsche, die das Naturschutzgebiet sonst in kürzester Zeit in einen Wald verwandeln würden. Ohne Schnucken keine Heide.

Draußen zu sein bei Wind und Wetter, das Alleinsein – all das gefällt ihr

Deshalb gibt es für die extrem aufwendige Haltung der Tiere einen Zuschuss aus Landesmitteln. Die vierbeinigen Landschaftspfleger gehören zum Wörmer Schafstall von Carla Hoffmann. Der Betrieb Hoffmann hat 100 Hektar kreiseigene Heideflächen gepachtet. Gesa Menne ist Angestellte des Schafstalls. Die gelernte Landwirtin hat schon in ihrer Kindheit und Jugend in Kakenstorf viele Tiere um sich gehabt. Als sie eine Schäferin kennenlernte und probeweise mitging in die Heide, da wollte sie bald nichts anderes mehr als Schafe hüten.

„Ein halbes Jahr lang habe ich studiert“, erzählt sie, „aber dann habe ich ganz schnell wieder aufgehört, weil mir diese Arbeit fehlte.“ Draußen in der Natur sein, auch bei Wind und Wetter, der Umgang mit Tieren, das Alleinsein – das alles gefällt ihr.

Ein Schaf läuft vors Auto – Gesa Menne behält die Ruhe

Doch dass Schäfer zu sein ein ruhiger Job ist, stimmt nicht wirklich: Gerade hat Freda wieder ein paar Schafe zusammengetrieben. Dabei ist eine auf die gegenüberliegende Straße gelaufen, wo eines der vielen Autos kam, die am Wochenende zum Café im Schafstall unterwegs sind. Nur wenige fahren hier Schrittgeschwindigkeit. Noch weniger halten an, wenn sie die Herde sehen. Eine brenzlige Situation. Das Auto bleibt heil. Das Schaf hat eine Wunde am Fuß und humpelt.

Mit dem Schafehüten kann man nicht reich werden. Aber dafür jeden Tag etwas erleben, wie dieses Pas de deux, um an die saftigsten Blätter zu kommen.
Mit dem Schafehüten kann man nicht reich werden. Aber dafür jeden Tag etwas erleben, wie dieses Pas de deux, um an die saftigsten Blätter zu kommen. © Nanette Franke

Hier beweist Gesa Menne, was eine gute Schäferin auch braucht: Überblick und Nervenstärke. Sie spricht mit dem Fahrzeugführer, wirbt um Verständnis, weist darauf hin, dass Tiere keine Bremse haben, und hat wieder einen Teil ihrer Mission erfüllt, nämlich Besucher aufzuklären über das, was die Heide und ihre Bewohner brauchen: neben Gras, Heidetrieben, Birkenblättern und reichlich Auslauf nämlich vor allem Ruhe.

Auch im Büsenbachtal gibt es inzwischen Wölfe

Freilaufende Hunde stören die Schnucken. Diese verfallen in Panik, laufen auseinander, und trächtige Mutterschafe können vor lauter Schreck eine Fehlgeburt erleiden. Spaziergänger, die sich nicht an die vorgegebenen Wege halten, sind für die Schafherde ebenfalls ein Stressfaktor. Und damit auch für ihre Schäferin und für Freda, die Gesa Menne schon als Welpe zu sich genommen und in einem Jahr zu einer routinierten Hütehündin ausgebildet hat.

Inzwischen ist Kaffeezeit. Der Besucherstrom reißt nicht ab. Kein Wunder: Das Büsenbachtal ist eine leicht zu erreichende Idylle mit Parkplätzen, Café und sogar mit Bahnanschluss. Doch auch hier gibt es inzwischen Wölfe. Schafsrisse hatte Gesa Menne bisher noch nicht zu beklagen, anders als viele ihrer Berufskollegen, die schon Wolfsattacken am helllichten Tag erlebt haben. Für die Schäferin bedeutet das, doppelt vorsichtig zu sein und schwere, wolfssichere Zäune aufzustellen, wenn sie die Schnucken in ihrem Weidegebiet fernab vom Stall übernachten lassen will.

Vor einem Jahr wurde Gesa Menne Mutter, da stellte der Besitzer der Herde eine Vertretung ein

Ohne Frage: Schafehüten ist Knochenarbeit. Sieben Tage in der Woche. Auch im Winter und an Feiertagen. Als Gesa Menne vor einem Jahr Mutter wurde, stellte Ekkehard von Hörsten, dessen Familie die Heide in Wörme schon seit Generationen als Weidefläche nutzt und der die Herde 1996 von seinem Vater übernommen hat, einen weiteren jungen Schäfer ein. Das hat sich bewährt.

Schäferin Gesa Menne und Hündin Freda. Menne nahm sie als Welpe zu sich und bildete sie in einem Jahr zu einer routinierten Hütehündin aus.
Schäferin Gesa Menne und Hündin Freda. Menne nahm sie als Welpe zu sich und bildete sie in einem Jahr zu einer routinierten Hütehündin aus. © HA | nanette franke

Zum Beispiel dann, wenn Ende des Winters die Lämmer zur Welt kommen – immer mit den Beinchen zuerst. Und es vorkommen kann, dass ein Bein im Mutterleib hängenbleibt. Dann geht es ohne zugkräftige Hilfe nicht voran mit der Geburt. Auch Ende Mai gibt es wieder viel zu tun. Wenn der Schafscherer kommt, müssen die Tiere eingefangen, oft genug ihre Klauen beschnitten werden. Dann sammeln die Schäfer die geschorene Wolle ein. Pro Schaf gibt es drei bis fünf Kilogramm Wolle. Der Kilopreis liegt bei 15 Cent, denn Heidschnuckenwolle ist kratzig und kann oft nur zu Dünger verarbeitet werden. Manchmal geht auch der gesamte Wollerlös für die Schafschur drauf.

Unterwegs rufen die Muttertiere nach ihren Lämmern, unfassbar laut ist das

Mit der Schäferei kann man also nicht reich werden. Aber jeden Tag etwas erleben, zum Beispiel, wie Ziegen unter Bäumen merkwürdige Tänzchen auf zwei Beinen aufführen, um an die zartesten Blätter zu kommen. Oder wie Schafsböcke im Oktober ihre sprichwörtliche Ruhe verlieren und im Kampf um Weibchen „bis zum Genickbruch aufeinander losgehen“, wie Gesa Menne beobachtet hat.

Die Nachmittagssonne zeichnet lange Schatten auf den Sandweg. Die Schafe müssen jetzt zurück in den Stall, denn dort warten rund 100 Lämmer auf ihre Mamas. Schon unterwegs rufen die Mütter nach ihren Kindern, die mit einem ebenso intensiven Mäh-Konzert antworten. Unfassbar laut ist das. Ungeduldig warten die Schnucken am Gatter. Jede will die Erste sein.

Rushhour vor dem Schafstall: Ungeduldig warten die Schnucken am Gatter. Jede will die Erste sein.
Rushhour vor dem Schafstall: Ungeduldig warten die Schnucken am Gatter. Jede will die Erste sein. © HA | nanette franke

Gesa Menne separiert hochkonzentriert die Mütter von der Herde. Sie haben Vortritt, dürfen mit ihren Kleinen in einem Extrastall des Hofes übernachten. Als die Schäferin das Gatter öffnet, wird es noch turbulenter. Tiere steigen übereinander, drängeln, schubsen, bis jede Mutter ihr Lamm gefunden hat und sich zur Ruhe legt. Auch Gesa Menne ist jetzt etwas müde. Sie lädt Freda in ihr Auto ein und fährt nach Hause, um sich zu erholen. Denn morgen in der Frühe beginnt für sie und ihren Hund ein neues Abenteuer im Naturparadies Büsenbachtal.