Syke. Wie geht es zu auf einem Pferdehof, wenn die Deckhengste Hochsaison haben? Zu Besuch auf dem Gestüt Wachendorf bei Syke.

Als Thomas Ehrengut den dunkelbraunen Trakehner den Weg hinaufkommen sieht, hält er einen Moment inne. „Der hat sich ja gemacht“, entfährt es ihm. „Wow. Ein richtiger Mann ist er geworden.“ Thomas Ehrengut kannte den Hengst namens Rheinglanz schon, als er gekört wurde. Den Tag der offenen Tür auf dem Gestüt Wachendorf bei Syke nutzte der Hamburger Kaufmann, um alte und neue Bekannte zu treffen. Denn Thomas Ehrengut ist nicht nur der Inhaber eines bekannten Hamburger Auktionshauses für Briefmarken und Münzen. Er ist auch Pferdezüchter.

Ein weitläufiger Park mit wellenwellenförmig geschnittenen Buchsbäumen, ein See mit Enteninsel, ein weitläufiges Fachwerkhaus für den ehemaligen Besitzer: Das von Klaus Ostendorf vor 20 Jahren angelegte Gestüt ist seit 2021 die deutsche Zentrale des dänischen Unternehmens Helgstrand Dressage. Günstig gelegen ist Wachendorf inmitten des deutschen Pferde-Bundeslandes Nummer 1: Niedersachsen. Helgstrand hält hier ein Dutzend Deckhengste: Hengste, deren Samen per Spezial-Kurier verschickt werden. Wenn es eilig ist, treffen sich die Züchter mit dem Fahrer an einer Tankstelle und bringen den Samen so schnell es geht zur Stute.

Züchter Ehrengut veredelt seine Hannoveraner und Oldenburger Stuten gern mit Trakehnern

Auch Thomas Ehrengut hat in diesem Jahr schon bei Helgstrand bestellt. „Meine Hannoveraner und Oldenburger Stuten veredele ich gern mit Trakehnern“, erklärt der 65-Jährige. Er selbst züchtete mittlerweile vier Stuten, die mit Hengst Helium denselben Vater haben wie Rheinglanz, also dessen Halbschwestern sind.

1983 hatte der Geschäftsmann gemeinsam mit seinem Bruder Hubert zu reiten angefangen, sie wollten gemeinsam Sport treiben – vielleicht war es ihr Großvater, Pferdearzt Dr. Leopold Ehrengut, dessen Gene sie zum Reiten inspirierten. Doch je größer ihr Auktionshaus wurde, desto knapper wurde die Zeit. „Irgendwann habe ich im Auto an der roten Ampel den Anzug gegen die Reithose getauscht, so eng war mein Tag getaktet“, erzählt Ehrengut lachend. Trotz organisatorischer Kreativität ging irgendwann beides nicht mehr, und er gab das Reiten auf.

Ehrengut hält die Stuten in Borstel bei Winsen im Landkreis Harburg

Doch die Liebe zu den Tieren, sie blieb. Und als der Pferdefan 2014 bei einer Fohlenauktion das junge Rappstutfohlen Fabiola sah, „sie war bildhübsch und schlug bei der Präsentation die dollsten Kapriolen“, kaufte er sie kurzerhand und taufte sie Trixi. Heute ist die Stute neun Jahre alt, „ein echter Sonnenschein“, schwärmt ihr Besitzer. „Könnten Pferde lächeln, sie würde es tun.“ Seither sind es einige Stuten mehr geworden, der Kaufmann hält sie in Borstel bei Winsen/Luhe, Landkreis Harburg, im Reit- und Zuchthof Rabeler.

Warum er züchtet? „Man schafft etwas Neues, die Pferde werden immer edler und schöner“, sagt der Geschäftsmann. „Und sie bringen Ruhe in mein Leben. Mich am Wochenende auf den Koppeln herumzutreiben, entspannt mich. Die Begegnung mit den Pferden ist etwas ganz Besonderes. Da entstehen Freundschaften.“

Nicht nur zu den Pferden, sondern auch zu Menschen. „Zwischen uns privaten Pferdezüchtern gibt es wenig Neid, ganz anders als im Geschäftsleben. Man empfindet Züchterstolz, wenn das eigene Fohlen bei der Fohlenschau hoch bewertet wird, und andere Pferdefreunde freuen sich mit dir.“

Rund 2000 Gäste kamen zum Tag des offenen Gestüts nach Syke-Wachendorf

Als sein Hengstfohlen Fontainebleau, „wunderschön und bewegungsstark“, Sohn von For Romance und Ehrenguts Lieblingsstute Chanel Noir von Christ-DeNiro, im vergangenen Jahr bei der Fohlenschau im niedersächsischen Hohnstorf/ Elbe die Bühne betrat, „stand die Pferdewelt Kopf“, erzählt der Züchter und seine Augen strahlen. „Vom Online-Dienst ClipMyHorse-TV live übertragen, erhielt das Fohlen tausende Likes und Kommentare.“ Drei Preisrichter bewerteten Fontainebleau mit 59,5 von 60 möglichen Punkten.

Mit seiner Leidenschaft ist Thomas Ehrengut nicht allein. Rund 2000 Gäste kamen zum Tag des offenen Gestüts nach Syke-Wachendorf, um sich die Präsentation der 22 Hengste anzusehen. Denn im Augenblick herrscht Hochsaison fürs Decken. Die Geburt eines Fohlens will schließlich wohl geplant sein, erklärt Dr. Ulf Möller. Gemeinsam mit seiner Frau Eva Möller, Weltmeisterschaftsreiterin und Ausbilderin von Reitpferden, leitet der Tierarzt und Reiter das Gestüt. „Gedeckt wird frühestens im Februar, damit kein Fohlen noch im Dezember geboren wird.“ Für Fohlenschau und Körung zählt nämlich das Geburtsjahr, und ein im Dezember Geborenes hätte Nachteile gegenüber den älteren.

Helgstrand arbeitet eng mit der Deckstation von Paul Schockemöhle zusammen

Helgstrand verkauft seit 2007 auf Vermittlung des Szenekenners und Beraters Udo Wagner seine Dressurpferde auch in Deutschland, gehört mehrheitlich der Private-Equity-Gesellschaft Waterland und arbeitet eng mit der Deckstation von Paul Schockemöhle zusammen – eine Figur, die wie keine andere im Pferdesport polarisiert.

Im Durchschnitt zeugt ein Helgstrand-Schockemöhle-Hengst per künstlicher Befruchtung um die 50 Fohlen im Jahr, die Elite bis zu 500. Zurzeit gehen täglich die Bestellungen für Samen in Syke ein, zwischen 1.000 Euro und 2.500 Euro in etwa kostet ein Beutel. „Die meisten gehen nach Niedersachsen, dort stehen die meisten Zuchtstuten Deutschlands“, sagt Möller. An zweiter Stelle folgt Westfalen, darauf die Niederlande, Belgien und England. Nach Übersee werden die Samen eingefroren geflogen.

Pferde, bei denen es später um sechsstellige Preise geht – nicht selten um Millionen

Die Pferdezucht hat sich in den vergangenen 20 Jahren massiv verändert. Und die Zucht hat die Sportpferde massiv verändert. Es gibt immer weniger bäuerliche Züchter, die Profis dagegen nutzen die technischen Möglichkeiten voll aus, um wirtschaftlich nutzbare Tiere zu kreieren, bei denen es später um sechsstellige Preise geht – nicht ganz selten auch um Millionen. Was Kritiker als unnatürlich verabscheuen, beschreiben die Fans der neuen Sportpferde-Generation als gehfreudig, leichtfüßig und rittig, leistungsbereit und wach.

Wie Ulf Möller den Gästen des Gestüts die Hengste vorstellt, lässt ahnen, wie der Reiter zu den Tieren steht: „Dieses Pferd ist wie Weihnachten“, sagt er dann zum Beispiel. Oder, wenn ein Hengst mitten in der Präsentation auch einmal seinen Willen zeigt: „Das ist in Ordnung. Wir wollen ja keine Sklaven reiten, sondern Lebewesen.“ Auch von dem Hype um die seit einigen Jahren die Szene dominierende Modefarbe Rappe, also schwarz, hält Möller wenig, wie er bei der Vorstellung eines Fuchses durchblicken ließ: „Die goldene Schleife steht doch jedem gut.“

Und eines ist dem Menschen trotz aller technischen Möglichkeiten von der Geschlechtsbestimmung des zukünftigen Fohlens bis zum Embryonentransfer in Leihstuten bis heute glücklicherweise nicht gelungen: etwas wie ein Idealpferd zu erschaffen. Der Olympiareiter und Firmengründer Andreas Helgstrand will das auch gar nicht: „Das perfekte Pferd gibt es nicht. Es geht immer um die Verbindung zwischen Mensch und Pferd.“