Landkreis Harburg. Zwei neue Publikationen geben Einblicke in den Gartenbau der Winsener Elbmarsch und die historische Stellmacherei Langenrehm.

Es ist das Jahr 1531. In Köln wird der Habsburger Ferdinand I. zum römisch-deutschen König gewählt. Bei einem Erdboden in Lissabon kommen tausende Menschen ums Leben. Und auf Schloss Harburg erfreut sich Herzog Otto, Herzog zu Braunschweig-Lüneburg, an seinen prachtvollen Gärten.

Und weil der Sommer lang und warm ist, beschließt er, am Hange des Schwarzenbergs einen Weinberg anzulegen, einen Hektar groß. 18.000 Steckhölzer werden gepflanzt, 6000 Pfähle aufgestellt. Nichts zeugt heute mehr vom einstigen Weinanbaugebiet in Harburg. Aber wer in den Archiven stöbert, der kann sie ausgraben, die spannende Geschichte des Erwerbsgartenbaus in der Region südlich der Elbe.

Hartmut Blecken hat 30 Jahre lang Gartenbaubetriebe wirtschaftlich beraten

Genau das hat Hartmut Blecken getan. Er ist Gärtnermeister, hat 30 Jahre lang Gartenbaubetriebe wirtschaftlich beraten und besitzt profunde Kenntnisse über die Entwicklung der Branche. Glücklicherweise ist Blecken, Jahrgang 1947, darüber hinaus passionierter Heimatforscher und hat inzwischen sechs Bücher veröffentlich. Jetzt ist ein weiteres erschienen – und dieses Buch liegt ihm ganz besonders am Herzen.

Schließlich dreht sich in der 300 Seiten umfassenden Publikation alles um seine große Leidenschaft, den Gartenbau und dessen Geschichte. „Gemüse, Obst und Blumen aus Marsch und Heide“, lautet der Titel des Buches, das im Rahmen der Schriften des Heimat- und Museumvereins Winsen und Umgebung als Band Nummer 25 erschienen ist.

Museumverein versteht seine Aufgabe auch darin, die Region zu erforschen

„Als Museumverein haben wir nicht nur die Aufgabe, alte Gegenstände zu sammeln, sondern auch die Region zu erforschen“, sagt der Vereinsvorsitzende Rolf Wiese, dessen Frau Giesela für die Schriftenreihe verantwortlich ist. „Diese Aufgabe ist meine große Leidenschaft“, sagt sie. „Denn jedes Mal lerne ich etwas dazu.“

Gemüse und Obst wurden in Weidenkörben und per Schiff von Hoopte nach Hamburg gebracht.
Gemüse und Obst wurden in Weidenkörben und per Schiff von Hoopte nach Hamburg gebracht. © J. Jetzkus

Dieses Mal ist es die Geschichte einer blühenden Region, eine Zeitreise durch den Gemüse-, Obst- und Gartenbau in den Winsener Elbmarschen, in die Blecken seine Leser mitnimmt. Beginnend mit dem 14. Jahrhundert und seinen Schloss-, Amts- und Gutsgärten in Harburg, Moisburg und Winsen, die als Ursprung des Erwerbsgartenbaus angesehen werden können, geht die Zeitreise weiter zum herzoglichen und bürgerlichen Obst- und Gemüsebau im 18. und 19. Jahrhundert, als die vitaminreiche Ware noch in geflochtenen Weidenkörben und mit Dampfer über die Elbe zum Hamburger Großmarkt transportiert wurde, und endet schließlich im 20. Jahrhundert in der Spezialisierung von Betrieben, auf den Obstmärkten, in der Konservenindustrie und der Gemüseanbauschule Winsen.

Unzählige Details und Anekdoten zum Pflanzenanbau im Landkreis Harburg

Unzählige Details und Anekdoten zum Pflanzenanbau im Landkreis Harburg hat Blecken ausgegraben, hat dafür Archive durchforstet und Gartenbetriebe besucht. Entstanden ist ein Buch, das nicht nur wissenschaftlich fundiert ist, sondern obendrein mit knapp 400 Abbildungen zum Blättern und Staunen einlädt.

Um spannende Geschichten und gelebte Geschichte im Landkreis Harburg geht es auch in der jüngsten Veröffentlichung des Freilichtmuseums am Kiekeberg, das mit Unterstützung seines Fördervereins einen weiteren Band der Museumsschriften herausgebracht hat. „Schiebkarrenbau seit 1841. Museumsstellmacherei in Langenrehm“ heißt der informative Bildband, der einen vielseitigen Überblick von der allgemeinen Entwicklung der Stellmacherbetriebe bis zu den speziellen Veränderungen im Langenrehmer Betrieb der Stellmacherfamilie Peters gibt.

Stellmacher-Familie Peters lebte seit vielen Generationen in Langenrehm

Diese besagte Familie Peters lebte seit vielen Generationen in Langenrehm und fertigte oder reparierte in ihrer Werkstatt Wagenräder, ganze Wagen und Kutschen, Schubkarren, Leitern oder Stiele für Harken, Äxte oder andere Gerätschaften aus Holz. Nach dem Tod seines letzten Bewohners stellte sich die Frage, wie es weitergehen sollte mit dem Areal am Kabenweg 7. Die Gemeinde Rosengarten erwarb das bauhistorisch, sozial-, wirtschafts- und regionalgeschichtliche Kleinod, das das Ortsbild von Langenrehm immer signifikant mitprägte und sorgte gemeinsam mit dem Förderverein des Freilichtmuseums am Kiekeberg für dessen Erhalt und die Restaurierung.

Stellmacherfamilie Peters um 1930 vor ihrem Wohnhaus und der Werkstatt in Langenrehm.
Stellmacherfamilie Peters um 1930 vor ihrem Wohnhaus und der Werkstatt in Langenrehm. © Museumsstellmacherei Langenrehm

„Eine außergewöhnlich dichte materielle Überlieferung in Form von zahllosen Dokumenten, Fotografien und weiteren Objekten, ergänzt durch Schilderungen von Zeitzeugen, machte es möglich, ein authentisches Bild vom Alltag, Wohnen und Arbeiten in den 1930er-Jahren in den verschiedenen Gebäuden der ehemaligen Stellmacherei Peters nachzuzeichnen“, sagt Freilichtmuseumsdirektor Stefan Zimmermann, der zum vierköpfigen Autorenteam ebenso gehört wie Kulturanthropologin Verena Pohl, Volkskundlerin Anke Hufschmidt und Archäologin Annika Soltau, die seit 2019 die Museumsstellmacherei Langenrehm als Außenstelle des Kiekeberg-Museums leitet.

Atmosphäre des Ortes und seiner Historie wird in Fotografien eingefangen

„Unser zentrales Anliegen für die Publikation war von Beginn an der Anspruch, die besondere Atmosphäre des Ortes und seiner Historie in Fotografien einzufangen und zu dokumentieren“, so Annika Soltau, die dafür eigens die Fotografin Antje Sauer aus Hamburg in den Landkreis holte. „Sie hat mit ihren Fotoarbeiten die an diesem Ort stehengebliebene Zeit, den Charakter der Wohnräume und Lagerschuppen genauso eingefangen wie die Materialität der Gebäude“, schwärmt Zimmermann. „Die Bilder spiegeln die Atmosphäre des historischen Handwerksbetriebs wider, als ob die Zeit einfach stehen geblieben wäre.“

Wollen die Geschichte der historischen Stellmacherei Langenrehm lebendig halten (v.l.): Dirk Seidler, Bürgermeister Rosengarten, die Autorinnen Verena Pohl und Annika Soltau, Fotografin Antje Sauer, Grafikerin Gesa Hansen (vorn) und Stefan Zimmermann vom Freilichtmuseum am Kiekeberg.
Wollen die Geschichte der historischen Stellmacherei Langenrehm lebendig halten (v.l.): Dirk Seidler, Bürgermeister Rosengarten, die Autorinnen Verena Pohl und Annika Soltau, Fotografin Antje Sauer, Grafikerin Gesa Hansen (vorn) und Stefan Zimmermann vom Freilichtmuseum am Kiekeberg. © HA | Hanna Kastendieck

Für Antje Sauer, die als freie Fotografin und Künstlerin arbeitet, war die fotografische „Zeitreise“ durch das historische Baudenkmal eine besondere Erfahrung. „Für mich als Großstädterin war dieser historische Ort eine Herausforderung“, sagt die gebürtige Dresdnerin. „Es war spannend, in eine andere Zeit einzutauchen, den Kreislauf von Wald, Holz und Werkstatt nachzuvollziehen und die Sinnlichkeit von Holz, Säge und Späne fotografisch festzuhalten.“