Seevetal. Die Seevetaler Holzbildhauer-Meisterin Almut Andersson schafft zeitgenössische Kunst und restauriert Holzarbeiten. Und sie gibt Schnitzkurse
Kein Hinweisschild, kein Namenszug – nichts deutet auf Almut Anderssons Reich hin. Sie wohne auf dem Knixberg, im Sunder zwischen Eddelsen und Tötensen. Man sehe das Haus nicht gleich, hatte sie am Telefon erklärt. In der Tat! Nichts als ein holpriger Weg unter hohen Bäumen. Hier soll die vermutlich einzige von einer Meisterin geführte Holzbildhauerwerkstatt Norddeutschlands liegen?
Doch dann taucht am Wegrand ein aus einem krummen Baumstamm gearbeiteter Drachenkopf auf. Das Fabelwesen erinnert an den Bug von Wikingerschiffen. Almut Andersson hat als junge Frau Schnitzkurse in einem schwedischen Wikingerforschungszentrum geleitet. Jetzt bietet sie Workshops in ihrer eigenen, schon 2001 gegründeten Seevetaler Werkstatt an. Bis zu vier Personen dürfen sich unter ihrer Anleitung an den Werkbänken in der Schnitzkunst üben. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich, Material und Werkzeug stellt die Meisterin. Zur Wahl stehen eintägige Kurse oder Wochenend-Seminare. Zudem bietet sie einen fortlaufenden Kursus jeden Mittwochabend. Auch spezielle Angebote für Kinder ab neun Jahren gibt es. Ob und wann Plätze frei sind, ist telefonisch zu erfragen. Auf der Homepage gibt es dazu keinerlei aktuelle Angaben.
Website ist Almut Anderssons einzige Werbung, Werke sind in keinem Laden zu kaufen
Die Website ist Almut Anderssons einzige Werbung. Ihre Werke sind in keinem Laden zu kaufen und auch auf Kunsthandwerkermärkten stellt sie nicht mehr aus. Trotzdem herrscht an Kursteilnehmern - mindestens die Hälfte ist weiblich - und Auftraggebern kein Mangel. „Wer an Holzbildhauerei interessiert ist, findet zu mir“, sagt Almut Andersson. Ob kleine oder große Anfrage, die 50-Jährige widmet sich jedem Projekt mit gleicher Kreativität und Sorgfalt. Sie nimmt auch buchstäblich winzige Aufträge an. So hat sie schon für eine Kunden deren Urlaubsandenken verziert: Die Schale einer Cashewnuss. Aber auch riesigen Aufgaben stellt sich die eher zierliche Frau. Demnächst wird sie ein Kinderzimmer mit Wandverkleidungen und Spielmöbeln ausstatten. Grundsätzlich gilt: Kein Wunsch ist ihr zu ausgefallen. Ein Musiker möchte von ihr einen Adlerkopf anstatt der traditionellen Schnecke an seinem neuen Kontrabass.
Gerade bearbeitet sie ein Lärchenholz-Brett. Den Bildhauerbeitel treibt sie mit leichten Handschlägen vorwärts. Sie nutzt nicht einmal einen Klüpfel, das hammerähnliche Holzwerkzeug der Bildhauer. Dennoch rollen sich vor der Klinge weiche Späne auf. Dahinter bleiben tiefe Rillen, zwischen denen sich das härtere Material der Jahresringe behauptet. Unter Almut Anderssons Händen wird die natürliche Maserung des Holzes plastisch. „Eigentlich ist Linde das am meisten genutzte Schnitzholz, aber ich mag auch Eiche, die hat ihren ganz eigenen Charakter. Mir gefällt das Harte, Scharfkantige, Charaktervolle. Man sieht am Schnitzwerk, welche Mühe der Bildhauer beim Schneiden hatte“, sagt Almut Andersson.
Eine der sehr wenigen Frauen in diesem ohnehin seltenen Handwerk
Sie ist eine der sehr wenigen Frauen in diesem ohnehin selten gewordenen Handwerk. Die Blütezeit der Holzbildhauerei lag im Mittelalter. Wie viele Vertreter ihrer Zunft es derzeit bundesweit noch gibt, weiß sie nicht. Aber zumindest in Norddeutschland, glaubt sie, gibt es außer ihrer Werkstatt kaum weitere. Im Süden der Republik dagegen sind Holzbildhauer-Betriebe noch etwas mehr verbreitet. Vielleicht, weil es im katholischen Teil Deutschlands mehr üppig ausgestattete Kirchen, Madonnen und Kruzifixe gibt.
Almut Andersson schnitzt Galionsfiguren, Haushaltsgegenstände, Möbel, Balkenköpfe und beschriftet Fachwerkhäuser. Sie schafft Grabmäler und Kunstwerke für Friedhöfe. Die ornamentale Urnengrabstele in Hittfeld und die Replik eines monumentalen Gedenkkreuzes am Alten Friedhof Harburg stammen von ihr. Der neue Osterkerzenleuchter und das Lesepult der Fleestedter Christuskirche kommen ebenso aus ihrer Werkstatt wie das Taufbecken von St. Petri in Buxtehude.
Putte mit neu angepassten Zehen wartet auf ihren Besitzer
Almut Andersson schafft aber nicht nur Neues. Sie restauriert auch. In ihrer Werkstatt wartet gerade eine Putte mit neu angepassten Zehen auf ihren Besitzer. Sich in eine vergangene Stilepoche hineinzudenken, um in traditioneller Handwerksweise eine Kopie oder Ergänzung für Kunstwerke von Anno dazumal anzufertigen, empfindet sie als besondere Herausforderung. So hat sie in der Möllner Heilig-Geist-Kirche am Schnitzwerk des Orgelschleiers und in der Leipziger Thomaskirche an Ornamenten der Bachorgel gearbeitet.
Genauso gern geht sie mit modernen Objekten und Skulpturen eigene Wege. In ihrer Werkstatt entsteht derzeit eine Figurengruppe im Stil einer Schutzmantelmadonna. Das fein gearbeitete, glatt polierte Ensemble steht stilistisch in krassem Gegensatz zu einem mit dem Beil grob behauenen Gesicht. „Das ist nur eine Studie zu dieser Technik. Zwischen den Aufträgen bin ich froh, einfach etwas für mich ausprobieren zu können. Ohne solche Freiräume gibt es keine künstlerische Weiterentwicklung. Aber ich bin schon sehr dem traditionellen Handwerk verbunden“, sagt Almut Andersson. Kettensägekunst wäre für sie keine Option.
Sie wollte Jura studieren, so wie ihr Vater
Eine Vielzahl von Eindrücken und Anregungen hat sie während ihrer dreijährigen Wanderschaft nach der Gesellenprüfung in verschiedenen Meisterwerkstätten gesammelt. Noch heute trifft sie sich mit Weggefährten von einst. Erst kürzlich beherbergte sie eine kleine Gruppe wandernder Holzbildhauergesellen unter ihrem Dach. Natürlich wurde gemeinschaftlich geschnitzt. Nicht etwa, um es später zu verkaufen. Nicht einmal, um es selbst zu behalten. Einfach nur aus Schaffensfreude. Aus Spaß am gemeinsamen Werken. Aus Neugier auf die Kunstfertigkeit der anderen.
Ursprünglich hatte Almut Andersson nach dem Abitur eine akademische Laufbahn angepeilt. Sie wollte Jura studieren, so wie ihr Vater. Doch der, selbst mit seiner Tätigkeit im Rechtswesen unzufrieden, riet ihr ab. Dafür ist sie ihm bis heute dankbar. Dabei war es gerade in den ersten Berufsjahren nicht leicht, mit ihrer Kunst den Lebensunterhalt für ihre wachsende Familie zu sichern. Almut Andersson ist vierfache Mutter, war aber stets Hauptverdienerin. Um Haushalt und Kinder kümmerte sich ihr inzwischen verstorbener Mann. Den Mut gehabt zu haben, diesen ganz eigenen Lebensweg eingeschlagen zu haben,darauf zu vertrauen, dass Talent und Neigung zum Erfolg führen, empfindet Andersson als großes Glück
Almut Andersson gibt fortlaufend Kurse im Werken, Schnitzen und Holzbildhauerei für Erwachsene, unterrichtet ebenfalls Werk- und Schnitzkurs für Kinder. Es gibt fortlaufende Abendkurse und Wochenend-Workshops.