Landkreis Harburg. Supermärkte bauen Geldautomaten ab, Banken schließen SB-Terminals – und die Täter selbst werden immer skrupelloser. Ein Report.
Sie hinterlassen Bargeldkonfetti, Scherben, zerstörte Häuser und verunsicherte Anwohner. Uns sie stören die Bargeldversorgung im Landkreis Harburg nachhaltig. Die Rede ist von den immer brutaler vorgehenden Automatensprengern. Einem vermutlich aus den Niederlanden heraus international operierenden Netzwerk, das (wie berichtet) besonders häufig im Kreis Harburg zuschlägt. Wie rücksichtlos und kaltschnäuzig die Täter vorgehen und wie weitreichend die Folgen sind, zeigen Gespräche mit Banken und anderen Betroffenen.
Liebstes hiesiges Ziel der Kriminellen ist der Standort der Deutschen Bank in der Winsener Innenstadt. Den Geldautomaten in der Marktstraße jagten Unbekannte bereits dreimal seit 2018 in die Luft. Zuletzt Anfang März. „Wir sind bestürzt über die neuerliche Straftat“, heißt es von der Bank. Nach Aussagen einer im Gebäude ansässigen Anwältin muss die Explosion eine deutlich stärkere Wucht gehabt haben als die vorherigen Angriffe. Der Eindruck deckt sich mit Erkenntnissen der Polizei, die landesweit vom Einsatz zunehmend starker, teils militärischer Sprengstoffe berichtet.
Vier Volksbank-Automaten wurden im Landkreis Harburg seit 2021 gesprengt
Aus leidvoller Erfahrung kann auch Herbert Meyer, Inhaber und Geschäftsführer der Edeka-Märkte in Hittfeld und Nenndorf, davon berichten. Sein Geschäft in Hittfeld lag am Morgen nach der Explosion im Oktober 2022 in Trümmern. Als erste vor Ort war Marktleiterin Alexandra Buhk. „Überall war Qualm, und die Geldscheine lagen zwischen den Trümmern herum“, berichtet sie. „Selbst auf der anderen Seite des Marktes sind noch Weinflaschen aus dem Regal gefallen“, sagt sie über die Erschütterung.
Dass nicht die abgelegenere Schwester-Filiale in Nenndorf Ziel der Sprengung war, wundert Inhaber Meyer. Damit er, sein Team und die Kunden ein derartiges Chaos kein zweites Mal erleben müssen, wird der Geldautomat in Hittfeld nicht wiederaufgebaut. Auch das Gerät in Nenndorf hat er abgeschafft.
Einem Mitarbeiter der Bäckerei-Filiale im Markt drohten sie Prügel an
Pikantes Detail vom Tatort in Hittfelds Ortsmitte: Auf herbeieilende Anwohner reagierten die Männer nicht mit Flucht, sondern mit Einschüchterungsgebärden, wie Herbert Meyer erzählt. So hätten sie auch einem Mitarbeiter der Bäckerei-Filiale im Markt Prügel angedroht – und ihre Tat dann vor Publikum fortgesetzt.
Auf mehr als 72.000 Euro beläuft sich der Schaden für Edeka Meyer nach eigenen Angaben. Zwei Tage Umsatz sind dem Lebensmittelhändler durch die Ladenschließung verlorenen gegangen. Ein Ersatz für große gläserne Eingangstür, die die Täter eingeschlagen hatten, konnte erst sieben Wochen nach der Tat eingebaut werden. Hinzu kommt der Schaden für die Volksbank Lüneburger Heide, der der Automat gehörte. Konkrete Angaben zu diesem Einzelfall macht die Genossenschaftsbank nicht.
Rund 100.000 Euro erbeuten die Täter mit jeder Sprengung
Im Schnitt flüchten die Automatensprenger in Deutschland mit rund 100.000 Euro. Vier Volksbank-Geldautomaten hat es im Landkreis Harburg allein seit 2021 erwischt. Neben dem SB-Gerät im Edeka-Hittfeld auch in Filialen in Hittfeld und Ramelsloh sowie einen weiteren SB-Standort im Wildpark Lüneburger Heide. Insgesamt schätzt die Volksbank den finanziellen Schaden auf einen „mittleren sechsstelligen Betrag“ – also mehrere Hunderttausend Euro.
Das ohnehin im Abbau befindliche Geldautomaten-Netz und damit die Bargeldversorgung insbesondere im ländlichen Bereich dünnen sich in Folge der Sprengstoffangriffe weiter aus. Denn neben langen Ausfallzeiten kommt hinzu, dass Automaten nicht wieder ersetzt werden – oder solche in gefährdeter Lage vorsorglich außer Betrieb gesetzt werden.
Der Automat bleibe geschlossen, bis die Sparkasse ein neues Sicherheitskonzept habe
So geschehen in Winsen in der Luhdorfer Straße nahe des Krankenhauses – und damit unweit der Autobahn A 39, die gute Fluchtmöglichkeiten bietet. Das SB-Terminal ist aktuell „aus Sicherheitsgründen geschlossen“. Laut Sparkasse handelt es sich um eine „Präventivmaßnahme“. Der Geldautomat bleibe geschlossen, bis die Sparkasse ein neues Sicherheitskonzept aufgestellt habe. Weitere Standorte seien derzeit nicht betroffen. Für die Volksbank keine Option: „Die Schließung ist die schnellste und einfache Lösung, kommt aber für uns zur Zeit nicht in Frage.“
Ob die Deutsche Bank ihr Gerät in der Winsener Innenstadt ein drittes Mal erneuern wird, ist noch unklar. „Andernorts haben Risikoanalysen vereinzelt die Schließung von entsprechenden SB-Stellen zur Folge gehabt; vor allem in solchen Fällen, in denen Standorte binnen weniger Jahre mehrfach durch Sprengungen zerstört worden waren“, heißt es von einer Sprecherin auf Abendblatt-Nachfrage.
Volksbank und Sparkasse kooperieren bereits im Landkreis Harburg
Dass insbesondere SB-Standorte geschlossen werden, hat laut Sparkasse auch mit verändertem Kundenverhalten zu tun. Volksbank wie Sparkasse bekräftigen, weiterhin „flächendeckend“ für die Kunden da zu sein. Teilweise kooperieren sie dafür, in anderen Orten erhalten die Menschen ihr Bargeld (fast) kostenlos an der Kasse bei Famila (Buchholz) oder Edeka (Hittfeld, Nenndorf).
Kritik wegen fehlender Sicherheitsmaßnahmen weisen die Volksbank Lüneburger Heide und die Sparkasse Harburg-Altes Land von sich. Man setze vorhandene technische Lösungen um, prüfe und führe Gefährdungsanalysen durch. Bei einer im Ausland im Einsatz befindlichen Verklebetechnik gebe es rechtliche und versicherungstechnische Probleme. Und eine Vernebelungstechnik sei teuer – und letztlich nutzlos.