Landkreis Harburg. Kommunen im Landkreis Harburg müssen Umstellung bis 2026 schaffen und kritisieren Landesregierung scharf: „Uns läuft die Zeit davon!“
Erstklässler in Niedersachsen haben ab August 2026 ein Recht auf Ganztagsbetreuung: Bis dahin müssen die Grundschulen den Anforderungen einer Ganztagsschule entsprechen. Das Abendblatt hat alle Kommunen im Landkreis Harburg angefragt, wo sie in dem Prozess stehen, der viele Gemeinden Millionen von Euro kosten wird.
In Buchholz verteilen sich 1800 Schülerinnen und Schüler auf sechs Grundschulen. An allen Einrichtungen der Nordheidestadt gibt es eine von der Stadt finanzierte Nachmittagsbetreuung, die von Vereinen sichergestellt wird. Politik und Verwaltung drängen darauf, den Ausbau der Ganztagsschulen möglichst zügig voranzutreiben. Doch bislang fehlen noch wichtige Vorgaben vom Land Niedersachsen. Für die Kommunen ist dieser Schwebezustand eine Katastrophe.
Weil die Vorgaben des Landes fehlen, seien Planungen schwierig bis unmöglich
„Uns läuft die Zeit davon“, mahnt ein Sprecher der Verwaltung. „Wir warten dringend darauf, dass das Land endlich elementare Entscheidungen zu diesem Thema fällt.“ Zwar hätten sich Bund und Länder über die Finanzierung der Ganztagsschule grundsätzlich geeinigt. Allerdings gebe es aus Hannover bisher keinerlei Aussagen dazu, wie der Anspruch auf Ganztagsbetreuung umgesetzt und gefördert werden solle: Als Ganztagsschule nach Schulgesetz oder als hortähnliche Einrichtung nach Kitagesetz? Da es weder Vorgaben gebe, wie die Betreuung aussehen soll, noch wie die Räumlichkeiten zu gestalten sind, seien Planungen schwierig bis unmöglich. „Und doch muss Buchholz genau das tun“, ist man sich im Rathaus einig. „Wir wollen und müssen, genauso wie viele andere Kommunen, in unsere Grundschulen investieren.“
Dessen ungeachtet hat die Stadt bei den jüngsten Erweiterungen der Waldschule und der Grundschule Steinbeck die Ganztagsbetreuung bereits mitgedacht und in der Waldschule drei Begegnungsräume geschaffen, die Mensa erweitert sowie die Grundschule Steinbeck mit einer Mensa und Gruppenräumen ausgestattet. Auch bei anderen anstehenden Investitionen soll der Ganztag mitgedacht werden. So wird bei der Erweiterung der Grundschule Sprötze eine Mensa entstehen.
Jesteburg: Eine nichtöffentliche Arbeitsgruppe soll erste Realisierungsschritte erfassen
In der Samtgemeinde Jesteburg besuchen 117 Schülerinnen und Schüler die Grundschule Bendestorf, 286 Kinder werden an der Grundschule Jesteburg unterrichtet. Aktuell gibt es unter der Leitung des Schulträgers (SG Jesteburg) den Pädagogischen Mittagstisch. Zum Angebot gehören neben der Ausgabe von Mittagessen unter anderem eine Hausaufgabenhilfe sowie Freizeitaktivitäten.
Aufgrund der schwierigen Haushaltslage stehen Politik und Verwaltung der Samtgemeinde vor der großen Herausforderung, wie man die Entwicklung hin zu Ganztagsschulen inklusive Modernisierungen hinbekommt. Im Dezember 2022 hat der Samtgemeinderat beschlossen, dass die bisherigen Planungen derzeit nicht weiter verfolgt werden sollen. Stattdessen soll eine Minimallösung innerhalb der Bestandsgebäude gefunden werden. Außerdem soll sich eine nichtöffentliche Arbeitsgruppe bis zum 30. Juni dieses Jahres mit der Erarbeitung der Realisierungsschritte für den Umbau befassen.
In der Gemeinde Rosengarten müssen Mensen komplett neu gebaut werden
„Dabei sollen die einzelnen Schritte aufgrund der angespannten Finanzlage entsprechend einem Baukastenprinzip aufgeschlüsselt und mit einer Priorität versehen werden – angefangen mit den gesetzlichen Mindestvoraussetzungen zur Umsetzung des Ganztages, über gegebenenfalls den Anbau von Modulen für spezielle Nutzungen, notwendige Renovierungen, Barrierefreiheit bis hin zur energetischen Sanierung“, heißt es in dem Beschluss. Ziel ist es, in den Folgejahren, je nach notwendigem Investitionsvolumen, die Schritte der Reihe nach zu realisieren. Der Vorschlag des Gremiums soll in den Fachausschüssen öffentlich beraten und vom Rat beschlossen werden.
In der Gemeinde Rosengarten gibt es vier Grundschulen in den Ortschaften Vahrendorf, Westerhof, Nenndorf und Klecken. Insgesamt 564 Kinder werden dort aktuell beschult. Für den Ausbau der Einrichtungen zur Ganztagsbetreuung müssten in den Schulen neue Räume geschaffen und Mensen eingerichtet werden. „Leider fehlen noch immer konkrete Vorgaben des Landes. Und ohne diese können wir nicht planen“, sagt Bürgermeister Dirk Seidler. „Trotzdem haben wir vorsorglich einen Planer beauftragt, der die Anbaupotenziale bei den Einrichtungen ermittelt.“ Seidler geht davon aus, dass auf die Gemeinde Kosten in Millionenhöhe zukommen.
Winsen: Der Ganztagsbetrieb ist im Grunde geschafft – und doch rechnet man mit weiteren Kosten
In Winsen gibt es an allen fünf Grundschulen einen Ganztagsbetrieb. Der Bedarf ist laut Stadtsprecher Theodor Peters unterschiedlich, zwischen 60 und 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler nutzen das Angebot. Dieser Bedarf kann bisher vollständig gedeckt werden. Es wird eine Ferienbetreuung sowie eine Frühbetreuung (ab 7 Uhr) und eine Spätbetreuung (bis 17 Uhr, freitags bis 15.30 Uhr) angeboten. Ein Teil der Kosten wird über Elternbeiträge finanziert. Winsen ergänzt den Ganztagsschulbetrieb mit einem eigenen finanziellen Beitrag von derzeit rund 923.000 Euro jährlich, da die Landesunterstützung nicht ausreicht.
Seit die Freiwillige Ganztagsschule von 2015 an eingeführt wurde, hat die Kreisstadt insgesamt mehrere Millionen Euro in die Schulstandorte investiert. Voraussichtlich Anfang 2025 beginnt der Bau einer weiteren Grundschule in Stöckte.
Im Rathaus rechnet man mit zusätzlichen erheblichen Kosten durch die Anforderungen des Ganztags. „Leider fehlen im Hinblick auf die Einführung des Ganztagsschulangebots ab 2026 jegliche Rahmenbedingungen, die das Land festlegen muss“, sagt Peters. „Dies betrifft die räumlichen Anforderungen, die pädagogischen Vorgaben und den zeitlichen Rahmen. Eine zeitgerechte und qualitativ angemessene Einführung ist deshalb für viele Kommunen kaum noch möglich.“
Gemeinde Seevetal: In Horst nehmen etwa 80 Prozent der Kinder an zwei bis fünf Wochentagen an dem Ganztagsangebot teil
In der Gemeinde Seevetal sind von den sieben Grundschulen fünf Offene Ganztagsschulen: in Meckelfeld, Hittfeld, Ramelsloh, Maschen und Horst. Dort nehmen etwa 80 Prozent der Kinder an zwei bis fünf Wochentagen an dem Ganztagsangebot teil. „Es ist anzunehmen, dass es in den beiden weiteren Schulen einen ähnlichen Bedarf gibt“, sagt Stadtsprecher Andreas Schmidt. Für die Nachmittagsbetreuung an den Grundschulen Fleestedt und Emmelndorf gibt es bisher Angebote freier Kita-Träger (Fleestedt: Awo, Emmelndorf: DRK). Geboten wird ein pädagogischer Mittagstisch und weitere Betreuung, auch bei den Hausaufgaben, bis mindestens 16 Uhr.
Für die Erweiterung und Umwandlung der Grundschule Fleestedt in eine Offene Ganztagsschule werden derzeit Um- und Anbaupläne erstellt. Die Arbeiten sollen im Frühjahr 2026 abgeschlossen sein. Im Haushalt sind bisher rund sechs Millionen Euro dafür veranschlagt.
Noch befindet sich die Gemeinde allerdings im Planungs- und Abstimmungsprozess. Die ein- bis zweizügige Grundschule Emmelndorf ist die mit Abstand kleinste in Seevetal. Dort ist laut Schmidt noch nicht absehbar, ob der Bedarf an Ganztagsbetreuung im vorhandenen Gebäudebestand erfüllt werden kann. Eine mögliche Erweiterung sei aber technisch und planerisch berücksichtigt worden.
In der Grundschule Hanstedt wird von Montag bis Freitag eine Betreuung durch das DRK angeboten
In der Samtgemeinde Hanstedt gibt es eine Offene Ganztagsschule in Brackel sowie zwei weitere Grundschulen mit Hortähnlichen Einrichtungen. In der Grundschule Hanstedt wird von Montag bis Freitag eine Betreuung durch das DRK angeboten, in Egestorf gibt es ein ähnliches Angebot durch den Verein Saari. Aktuell besuchen 147 von 213 Schülern und Schülerinnen den Ganztag in Brackel. In Egestorf nutzen 59 von 145 Kindern die Betreuung und in Hanstedt 87 von 189. Damit sind die Einrichtungen ausgelastet. In Brackel bleibt die Nachfrage stabil, in Hanstedt und Egestorf wächst sie stetig.
Die Schulen bereiten zurzeit ihr Konzept für die Umwandlung vor. Ein Antrag wurde bisher nicht gestellt. „Ob und welche Räumlichkeiten für die Erfüllung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung gegebenenfalls fehlen, kann zurzeit nicht gesagt werden, da die Anforderungen vom Land bisher nicht definiert wurden“, sagt Samtgemeindebürgermeister Olaf Muus. „Seitens des Landes Niedersachsen sind für das Jahr 2023 auch keine investiven Mittel für die Kommunen vorgesehen.“
Immerhin: Ein wesentlicher Kostenfaktor entfällt in der Samtgemeinde, da alle drei Schulen bereits über eine Mensa verfügen. „Spannend wird neben der Raumfrage auch der Personalschlüssel und die Qualifikation des Personals in der Ganztagsbetreuung“, so Muus.
„Brauchen wir eine Mensa? Wer soll dort arbeiten? Wir wissen nicht, wie das Land sich das vorstellt“
In der Samtgemeinde Salzhausen gibt es an den zwei vierzügigen Grundschulen mit jeweils 260 bis 280 Kindern eine Ganztagsbetreuung durch den Verein Interessengemeinschaft. Die jeweils 60 Plätze können bis 16 oder 17 Uhr in Anspruch genommen werden, wobei die kürzere Betreuungszeit überwiegt. Das freiwillige Nachmittagsangebot an den Standorten Salzhausen, Eyendorf und Garstedt wurde parallel zum Ausbau der Kitas und Krippen vor zehn Jahren geschaffen. Für weitere Plätze müssten die Gebäude erweitert werden.
„Wir blicken natürlich auf das Schuljahr 2026/2027. Aber bisher fehlen die Richtlinien des Landes zu räumlichen Konzepten und Personal“, sagt Samtgemeindebürgermeister Wolfgang Krause. „Brauchen wir eine Mensa? Wer soll dort arbeiten? Wir wissen nicht, wie das Land sich das vorstellt. Das muss jetzt dringend geklärt werden.“
Überlegungen, für die Ganztagsbetreuung Erzieher einzustellen, lehnt Krause wie viele seiner Amtskollegen ab. Diese würden anderswo dringend gebraucht. „Im Landkreis Harburg brauchen wir allein bis 2024 mehr als 400 Fachkräfte für die Kitas.“ Auch zeitlich sei der Ausbau praktisch nicht mehr zu schaffen, da die erforderlichen Mittel frühestens 2024 in den Landeshaushalt eingestellt würden. Bei Bauvorhaben sei angesichts der derzeitigen Lieferengpässe und des Handwerkermangels zudem eine Kostenexplosion zu erwarten.
Das hohe Investment in die Bildung der Jüngsten wird wegen des Rechtsanspruchs notwendig
Die Gemeinde Neu Wulmstorf lässt sich die bauliche Modernisierung ihrer drei Grundschulen insgesamt deutlich mehr als 52 Millionen Euro kosten. Das hohe Investment in die Bildung der Jüngsten wird vor allem auch vor dem Hintergrund des Rechtsanspruchs zur ganztägigen Betreuung notwendig. Die Grundschule am Moor erhält einen Neubau gegenüber ihres jetzigen Standorts an der Ernst-Moritz-Arndt-Straße. Er soll nach den Sommerferien bezogen werden und wird – inklusive einer neuen Sporthalle, einer Großmensa und einem Veranstaltungszentrum – zu einem Festpreis von rund 26 Millionen Euro erstellt.
Ebenso tief wird die Gemeinde aufgrund der enorm angestiegenen Baukosten nach einer ersten Expertenschätzung wohl für den deutlich kleineren Neubau der Grundschule an der Heide in die Tasche greifen müssen, für den aktuell die Ausschreibung vorbereitet wird. Die Heideschüler werden, wie berichtet, das neue Schuljahr nach den Sommerferien im alten Gebäude der Grundschule am Moor beginnen und dort so lange bleiben, bis ihre neue Schule bezugsfertig ist. Der Neubau der Schule an der Heide soll möglichst ab Anfang 2024 realisiert werden.
Neu Wulmstorf: Zu den 52 Millionen Euro für die beiden Schulen im Kernort kommen weitere Kosten hinzu
Zu den 52 Millionen Euro für die beiden Schulen im Kernort kommen noch die Kosten für die Erweiterung der Grundschule Elstorf. Dort gilt es nun, die Flächenplanung für das beschlossene Raumkonzept für die Grundschule voranzubringen. Mit welcher Summe der Ausbau und die Sanierung der Elstorfer Schule zu Buche schlägt, steht noch nicht fest. Es gibt es bisher keinen Kostenplan, ein Auftrag zur Flächenüberprüfung wurde laut Verwaltung inzwischen vergeben.
Die Anträge zur Einführung der Ganztagsgrundschulen am Moor und an der Heide wurden nach jahrelanger Vorbereitung vor wenigen Wochen beim Regionalen Landesamt für Schule und Bildung eingereicht. Die Grundschule an der Heide soll zum neuen Schuljahr in den offenen Ganztag und die Grundschule am Moor in den teilgebundenen Ganztag starten. In Elstorf wird der Ganztag wahrscheinlich in Form einer offenen Ganztagsschule mit dem Inkrafttreten des Rechtsanspruchs vom Schuljahr 2026/27 an umgesetzt.
„Wenn sich niemand als neuer Kooperationspartner findet, machen wir es eben selbst“
In der Samtgemeinde Hollenstedt ist man bereits einen Schritt weiter. „Unsere beiden Grundschulen in Hollenstedt und Moisburg sind seit 2019 offene Ganztagsschulen“, sagt Samtgemeindebürgermeister Heiner Albers. „Deshalb sind wir bereits jetzt total gut aufgestellt. Wir können Eltern eine verlässliche Betreuung ihrer Kinder anbieten – von der Krippe bis zum Ende der Grundschulzeit.“ Das sei für eine kleinere Gemeinde nicht selbstverständlich. Die Nachfrage nach einer Ganztagsbetreuung wachse allerdings kontinuierlich, sagt Albers. In Hollenstedt reiche das Raumangebot aber auch für einen eventuellen steigenden Bedarf mit Inkrafttreten des Rechtsanspruchs, so der Bürgermeister.
Die Grundschule Moisburg benötigt dagegen mehr Platz und soll ihn auch bekommen: Die politischen Gremien haben 850.000 Euro für einen Anbau bewilligt, mit dem ein zusätzlicher Klassenraum, ein neues Lehrerzimmer und weitere kleine Besprechungsräume geschaffen werden sollen. Eine für den Ganztagsbetrieb benötigte Mensa ist an beiden Schulen bereits vorhanden. „Sobald der Haushalt durch ist, werden wir mit den Arbeiten beginnen“, sagt Albers.
Einen Rückschlag musste die Samtgemeinde kürzlich hinnehmen, als die Arbeiterwohlfahrt als Kooperationspartner im Ganztag an den Hollenstedter Grundschulen ihren Vertrag zum 31. Juli kündigte. Albers sieht dem Ergebnis des neuen Ausschreibungsverfahrens gelassen entgegen: „Wenn sich niemand als neuer Kooperationspartner findet, machen wir es eben selbst“, sagt der Bürgermeister. Zu den Gründen der Kündigung wurde bisher nichts bekannt. Klar ist aber, dass die AWO auch von anderen, deutlich größeren Gemeinden als Ganztagspartner umworben wird – zum Beispiel von Neu Wulmstorf.
Es fehlen die Samtgemeinde Elbmarsch und die Gemeinde Stelle – hier stehen die Antworten noch aus.