Wistedt. Auf dem Hermannshof in Wistedt gedeihen nicht nur Kälber und Kürbisse. Die Inhaber spielen auch regelmäßig Figurentheater. Ein Ortstermin.
Wer mit dem Auto auf der B 75 im Landkreis Harburg unterwegs ist, hat zwischen Wistedt und der Abzweigung nach Königsmoor am Straßenrand vielleicht schon einmal das Schild mit der Aufschrift „Hermannshof“ gesehen. Ein Bauernhof wie so viele andere in der Region? Ja, vielleicht war er das mal. Und nein, denn auch wenn hier Kühe im Stall stehen und im Frühling die Karotten auf den Feldern wachsen, steht seit Ende der 80er-Jahre etwas Anderes auf dem Hof im Vordergrund: das Theaterspielen.
Johann Karl König lebt mit seiner Frau Antje auf dem Hermannshof. Er hatte ihn von seinen Eltern übernommen und 1988 auf biologisch-dynamische Landwirtschaft umgestellt. Neben dem Anbau von Gemüse und Getreide sowie der Haltung von Rindern zur Fleischproduktion waren König und seine Frau Antje aber zunehmend vom Puppenspiel fasziniert.
Lange Zeit schafften die beiden den Spagat zwischen Ackerbau, Viehzucht und Puppenspiel
Erlernt hat Antje König ihr Handwerk an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin, während ihr Mann eine Theaterausbildung am Monsun-Theater in Hamburg absolvierte. 2002 gründete das Paar das Hermannshoftheater. Lange Zeit schafften die beiden den Spagat zwischen Ackerbau, Viehzucht und Puppenspiel, bis sie die Landwirtschaft 2018 verpachteten, um sich ausschließlich auf ihr „Theater des magischen Realismus“ konzentrieren zu können.
Und Magie liegt wahrlich in der Luft, wenn Antje und Johann Karl König die Puppen tanzen lassen. Dann verzaubern sie nicht nur die auf den Plätzen in der ersten Reihe sitzenden Kinder, sondern auch die sie in der Anzahl oftmals um das Doppelte übertreffenden Erwachsenen. Bei „Anna Karenina“ und „Faust“ verwundert das nicht. Doch bei den reiferen Jahrgängen sind die Märchen ebenfalls sehr beliebt.
Unvorhergesehenes wird von den Puppenspielern souverän gemanagt
Rund ein Dutzend Märchen gehören zum Repertoire des Hermannshoftheaters, darunter „Der gestiefelte Kater“. Frei nach den Gebrüdern Grimm erzählt das Paar in fantasievollen Kostümen die Geschichte vom Müllerssohn, der mit Hilfe des mutigen Katers sein Glück findet. In rascher Folge lassen sie die Puppen über die Bühne schreiten, tanzen und springen. Ihre Stimmen gurren, lassen im tiefsten Bass Autoritäten zu Worte kommen oder die aufgeregten Mäuse in der Mühle piepsen. Das Publikum folgt ihnen bereitwillig in die Magie der Märchenwelt.
Bezüge zur Aktualität beleben viele Stücke ganz bewusst. Und Unvorhergesehenes wird souverän gemanagt: Entgleitet einem der beiden Spieler versehentlich ein Zugband für die Marionette, so dass etwa die Prinzessin dem armen Müller in die Arme sinkt, ist Spontaneität gefragt: „Nicht so stürmisch“, raunt Johann Karl König anstelle des hölzernen Verliebten, was mit lautem Gekicher aus dem Publikum quittiert wird.
Auf dem Moorboden rund um den Hof gedeihen etwa prächtige Moormöhren
Es entspricht der Lebensphilosophie von Johann Karl König, dass er in dem Bauernhaus eine Theaterbühne eingerichtet hatte. „Ich wollte einen Platz schaffen, wo neben der rein landwirtschaftlichen Arbeit Räume entstehen, die keinen wirtschaftlichen Nutzen haben“, begründet er diesen Schritt. Kreativität, das Leben mit der Natur und nicht gegen sie sowie eine manchmal vielleicht unkonventionelle Einstellung zeichnen ihn und das Leben auf dem Hermannshof aus. Seine Überzeugung: „Man muss sich in den Dienst der Puppen stellen, und auch als Landwirt muss man sich fragen, was kann der Boden bringen?“
Auf dem Moorboden rund um den Hof gedeihen etwa prächtige Moormöhren, aber auch Salate, Mangold, Rosenkohl, Rote Bete, Hokkaidokürbisse, Getreide, Kartoffeln und vieles mehr. Seit September 2017 kümmert sich Till Paulick mit Ehefrau Eva Maria und den Söhnen Malik (21), Jona (11) und Paul (9) um die Landwirtschaft auf dem Hermannshof, bewirtschaftet ihn nach den strengen Kriterien des „Demeter“-Siegels biologisch-dynamisch, betreibt Mutterkuhhaltung und hält auch Eier vorrätig, die von den rund 600 Legehennen in mobilen Ställen produziert werden.
Eine Azubi-Stelle ist auf dem Hermannshof in diesem Sommer noch zu besetzen
Die Bielefelder Familie hatte sich für den Hof in Wümme entschieden, weil ihr die Kombination von Kultur und Landwirtschaft spontan zusagte. Till Paulick ist Landwirt aus Leidenschaft und vermittelt diese auch gern an seine bis zu drei Auszubildende. Eine Azubi-Stelle ist auf dem Hermannshof in diesem Sommer noch zu besetzen.
Für den Vertrieb von Obst, Gemüse und Eiern des Hermannshofs ist Stefan Peters verantwortlich, Bruder von Johann Karl König und gelernter Garten- und Landschaftsbauer. Seit 1989 werden die Erzeugnisse auf den Wochenmärkten in der näheren Umgebung verkauft. Mittlerweile an fünf Tagen in der Woche.
Kürzlich erst hat Antje König 15 Kälbern mit auf die Welt geholfen
Viele Jahre hatte auch Helga Peters, Mutter von Stefan und Johann Karl bei Wind und Wetter hinter dem Marktstand ausgeharrt und sich auf den Klönschnack mit ihren Kunden gefreut. Jetzt hilft Adele (20), Tochter des Künstlerpaars, manchmal beim Verkauf. Stefan Peters, der aus seinem Vertrieb ein selbstständiges Unternehmen mit fünf Angestellten gemacht hat, ist mit Leib und Seele dabei. Nicht nur beim Verkauf, sondern auch im Kontakt mit den Kunden. „Der Markt ist für mich wie eine Serie, man trifft sich jede Woche“, freut er sich.
Haben sich Johann Karl und Antje auch ihrem Theater verschrieben und leben davon, so ist Antje den Pächtern der Landwirtschaft immer wieder gern als Hebamme bei den Kühen der Rasse deutsches Angus-Rind behilflich und gibt Landwirt Till Paulick gern Ratschläge. Kürzlich erst hat sie 15 Kälbern mit auf die Welt geholfen. Die Geburt von drei weiteren wird noch erwartet. Es bleibt weiter spannend auf dem Hermannshof.