Dollern. Egon Hagenah aus Dollern ist 81 Jahre alt – die Liebe zu seiner Rennmaschine bremst das nicht. Zu Besuch bei einem Rastlosen.

Seine erste Frühjahrstour hat er schon hinter sich. Zehn Grad Außentemperatur, kein Regen, trockene Straßen – besser muss das Wetter nicht sein, damit Egon Hagenah seine 270-Kilogramm-Maschine aus der Garage in Dollern im Landkreis Stade schiebt, den Zündschlüssel dreht und losfährt. Ein Ziel hat er meist nicht – er fährt, wohin es ihn in diesem Moment gerade treibt.

„Wenn Sie eine Geschichte über Egon und sein Motorrad machen, dann schreiben Sie aber bitte auch, dass mir das gar nicht gefällt, wenn er mit dem Ding unterwegs ist“, sagt seine Frau Helga. Aber am Ende fährt er doch los und genießt seine Touren. Wie jedes Mal.

Seine erste Maschine war eine Yamaha. Die zerlegte er bei einem Unfall

81 Jahre ist Hagenah alt. Seine BMW K 100 RS– die inzwischen dritte Maschine – firmiert mit ihren 33 Jahren schon unter dem Begriff Oldtimer. Die Buchstaben RS stehen für „Reisesport“ erklärt Hagenah. Mit ihren 100 PS schafft die BMW ganze 230 Sachen. „Ich fahre gern schnell“, gibt Hagenah zu, als seine Frau außer Hörweite ist, „und werde nicht gerne überholt.“ Es gehe ihm nicht darum, von A nach B zu kommen. „Ich fahre um des Fahrens willen“, so der pensionierte Bahnbeamte. Mit ABS und breiteren Reifen sei seine BMW gut ausgerüstet für hohe Geschwindigkeiten auf der Autobahn, findet er.

Seine erste Maschine war eine Yamaha. Die zerlegte er bei einem Unfall. „Später stand im Polizeibericht etwas von unangepasster Geschwindigkeit in der Kurve“, erinnert sich der Dollerner, im Übrigen ein vielgefragter Spezialist im Bereich Ahnenforschung und norddeutsche Geschichte. Hagenah: „Bei dem Unfall hatte ich mir den Arm gebrochen, und die Yamaha war hin. Um nicht wieder aus einer Kurve zu fliegen, legte ich mir eine kleine BMW mit ABS zu.“ Die Maschine fuhr er zwei Jahre. In Hollern kam ihm ein Kantstein in die Quere, Hagenah stürzte und lädierte sich die Schulter. Die kleine BMW war im Eimer.

Hagenahs Großmutter fuhr noch mit 70 Jahren auf einem Fahrrad mit Hilfsmotor

Aber der passionierte Motorradfahrer ließ sich nicht entmutigen und kaufte sich sein drittes Motorrad, die gebrauchte BMW „Reisesport“ mit 36.000 Kilometern auf dem Tacho.

Heute hat die Maschine 106.000 Kilometer runter. Und Hagenah denkt noch längst nicht ans Aufhören. „So lange ich die 270 Kilogramm so leicht und sicher händeln kann wie jetzt, fahre ich weiter“, sagt er. Schuld an seiner Liebe zu zweirädrigen, fahrbaren Untersätzen mit Motor sei ohne Zweifel seine Oma in Hagenahs Heimatdorf Engelschoff.

Die Eltern verbieten ihrem Sohn, ein Motorrad zu kaufen. Dann wurde es eine Isetta

Die alte Dame fuhr noch im Alter von 70 Jahren auf einem Fahrrad mit Hilfsmotor. Später, erzählt Egon Hagenah, habe sich seine Großmutter eine Moped, eine Zündapp, zugelegt und sei damit übers Land gefahren – der begeisterte Enkel begleitete sie auf dem Sozius. Die Liebe der beiden Engelschoffer zu motorisierten Zweirädern war zum einen dem Vergnügen am Fahren geschuldet, zum anderen aber gab es zu der Zeit schlicht auch keine Alternative, um auf dem flachen Land von A nach B zu kommen.

„Als ich 15 Jahre alt war, stürzte meine Großmutter und verletzte sich dabei. Ab dem Zeitpunkt musste ich fahren“, so Hagenah. 1962 ist er 21 Jahre alt und kann endlich den Führerschein für das Auto und – natürlich – das Motorrad machen. „Eigentlich wollte ich mir danach gleich ein Motorrad kaufen. Das haben meine Eltern mir damals aber erfolgreich ausgeredet. Aus dem Motorrad wurde dann eben eine Isetta“, so Egon Hagenah. Dann lernte er seine spätere Frau Helga kennen. Und nach der Hochzeit war erst einmal Schluss mit dem Motorsport.

Gemeinsam mit Freunden fährt Hagenah bis nach Dänemark

Viele Jahre später, da hatte Hagenah die 50 bereits weit überschritten, „fragten meine beiden inzwischen erwachsenen Töchter, was ich eigentlich später mit meiner ganzen Freizeit im Ruhestand anfangen wolle. Ich sagte: Motorradfahren, was sonst? Ich zog los, meine erste Maschine kaufen. Helga machte ein langes Gesicht.“ Aber dieses Mal ließ sich der Mann seinen Traum nicht mehr ausreden.

Nebenbei recherchierte und schrieb der Dollerner als Co-Autor an einer großen Chronik über Dollern, die im Jahr 2003 im Buchhandel erschien. Und auch das Motorradfahren kommt nicht zu kurz. „Zuerst fuhr ich immer in einer Gruppe mit Freunden. Unsere Touren führten uns auch weiter weg, beispielsweise nach Dänemark. Meistens hatten wir unsere Zelte dabei und campten einfach dort, wo es uns gefiel.“

Mal landet er in der Heide, mal besucht er seine Geschwister im Alten Land

Doch die Motorrad-Freunde wurden älter, genau wie Hagenah. Die Touren wurden kürzer. „Heute mache ich hier in der Gegend meine Touren. Ich schiebe mein Motorrad aus der Garage und entscheide spontan, ob ich die Bundesstraße rechts oder links runter fahre.“

Und dann fährt er los, einfach los, ohne ein Ziel zu haben. Mal landet er in der Heide, mal besucht er seine Geschwister in Engelschoff oder Himmelpforten. Der Weg ist dabei Hagenahs Ziel. „Ich bin mit meinen 81 Jahren so gesund, gesünder als die meisten meiner Altersgenossen. Das muss ich doch auskosten. Ich will jede Minute genießen“, sagt er. Doch ein großer Wermutstropfen bleibt: „Ich habe meine Frau Helga bis heute nicht dazu überreden können, mal mitzufahren auf meinem Motorrad.“