Winsen. Dreistündige Großübung am Luhe-Gymnasium in Winsen – die erste in diesem Umfang seit fast fünf Jahren im Landkreis Harburg.
Zwei Männer dringen in das Luhe-Gymnasium Winsen ein. Sie sind mit Schusswaffen ausgerüstet und eröffnen das Feuer auf Schüler und Lehrkräfte. Schüsse sind zu hören, Verletzte sinken zu Boden. Dieses Schreckensszenario eines Amoklaufs war am Sonntagvormittag die Grundlage einer großen Übung von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten. Mehr als 350 Einsatzkräfte und Statisten nahmen teil, darunter 100 Polizisten aus der Polizeiinspektion Harburg, die im Vorfeld nichts von dem Szenario wussten.
Täter müssen so schnell wie möglich handlungsunfähig gemacht werden
„Für die Polizei stellt eine lebensbedrohliche Einsatzlage, wie zum Beispiel ein Amoklauf an einer Schule, eine der größten Herausforderungen dar“, sagt Jan Krüger, Sprecher der Polizeiinspektion Harburg. Dabei stehen die Streifenpolizisten an vorderster Front. Denn die oder der Täter müssen so schnell wie möglich handlungsunfähig gemacht werden. Früher warteten Streifenpolizisten bei solch einer Lage auf das Sondereinsatzkommando (SEK), um das Gebäude zu betreten. Doch bis das SEK in Winsen wäre, dauert es. In Niedersachsen haben die schwer bewaffneten Einsatzkommandos ihren Sitz in Oldenburg und Hannover.
Zuerst eintreffende Polizisten warten nicht mehr wie früher auf das SEK
Nach den tödlichen Amokläufen in den 2000er-Jahren stellte die Polizei auf eine offensivere Taktik um. Jetzt rüsten sich die zuerst eintreffenden Polizisten mit ballistischem Helm, Schutzwesten und Maschinenpistolen aus und gehen in Kleingruppen in die Schule. Genau das passierte auch bei der Übung im Luhe-Gymnasium. Nur dass die Trainingswaffen mit Platzpatronen am Eingang von Übungsbeobachter noch zweimal genau überprüft wurden. Im Schulgebäude trafen die Polizisten auf Verletzte und Tote. Sie wurden von Statisten gespielt und waren je nach Verletzungsmuster realistisch geschminkt.
„Diese Situation ist für meine Kolleginnen und Kollegen mental höchst belastend. Anstatt sich um die Verletzten kümmern zu können, müssen sie an ihnen vorbeigehen und schnellstmöglich Kontakt zum Täter herstellen, um diesen von seinem Handeln abzubringen“, sagte Krüger.
Notärzte ordnen die Verletzten drei verschiedenen Verletzungsgraden zu
Währenddessen kamen die ersten Rettungssanitäter und Feuerwehrleute an. Auch sie durften nicht in die sogenannte „Rote Zone”. Die Gefahr für die Retter wäre zu groß, solange die Täter noch nicht außer Gefecht sind. Eine halbe Stunde nachdem die ersten Polizisten das Gymnasium betreten hatten, konnten sie den ersten Täter stellen. Er überlebte in diesem Szenario nicht. Wenig später nahmen die Beamten den zweiten Täter fest. Erst als diese Meldung über Funk kam, begann die Arbeit von Feuerwehr und Rettungsdienst.
Die Verletzten wurden von Notärzten gesichtet und verschiedenen Verletzungsgraden zugeteilt. Dabei gibt es von Rot (lebensgefährlich verletzt) über Gelb (schwer verletzt) bis Grün (leicht verletzt) drei Kategorien. Je nach Einstufung werden die Patienten sofort oder etwas später versorgt. Bei einem Amoklauf noch viele Personen dazu, die einen Schock haben und genauso betreut werden müssen. Deswegen waren die Retter der Johanniter, des Deutschen Roten Kreuzes und der Feuerwehren aus Winsen in einem Großeinsatz vor Ort.
Gesamte Übung wird von Beobachtern gefilmt, auch mit einer Drohne
Am Ende der dreistündigen Übung waren alle Teilnehmenden sichtlich erleichtert, dass es sich nicht um einen Ernstfall handelte. Die gesamte Übung wurde von zahlreichen Beobachtern der beteiligten Organisationen gefilmt, auch eine Drohne schwebte über dem Gelände. Die festgehaltenen Ergebnisse werden in den nächsten Wochen ausgewertet und geprüft, damit die Einsatzkonzepte gegebenenfalls angepasst werden können.
Zuletzt hatte es 2018 solch eine Großübung im Landkreis Harburg gegeben. „Coronabedingt war eine Übung in diesem Umfang in den letzten Jahren nicht möglich”, sagte Jan Krüger. Die nächste soll wieder zeitnaher stattfinden.